08.06.2003

Die Freude an Gott ist unsere Kraft

Primizpredigt für Gregor Sauer am Pfingstsonntag in Oberpleichfeld

(Neh 8,1-10; Apg 2,1-11; Joh 20,19-23)


So manchem älteren Menschen ist das Gesicht von Papst Pius XII noch in Erinnerung: Ein schmales Gesicht, scharf geschnittene Gesichtszüge, eine Brille mit runden Gläsern: ein Intellektueller. Ein Lachen oder Lächeln huschte selten über sein Gesicht. Von diesem sonst so ernsten Kirchenmann wird erzählt, dass er Bischöfe, die zu einem Pflichtbesuch nach Rom kamen, stehen und geraume Zeit warten ließ, während er den berühmten Schweizer Clown Grock sofort in Privataudienz empfing. Das nahmen ihm die Bischöfe übel und hielten ihm vor, dass er einen Clown den Kirchenfürsten vorzog. Darauf soll er geantwortet haben: „Wie könnte ich einen Clown warten lassen, der Menschen mit Freude ansteckt? Ein Clown ist ein großer Wohltäter der Menschheit.“

Ich erinnere mich an ein Treffen von Pfarrern, Pastoral- und Gemeindereferenten zu meiner Kaplanszeit vor 20 Jahren. Der Dekan hatte vor den großen Ferien in seinen schönen Garten zum Feiern eingeladen. Wie üblich gab es Bratwürste und ein gutes Kreuzbergbier. Während alle anderen mit Genuss ihre Wurst verzehrten, war einer dabei, der die Nase hochzog und ein verdrießliches Gesicht machte. Das brachte einen etwas wohlbeleibten Kapuzinerpater auf die Palme. „Du wärst kein Pfarrer für mich“, schoss es aus ihm heraus, „du kannst noch ein so guter Priester, noch so gescheit sein, noch so gute Predigten halten, aber dein Miesepeter-Gesicht würde ich nicht aushalten. Wann lachst du überhaupt einmal, worüber kannst du dich überhaupt freuen?“

Lieber Gregor, ausgerechnet die Freude, die uns in unserer Kirche zur Zeit so sehr abgeht, ist das entscheidende Schlüsselwort deines Primizspruches „Die Freude an Gott ist unsere Kraft“.

Freude – wer möchte sich nicht von Herzen freuen? Wer möchte nicht, dass alles Schwere; Belastende abfällt? Wer möchte nicht, dass das Blei aus den Knochen weicht, dass er frei wird und seines Lebens und Glaubens froh? Wer möchte nicht, dass unsere Pfarrersgesichter gelassen, heiter und froh auf Menschen wirken und etwas von der Frohbotschaft, wie wir sie nennen, glaubhaft spüren lassen. Aber wie und was kann man da machen?

Eines ist klar: Die Freude ist nicht zu machen. Man kann sie auf Dauer auch nicht vormachen und vorspielen, weder sich selbst noch anderen. Das wäre dann nichts als „Mache“, leicht zu durchschauen wie der Zweckoptimismus, zu dem gerne Politiker und Kirchenmänner greifen, wenn nichts mehr vorangeht.
„Die Freude an Gott ist unsere Kraft“ – das möchtest Du spüren, das ist unsere Sehnsucht. Ist sie mehr als nur ein frommer Wunsch oder frommes Gefühl. Ist sie etwas, was man hat oder nicht hat oder kann man diese Freude im Leben erfahren oder im Leben finden, und das im Beruf, den Du ergreifst? Ich möchte Dir einfach erzählen, was mir beim Nachdenken über diese Frage durch den Kopf gegangen ist.

Ein erstes: Vor kurzem las ich ein kleines Büchlein mit dem Titel „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“. Es erzählt von einem 12-jährigen Juden Moses und dem türkischen Kolonialwarenhändler Ibrahim, der Tag und Nacht in seinem Pariser Geschäft in der Rue bleue sitzt. Der 12-jährige lebt im Männerhaushalt mit seinem schwermütigen Vater. In einem seltenen Gespräch öffnet der Vater seinem heranwachsenden Sohn seine Seele und sagt: „Ich habe es nie geschafft, an Gott zu glauben.“ „Nie geschafft? Warum?“ fragt Moses nach, „muss man sich dabei so anstrengen?“ Der Vater schaute ihn an: „Um zu glauben, dass das alles einen Sinn hat? Ja. Da muss man sich schon sehr anstrengen.“ „Aber Papa, wir sind doch Juden, du und ich?“ „Ja.“ „Und Jude sein hat mit Gott nichts zu tun?“ „Für mich nicht mehr. Jude zu sein bedeutet einfach, Erinnerungen haben. Schlechte Erinnerungen.“
In seiner Not ging Moses zu seinem Freund, zu Monsieur Ibrahim, der in seinem Geschäft saß und lächelnd ein paar Erdnüsse kaute. „Wie schaffen Sie es, Monsieur Ibrahim, glücklich zu sein?“ „Ich weiß, was in meinem Koran steht,“ kommt als Antwort des alten Muslimen zurück. Und wie nach dem Selbstmord des Vaters auch Ibrahim nach einem schweren Autounfall am Sterben liegt und Moses am Krankenbett weint und schluchzt: „Ich habe Angst um Sie ,Monsieur Ibrahim“, da schaut ihn dieser lächelnd an und gibt als Antwort: „Ich habe keine Angst, Momo. Ich weiß, was in meinem Koran steht.“

