21.12.2003

Predigtreihe zum Advent 2003 - Alles Leben ist Begegnung

4. Adventssonntag: Eine unheimliche Begegnung (Lesung: Ri 13,2-7.24-25a; Evangelium: Lk 1,26-38)

Einleitung

Was man in den 70iger, 80iger Jahren nicht für möglich gehalten hätte, ist Wirklichkeit geworden. Die Engel haben eine überraschende Renaissance erlebt, seit Jahren gibt es eine wahren Engelboom. Sie sind fast allgegenwärtig. Der heutige Mensch verbindet mit Engeln etwas Geheimnishaftes, Anheimelndes, Liebliches. Sie sind zum Symbol für alles geworden, was man sich gerne wünscht. Dieser engelgleichen Wesensart würde man gerne begegnen.
Die biblischen Engelserzählungen sind aber von anderem Kaliber. Sie zeigen mir, dass gerne ein entscheidender Zug von ihnen ausgeblendet wird. Man kastriert die Engelserzählungen und macht aus ihnen Nettigkeiten. Aber dadurch verlieren sie eine entscheidende Wucht. Dies machen mir die beiden Engelserzählungen, die wir heute hören, wieder einmal klar.

Predigt

Stimmungssache Weihnachten

33.400 Lämpchen entzündet Ulla Haubrich aus Freising jeden Abend in der Adventszeit. 9.000 Lichter am Giebel des Hauses, je 600 an den fünf Fenstern, dazu fünfzehn Lichterkränze und vier Lichter-Vorhänge mit je 900 Lichtern. Im Vorgarten blitzt ein leuchtender Rentierschlitten, eine Skulptur aus pulsierenden Lichtschläuchen. „Watt und Wahn“, betitelt der Spiegel die zunehmende Lust, in der Vorweihnachtszeit Häuser, Gärten und Fensterstöcke mit Lichtern zu überziehen. Dazu kommen selbst in der kleinsten Kleinstadt Dutzende von „einbrechenden“ Weihnachtsmännern – Zipfelmütz-Stoffpuppen, die sich an Häuserfassaden hochziehen. Sie markieren den Einbruch der Weihnachtszeit, der hierzulande niemand entkommen kann. Faszination Weihnachtsstimmung.

Gefühlssache Weihnachten

Die verzauberten Gärten- und Häuser-Landschaften außen finden ihre Fortsetzung im Innern des Weihnachtshauses. Überall Schmuck an den Fenstern und Haustüren, Lichterbögen werfen ihren Schimmer in die Nacht hinaus. Engel bevölkern das Haus und Sterne glitzern. Die Wohnzimmer verwandeln sich in quasi-liturgische Orte. Der Journalist Matthias Morgenroth nennt sie die „Privatkathedralen der Intimität“, in denen das heilige Spiel des Weihnachtsweltenhauses stattfindet. „Drinnen im Haus ist eine kleine Miniwelt aufgebaut. Süße Engel stehen auf den Kommoden oder hängen in den Ecken. Eine kleine Krippe ist da, sozusagen die Miniaturausgabe von dem, was man selbst darstellt, nämlich eine kleine heilige Familie in einem kleinen Haus mit leuchtender Laterne ... draußen ist es dunkel, kalt und tot ..., hier möchte man verweilen und sich einkuscheln.“ Gefühlssache Weihnachten.

Weihnachten ist eine Stimmungssache und eine Gefühlssache geworden. Und gerade unter diesem Vorzeichen stemmt sich unter den religiösen Festen das Weihnachtsfest am erfolgreichsten gegen den gesellschaftlichen Trend, Christliches abzudrängen oder zu ignorieren. Stimmung und Gefühl lassen es nicht sterben. Es scheint, der moderne Mensch lechzt geradezu nach Gefühl, nach Stimmung, nach ein Stück verzauberter Welt und setzt dies an die Stelle von christlichen Inhalte und an die Stelle des Bekenntnisses. Das Christentum wandelt sich in ein „Weihnachts-Christentum“ und in eine „Heiligabend-Religion“. Der Gekreuzigte und Auferstandene kann dagegen nicht konkurrieren. In dieser Art von „Wohlfühlreligion“ ist eine ungeheure Sehnsucht da, in der die gestresste Seele gestreichelt und zur Ruhe kommen soll, das Gehetzte in uns wieder ins Gleichgewicht, der unbehauste Mensch von einer Aura der Geborgenheit umgeben werden und der Unzufriedene wieder ins Lot kommen soll.

