19.01.2009

Alter Zopf oder höchst aktuell?

Predigt zum Sebastiani-Tag in Oberschwarzach 2009

Es ist schon ein Phänomen, dass sich der Sebastiani-Tag seit fast 400 Jahren so tief in die Gehirne und Herzen der Oberschwarzacher eingewurzelt hat.
Es ist schon ein Phänomen, dass sich eine so alte Tradition über so lange Zeit trotz aller modernen Strömungen und aller möglichen Moden behauptet.
Es ist schon ein Phänomen, dass der Sebastiani-Tag nicht nur für Oberschwarzach, sondern auch für die nähere und fernere Umgebung ein Anziehungspunkt ist, wenn die Bürgerwehr sich in Frack und Zylinder, mit Beilen und Gewehren zum Appell formiert.
Wenn Sebastiani aber mehr als nur Brauchtumspflege, historisches Trachtenspiel, mehr als farbenprächtiges Kostümfest, mehr als eine Spielwiese für Erwachsene sein will, dann müssen wir in Oberschwarzach doch eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn, nach dem „Warum“ dieser Brauchtumspflege in unserer heutigen Zeit geben können.

Wenn ich auf die alte Sebastianslegende schaue, dann gewinnt dieser Tag in meinem Augen gerade für ländliches Milieu und Dorfkultur höchste Aktualität. Sie kennen die Sebastianslegende:

Sebastian lernte als junger Mann das Christentum kennen. Er wurde Soldat und kam nach Rom, wo er zum Befehlshaber der Prätorianischen Leibwache des Kaisers aufstieg. Sebastian zeichnete sich durch Unbestechlichkeit und Zuverlässigkeit aus und benutzte auch seine Stellung, um die gefangenen Christen in der Verfolgungszeit in den Gefängnissen zu besuchen und ihnen beizustehen. Unter Kaiser Diokletian wurde er als Christ angeklagt und - da er Soldat war - nicht wie sonst die Christen in die Arena geschickt, sondern zum Tod durch Erschießen verurteilt. Die berühmte Einheit der numidischen Bogenschützen beschossen ihn so lange mit Pfeilen, bis er blutüberströmt zu Boden sank. Man glaubte, er sei tot. Die Witwe Irene, die selbst ihre Söhne durch die Christenverfolgung verloren hatte, wollte ihn begraben, merkte aber, dass Sebastian noch lebt. Sie pflegte ihn gesund. Sebastian trat dem Kaiser mutig entgegen und klagte ihn wegen seiner Grausamkeiten gegen die Christen an. Der Kaiser erschrak, als er den Totgeglaubten vor sich sah. Er befahl, Sebastian vor aller Augen in der Arena zu Tode zu prügeln. Und damit er von den Christen nicht als Märtyrer verehrt werden kann, gab er den Befehl, Sebastian, was eigentlich der „Erhabene“ heißt, im Tod zu entehren. Er lässt seinen Leichnam in die Cloaca Maxima werfen, zu deutsch: Ins Sammelbecken aller römischen Plumpsklos. Doch Lucina, eine fromme Christin, zieht Sebastian - entschuldigen Sie bitte den Ausdruck in einem nach Weihrauch duftenden Gotteshaus - aus der Scheiße. Sie wäscht ihn und begräbt ihn ehrenvoll.

Unsere Vorfahren sahen in den Pfeilen, mit denen Sebastian gespickt dargestellt wird, Pestpfeile, die von dunklen Mächten abgeschossen werden und die Menschen mit der Pest heimsuchten. Sebastian war für sie deshalb die Vertrauensperson, an die sie sich in der Pestzeit wandten. Er sollte in ihrem Namen bei Gott Fürsprache einlegen und so die Geißel der Pest abwenden. Die Pest ist längst bei uns ausgerottet, an Pestpfeile glaubt keiner mehr. Was soll da noch eine Sebastiansverehrung?

Liebe Leser, ich meine Sebastian könnte in einem ganz anderen Sinn für unsere Dörfer eine neue, ungeheuere Aktualität gewinnen.
Denn Sebastian steht - bildlich gesprochen - für all diejenigen, die mit einer ganz anderen Art von Giftpfeilen beschossen werden: Mit den Pfeilen der Verleumdung und der üblen Nachrede. Er steht für alle, deren Namen man in den Schmutz zieht, vielleicht auch nur deswegen, weil sie wie Sebastian den Mumm haben, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Wieviele Menschen leiden an solchen giftigen Pfeilen, wie vielen Menschen machen solche Giftpfeile zu schaffen und stecken tief im Fleisch und reißen große Wunden.
Ja vielleicht steht Sebastian sogar für all diejenigen, die in der Scheiße gelandet sind, deren Leben danebengegangen ist, auf die mit Dreck geworfen wird, weil sie anders sind, weil sie vielleicht ein Fehltritt niedergestreckt hat.
Auffällig an der Sebastianslegende ist, dass gerade Witwen, die Schicksalsschläge hinter sich hatten, für Sebastian, der am Boden lag, sensibel waren, ihn pflegten, Wunden heilten und ihn ehrenvoll und mit großem Respekt behandelten. Das ist auch heute so: Wer selbst Schweres mitgemacht hat, wird hellhöriger für die Not anderer.

Liebe Oberschwarzacher,
glauben Sie nicht, dass das eine echte Bürgerwehr auf unseren Dörfern wäre, wenn es zum Ehrenkodex von Dorfleuten gehören würde: Wir schießen keine gehässigen Giftpfeile auf Leute ab, die wir nicht mögen, die uns nicht liegen, die ganz anders sind. Das wäre doch eine echte Bürgerwehr, wenn ein Mann am Stammtisch aufstehen würde und beim Herziehen über nicht Anwesende plötzlich sagen würde: Mit mir nicht! Oder eine Frau die Nachbarin stehen lässt, die gerade wieder mit Herzenslust dreckige Wäsche über andere wäscht.
Glauben sie nicht, dass Gestalten wie die Witwen Erika und Lucina wahre Lichtblicke in unseren Gemeinden sind, die merken, wenn Menschen am Boden liegen oder im Dreck stecken, und sich nicht zu gut sind, einen Finger für diese zu krümmen oder für ihre, in den Schmutz getretene Ehre einzutreten.
Lasst uns den Sebastiani-Tag nicht nur als eine schöne Tradition feiern, sondern als Herausforderung für eine humane Gestaltung unserer Dorfmilieus verstehen. Das wäre nämlich die echte Sebastiani-Verehrung!

Pfarrer Stefan Mai


 
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