05.10.2003

Ganz umsonst

Erntedankgottesdienst mit den Kindern unseres Kindergartens (Ev: Mt 20,1-16)

Lied der Kinder:

Ich hab´einen Freund so wundergroß, bei dem ich gerne wohne. Er wirft mir Äpfel in den Schoß aus seiner grünen Krone. Ich hab´einen Freund, ich hab´einen Traum. Mein Freund, der ist ein Apfelbaum.

Einleitung zum Gottesdienst

Wenn der Herbst ins Land zieht, dann schauen wir schon wieder auf den Großteil des Jahres zurück. Da stehen wir bereits in der dritten Jahreszeit. Da erinnern wir uns, wie das Jahr begann, wie es draußen langsam grün wurde, wie die Blüten hervorsprossten, wie langsam die Früchte an den Bäumen ansetzten und schließlich reif wurden. Das ist halt so, ganz selbstverständlich, können wir sagen. Wir können diese Prozesse, die in der Natur angelegt sind, aber auch bestaunen und an einem Tag wie heute, dem Erntedankfest, besingen. Dies wollen wir heute mit unseren Kindergartenkindern tun. „Die Welt wird erst sichtbar, wo sie besungen wird“, behaupten jüdische Rabbinen.

Predigt

Mensch streng dich an. Im Leben fällt dir nichts in den Schoß. Die gebratenen Tauben fliegen dir nicht in den Mund. Im Leben bekommst du nichts geschenkt. Jeder ist selbst seines Glückes Schmied. Wer hat nicht schon diese oder ähnliche Sätze zu hören bekommen oder selbst über die Lippen gebracht. Umsonst ist allein der Tod heißt es flippig und sarkastisch in einer Leistungsgesellschaft, die immer stärker Menschen von heute unter Leistungsdruck setzt und immer stärker alle Lebensbereiche erfasst.
Die Kinder haben eben anders gesungen: „Ich hab einen Freund so wundergroß, bei dem ich gerne wohne. Er wirft mir Äpfel in den Schoß aus seiner grünen Krone.“ Ohne mein Zutun fällt mir etwas in den Schoß. Ohne mich dafür anstrengen und abrackern zu müssen, bekomme ich etwas geschenkt. Ohne mein Verdienst wird mir gegeben.
Das Kinderlied nennt den Baum Freund. Es drückt in Dankbarkeit aus: Wer mir Freund ist, der bindet sein Wohlwollen und seine Freundlichkeit nicht daran, ob ich all seinen Vorstellungen und Wünschen entspreche. Vor dem muss ich nicht erst meine Tüchtigkeit beweisen, die Zuneigung und Sympathie verdienen. Vor dem brauche ich nicht groß dazustehen oder erst groß herauskommen, dass ich mich seiner würdig erweise. Nein da werde ich beschenkt, einfach gratis, einfach ganz umsonst. Und da brauche ich mich auch nicht gleich zu revanchieren oder das Geschenk wieder gutzumachen.
Das einfache Kinderliedchen wirft in mir im Weiterdenken eine existentielle Frage auf: Ist nicht eigentlich alles Wichtige im Leben unverdient, ganz umsonst und nicht von uns selbst erarbeitet?
Wer von uns hat sich sein Leben, seine Gesundheit verdient?
Wer von uns kann sich die Freude am Leben erarbeiten?
Wer von uns hat erst Leistungen erbringen müssen, bevor ihm seine Begabungen, seine Intelligenz als großer Schatz ins Leben mitgegeben wurden?
Wer von uns kann sich selbst aus Traurigkeit herausziehen und sich wieder neue Hoffnung und Zuversicht einreden?
Wer von uns staunt nicht darüber, dass ihn Menschen gern haben, einfach so?
Wer kennt nicht das Glück, dass ihm ein guter Einfall, eine brillante Idee einfach so zufliegt?
Wer kann etwas dafür, wenn er an Gott glauben darf?
Das Leben, meine Begabungen, die Gesundheit, die Freude, die Kreativität, der Glaube – auf all diese großen Wörter eines gelingenden Lebens habe ich keinen Anspruch, ich habe sie mir auch nicht verdient. Nein! Sie fielen mir einfach in den Schoß. Ganz umsonst!
Ich fange an zu träumen: Wir Menschen würden dies endlich einmal kapieren. Die Welt würde anders ausschauen! Menschlicher, dankbarer, friedlicher, gerechter, lebensfreundlicher.

Überleitung zum Evangelium (Mt 20,1-16)

Gott, der Freund des Lebens, bezahlt nicht nach Leistung. Gott gibt gratis, behauptet Jesus. Und da hat ihm keiner dreinzureden.„Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich gütig bin?“
Ungerecht, schreit da eine Leistungsgesellschaft. Ob darin aber nicht gerade unsere Verblendung besteht? Jesus wäre ein Spießbürger, wenn er nicht solche Worte gesprochen hätte, die bis heute pieksen.

Zur Gabenbereitung

Die Kinder bringen zur Gabenbereitung fünf Symbole zum Altar, die den Dank für wichtige Dinge im Leben ausdrücken, die ich mir selbst nicht kaufen und machen kann:

– eine Hand: Streicheln
– ein Herz: Mama und Papa haben mich lieb
– der Regen: wir können in Pfützen springen
– ein Uhr: Zeit, die Papa mit mir verbringt
– eine Kerze: Gott, den ich nicht sehen kann – und trotzdem ist er da

Pfarrer Stefan Mai


 
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