22.11.2009

Wenn ich König wär...

Predigt zum Christkönigsfest 2009 (Lesung: Offb 1,5b-8; Evangelium: Joh 18,33b-19,5)

„Was würden Sie verändern, wenn Sie König wären?“
Diese Frage stellte vor einigen Jahren ein Meinungsforscherinstitut an deutsche Bürgerinnen und Bürger. Überraschend war, dass die meisten Befragten nicht an eigener Macht, an Reichtum oder Größe, sondern am Wohlergehen ihrer „Untertanen“ interessiert waren. Ihre Antworten fielen einfühlsam und solidarisch aus:
- Jeder Obdachlose bekäme eine Wohnung
- Jeder Arbeitslose fände Arbeit
- Strom würde durch Wind und Solarenergie erzeugt
- Kinder dürften ab sofort überall spielen
- alle öffentlichen Verkehrsmittel könnten umsonst benutzt werden
- alle Menschen bekämen gleich viel Geld
- niemand müsste hungern
- es gäbe keine Angst und keinen Stress mehr
- niemand wäre länger einsam

Ja, es hat die Meinungsforscher überrascht, wie menschlich die Antworten waren, wie stark das eigene Ego in den Hintergrund gedrängt wurde und an andere gedacht wurde. Die Frage ist nur: Wenn Menschen von heute wirklich so denken, warum schaut unsere Welt dann nicht anders aus?

Was würde Sie ändern, wenn Sie König wären? lautete die Frage. Und die Antworten wurden aus der Position gegeben: Ich könnte vieles auf dieser Welt verändern, wenn ich nur die nötige Macht hätte, wie ein starker, unangefochtener König wäre. Dass dies nicht reicht, wird uns Tag für Tag gezeigt. Auch die Mächtigen sind so ohnmächtig, selbst wenn sie oft einen guten Willen haben, unsere Welt zu einer menschlicheren Welt hin zu verändern.

Nachdenklich macht mich die heutige Lesung aus der Offenbarung. Da heißt es: „Jesus Christus ist der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten, der Herrscher über die Könige der Erde. Er liebt uns ... Er hat uns zu Königen gemacht, zu Priestern vor Gott, seinem Vater. Ihm sei Ehre und Herrlichkeit und die Macht in Ewigkeit.“
Ganz klar formuliert der biblische Schriftsteller die Überzeugung: Das Königtum Christi kennt keine Untertanen, kein Oben-Unten-Denken. Sein Reich verwirklicht sich dort, wo jeder Mensch im anderen eine königliche Würde erkennt, ihm mit großer Achtung begegnet und mit großem Respekt behandelt. Veränderung hin zu einer menschlicheren Welt geschieht nicht durch Macht, sie beginnt mit einer Veränderung in den Köpfen und in den Herzen: In jedem Menschen eine königliche Würde erkennen und einen jeden Menschen königlich behandeln.

Stellen Sie sich einmal vor:
- Eltern möchten ganz bewusst in ihren Kindern diese königliche Würde sehen, Kinder in ihren Eltern.
- Lehrer würden es wirklich verinnerlichen: In meinen Schülern sitzen Könige vor mir.
- Ehepartner hätten als Leitidee im Kopf, einander königlich behandeln.
- Dem alten und kranken Menschen würde in diesem königlichem Respekt begegnet.
- Der Geschäftsmann würde den Kunden nicht nur aus Gewinnstreben als König sehen.
- In der Kirche würde mir öfter der Gedanke durch den Kopf gehen: Vor mir , hinter mir und neben mir sitzt ein Mensch mit königlicher Würde.
Glauben Sie nicht, das würde sich aufs Denken, Fühlen und dem gegenseitigen Umgang auswirken?

Vielleicht ist es deswegen gut, Jahr für Jahr am letzten Sonntag des Kirchenjahres in das Gesicht dieses Christkönig zu schauen, der uns zu Königen gemacht hat, und dessen höchste königliche Würde darin besteht, dass es bei der Diskussion vor Pilatus um die Art seines Königtums heißt: Ecce homo! Seht, der Mensch!

Pfarrer Stefan Mai


 
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