Nie wird erzählt, was wirklich in Ibrahims Koran steht, aber an seiner Gestalt, an seiner Ruhe, an seiner Weisheit, an seinem Lächeln spürt der Leser: Dieser gläubige Moslem fühlt sich von seinem Gott getragen – komme, was wolle.


„Die Freude an Gott ist unsere Kraft“, lieber Gregor, das ist als erstes ein unverdientes Geschenk. Das kann man sich nicht herbeimeditieren, anlesen, oder erarbeiten. Auf dieses Geschenk hat keiner, auch ein Priester nicht, Anspruch – und doch lebst du davon. Wer weiß, dass Gott ihn trägt und die Menschen, mit denen er zu tun hat, der trägt eine unbezahlbare Kraft in sich. Der ahnt: Die Freude an Gott ist unsere Kraft.

Ein zweites: Einige Wochen nach meiner Primiz erhielt ich einen Brief, in dem folgendes stand: „Ich habe an Ihrem Primizgottesdienst in Üchtelhausen teilgenommen. Was mich am meisten berührt hat, war, als am Ende des Gottesdienstes das Lied ‚Großer Gott, wir loben dich’ angestimmt wurde und Hunderte von Menschen mit voller Kehle einstimmten und nur eines im Sinn hatten, Gott zu loben und ihn zu preisen. Welche Atmosphäre, wenn Menschen aus tiefstem Herzen Gott loben.“ Gregor, ich denke, das wird auch dich oft ergreifen und beglücken, wenn du in der Liturgie erleben darfst, in einer verzweckten Welt singen Menschen zweckfrei das Lob Gottes, nicht um etwas zu erreichen, sondern aus Staunen, Freude und Bewunderung heraus. Du wirst manchmal in einer der für mich schönsten Präfationen unseres Messbuches die Weisheit singen: Unser Lobpreis kann deine Größe nicht mehren, aber uns bringt er Segen und Heil …“ und erahnen: Die Freude an Gott ist unsere Kraft.

Ein drittes: In unserem Beruf als Priester klagen viele über ihre Erfolglosigkeit. Sie kommen bei den Menschen nicht mehr an, leiden darunter, dass ihr Bemühen kaum Spuren hinterlässt. Das vergällt ihre Lebensfreude. Wie gerne wird dann das berühmte Martin Buber-Wort zitiert: „Erfolg ist keiner der Namen Gottes.“ Ich mag dieses Wort nicht, weil es zu schnell als Vertröstung eingesetzt wird. Über zwanzig Jahre lang meine ich – bei aller Erfolglosigkeit manchen Bemühens – die Erfahrung gemacht zu haben: Wenn etwas von Herzen kommt, dann geht es auch zu Herzen. Welches Glück und welche Freude ist es, Sonntag für Sonntag Menschen erzählen zu dürfen, was du vom Leben und vom Glauben verstanden hast, wonach du im Leben suchst und wovon du meinst, es könnte auch anderen eine Hilfe sein. Auch wenn Menschen es meist nicht in Worten ausdrücken: An den Gesichtern und in den Begegnungen mit ihnen spürst du: Das ist nicht vergebliche Liebesmüh, für so manches Wort sind dir Menschen dankbar, manches deiner Worte ergreift sie wie damals bei Nehemia, als die Leute vor Ergriffenheit zu weinen beginnen. Auch der Mensch von heute lebt nicht nur von Bilanzen, Karrieren, Komfort und Konsum. Die Sehnsucht nach einer anderen Dimension des Lebens ist unausrottbar, die Sehnsucht, dies spüren zu dürfen: Die Freude an Gott ist unsere Kraft.
Ein viertes: Dass die Freude an Gott unsere Kraft ist, wird der nur erleben, der Anteil am Leben der Menschen nimmt, wer auf das Leben von Menschen blickt, der ihrem oft banalen und kleinen Leben Ansehen gibt. Das ist keine Einbahnstraße, da kommt etwas zurück, du selbst wirst zum Beschenkten. Wie oft bin ich schon traurig von daheim weggegangen und wurde durch eine Begegnung am Krankenbett oder bei einem Besuch beschenkt und machte mich froh wieder auf den Weg. Als Seelsorger dürfen wir nicht zu Pfarrhaushockern werden, sonst geht uns der Stoff zum Predigen und bald auch der Schwung aus, wir dürfen uns nicht in unseren Pfarrhausmauern verschanzen, sonst verlieren wir den Kontakt zum Leben. Die Menschen haben Freude, dich zu sehen, wenn du Interesse zeigst an ihrem oft komplizierten Leben. Wir müssen das Leben studieren, sonst fällt uns auch an der Bibel nichts mehr auf und nichts mehr für unsere Predigten ein, was wir zu sagen haben. Die antike Welt hätte auf die Jünger gepfiffen, wenn sie sich weiterhin im Pfingstsaal verkrochen und sich bemitleidet und bedauert hätten und nicht hinausgegangen wären und sich auf die Vielzahl und Buntheit der Menschen eingelassen hätten. Die Freude am Entdecken des Lebens ist die Klammer vor all deinem priesterlichen Tun. Hast du daran kein Interesse, so wird all dein priesterliches Tun, das in der Klammer steht, unter einem schlechten Vorzeichen stehen. Die Freude an Gott sucht sich ihren Weg über die Freude am Menschen.