Auch das gehört dazu

Aber das ist nur eine Seite. Die andere Seite von Religion wird gerne ausgeblendet. Schon um die Wende zum 20. Jahrhundert hat der Religionsphilosoph Rudolph Otto darauf hingewiesen, dass die Erfahrung Gottes doppelpolig ist. Gott ist auf der einen Seite „Mysterium fascinosum“, ein Geheimnis, das fasziniert und anzieht, aber er ist zugleich „Mysterium tremendum“, Geheimnis, das erschrecken lässt. Das gleiche hat Papst Johannes Paul II. 2001 bei einer Audienz in folgendes Bild gebracht: „Gott ist Gewitter und Regenbogen“, erschreckendes und zugleich faszinierendes Geheimnis.

Meist wird auch die Verkündigung des Engels als faszinierendes Ereignis auf den Bildern dargestellt und beim Hören ähnlich empfunden. Meist wird aber die andere Seite ausgeblendet. Denn im Evangelium wird die Berührung Marias mit der Transzendenz nicht als Wohlfühlereignis, als Streicheln der Seele dargestellt, sondern als unheimliche Begegnung. Es heißt nicht, Maria fühlte sich geehrt oder beglückt. Nein da steht klipp und klar: „Sie erschrak“. Glaube hat mit „Erschrecken“ zu tun. Wo Menschen es mit Gott zu tun bekommen, so das Evangelium, werden sie oft unruhig, steigen Zweifel in ihnen auf, spüren einen Anspruch auf sie zukommen, ohne zu wissen, wie sie ihm gerecht werden sollen. Sie werden aufgejagt aus einer scheinbar geregelten Welt und spüren unruhig: von mir wird etwas verlangt. Sie zweifeln, stellen Fragen und werden am Ende doch ein Stück damit alleingelassen. Von Maria heißt es zum Schluss: „Da verließ sie der Engel.“ Diese schwere Seite von Glaubenserfahrung darf nie ausgeblendet werden, sonst machen wir aus Religion einen Wellnesskult, der nicht hält, was er verspricht.

Liebe Leser, ich mag die kitschigen einbrechenden Weihnachtsmänner an den Häuserfassaden nicht. Aber eine Frage stellen sie mir schon: Was würde es wirklich bedeuten, wenn Gott wie damals bei Maria in unser Lebenshaus einbricht?

Fürbitten

Gott, dein Geheimnis kann faszinieren, aber auch erschrecken. Wir bitten dich:

V/A: Lass uns dich spüren

In Augenblicken des Glücks
Im Erlebnis von Unbeschwert-Sein
Im Spüren von Sicherheit und Geborgenheit
In Augenblicken des Erfolgs
Im Staunen und Bewundern
In Zeiten der Gelassenheit und Ruhe
In innerer Zufriedenheit und Ausgeglichenheit
In der Freude und im Lachen
In Momenten, wo wir uns einfach wohlfühlen

In der Nacht der Angst
In der Nacht des Fragens
In der Nacht der Not
In der Nacht der Hoffnungslosigkeit
In der Nacht des Zweifels
In der Nacht der Irrwege
In der Nacht der Gleichgültigkeit
In der Nacht des Misserfolgs
In der Nacht der Verlassenheit

Gott, an deine Nähe lass uns glauben dürfen, ein Leben lang.

Pfarrer Stefan Mai


 
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