28.12.2003

Mehr als ein romantisches Kinderlied

Predigt zur Tag der Heiligen Familie 2003

Wer in Dinkelsbühl die gotische Basilika besucht, der kommt am Kirchplatz an einer großen Broncefigur vorbei. Ein älterer Mann sitzt auf einem Stuhl, hat Kinder um sich geschart und zeigt auf ein Notenblatt: Es ist Christoph von Schmid. Er war um 1800 Pfarrer und Pädagoge in Dinkelsbühl. Bekannt geworden ist er vor allem durch ein Lied, das jedes Kind kennt.

Orgel spielt: Ihr Kinderlein kommet

Sie haben es erkannt: Ihr Kinderlein kommet. Vor 30 Jahren fand es bei den Machern des Gotteslobes kein Gefallen. Zu romantisch! Zu sentimental! An der Grenze zum Kitsch! Aber es ließ sich nicht ausrotten. Bis heute gehört es zu den beliebtesten Weihnachtsliedern. Zugegeben, das Lied spricht nicht mehr meine Sprache. Aber wie hier ein erfahrener Pädagoge Kinder über die Betrachtung des Weihnachtsgeschehens an den Glauben heranführen will, das lohnt sich, einmal genau anzuschauen. Ich lade Sie ein, dieses Lied heute einmal bewusst zu singen und mit mir über seine Pädagogik nachzudenken. Das Lied birgt für mich wertvolle Hinweise, wie auch in unserer Zeit religiöse Kindererziehung gelingen kann.

Ihr Kinderlein kommet, o kommet doch all,
zur Krippe her kommet, in Bethlehems Stall
und seht, was in dieser hochheiligen Nacht
der Vater im Himmel für Freude uns macht.


Das Lied beginnt mit einer Einladung: „Ihr Kinderlein kommet …“ Ein Kind wird nie Freude an Glaube und Religion haben, wenn es nicht von Eltern ermuntert und neugierig gemacht wird. Um das zu können, muss ich selbst von der Sache begeistert sein. Und wenn ich von einer Sache begeistert bin, dann will ich auch meinem Kind davon etwas zeigen. Ich führe es hin an Bilder, an Schätze unserer Tradition, ich erkläre, mache aufmerksam – so wie die 2. und 3. Strophe von „Ihr Kinderlein kommet …“. Christoph von Schmid dichtet: „O seht! Schau hin! Da liegt es …“

O seht in der Krippe, im nächtlichen Stall,
seht hier bei des Lichtleins hell glänzendem Strahl
in reinlichen Windeln das himmlische Kind,
viel schöner und holder als Engel es sind.

Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh,
Maria und Josef betrachten es froh,
die redlichen Hirten knien betend davor,
hoch oben schwebt jubelnd der Engelein Chor.


Christoph von Schmid weiß: Allein zeigen und hinführen genügt nicht. Kinder brauchen Vorbilder. Er weiß: Kinder schauen mehr darauf, was die Eltern tun, als was sie sagen. Und ein Kind macht automatisch nach, was man ihm vormacht. So stellt Christoph von Schmid Vorbilder vor Augen: „O beugt, wie die Hirten ...“

O beugt, wie die Hirten, anbetend die Knie,
erhebet die Hände und danket wie sie;
stimmt freudig, ihr Kinder, wer soll sich nicht freun?
Stimmt freudig zum Jubel der Engel mit ein.


Und Christoph von Schmid weiß: Wenn ein Kind später einmal beten soll, muss ich ihm eine Gebetsschule zukommen lassen. Ihm Texte vorsprechen, die es nachsprechen kann; Gebetsworte finden, die die Erlebniswelt des Kindes einholen.

O betet: Du liebes, du göttliches Kind,
was leidest du alles für unsere Sünd!
Ach hier in der Krippe schon Armut und Not,
am Kreuze dort gar noch den bitteren Tod.


Und Christoph von Schmid weiß auch: Wenn ein Kind das in einer Familie erleben darf, dann wird es selbst aktiv und kreativ. Es sucht selbst nach Worten und Formen, die ihm gefallen. Es schafft den entscheidenden Schritt, selbst Formen religiöser Praxis zu finden. In der letzten Strophe übernehmen die Kinder das Wort:

Was geben wir Kinder, was schenken wir dir,
du bestes, du liebstes der Kinder, dafür!
Nichts willst du von Schätzen und Freuden der Welt;
ein Herz nur von Demut allein dir gefällt.


Hinter „Ihr Kinderlein kommet …“ versteckt sich eigentlich ein religiöses Lernprogramm: Einladen – hinweisen und hinführen – anleiten zum Nachahmen – und eigenständiges Tun fördern. Das ist ein Programm, das bis heute nicht überholt ist.

Pfarrer Stefan Mai


 
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