Ein fünftes: Die Freude an Gott hat sehr diesseitige Züge. Wir haben es in der Lesung gehört: Haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein ... (für dich ,Gregor, muss ich sagen: es kann auch Bier sein). Die Freude an Gott würde für mich verwelken, wenn ich mich nicht freuen könnte an der Schönheit dieser Welt, an der Arbeit, die mir aufgetragen ist; sie würde für mich vertrocknen, wenn ich mich nicht verlassen könnte auf die Zuverlässigkeit und das Wohlwollen von Menschen, die mir nahe stehen. Du wirst auf Dauer spüren, wie wichtig für die Freude an Gott der Schafkopf mit deinen Freunden am Sonntagabend sein wird. Du wirst spüren, dass die Quellen der Freude nicht nur vergeistigt oder spirituell sind, sondern sich aus Festen, aus Lachen, aus der Freude am Schönen speisen. Es ist eine Gefahr für uns Priester, dass wir eines leicht vergessen: Gott hat die Welt und auf ihr so viele Dinge geschaffen, dass wir uns daran freuen und sie auch genießen. Wer in einen Lebensstil hineinschlittert, der nichts mehr genießen lässt, der bringt sich um die Freude. Denn eine alte Lebenserfahrung ist: Wer nichts mehr genießen kann, wird selbst ungenießbar. Nur ein Mensch, der sich selbst freuen kann, der wird auch Freude ausstrahlen und anderen glauben lassen können: Die Freude an Gott ist unsere Kraft.

Lieber Gregor! Die Freude an Gott ist unsere Kraft.
Unter diesem Motto trittst du deinen Dienst als Priester an. Heute spürst du diese Freude im Kreis von Menschen, die sich mit dir mitfreuen. Dir ist aber auch bewusst: Die Freude an Gott muss immer neu auf deinem Lebensweg und den Wegen der Menschen, die den deinen kreuzen, entdeckt werden. Fünf Wege, die ich entdeckt habe, wollte ich dir heute als Gedankenanstoß mitgeben. Ich wünsche dir von Herzen, dass du ein Leben lang dieser Freude auf der Spur sein darfst und sie auch in deinem Dienst ausstrahlen darfst. Denn Menschen, die Freude ausstrahlen, sind wie Pius XII meinte „große Wohltäter der Menschheit“. Als profanes Erinnerungszeichenzeichen an deinen Primizspruch möchte ich dir heute einen kleinen Clown schenken. Am Ende seines Lebens sagte der berühmteste Clown aller Zeiten, Charlie Rivel: „Ich bin ein Clown, mein Glück ist es, andere glücklich und froh zu machen. Ich wurde ein Clown, weil mir Gott diese Gnade geschenkt hat.“ In Anlehnung an seine Worte wünsche ich Dir, dass Du Dir dies manchmal ehrlich sagen darfst: Ich bin Priester, mein Glück ist es, in diesem Beruf selbst Freude zu empfinden und andere glücklich und froh zu machen. Ich wurde Priester, weil Gott mir diese Gnade geschenkt hat.

Pfarrer Stefan Mai


 
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