01.06.2003

Predigt zum Enzyklika-Schreiben

„Über die Eucharistie in ihrer Beziehung zur Kirche“ von Papst Johannes Paul II – aus der Sicht eines Seelsorgers vor Ort

Einleitung
Über 200.000 Dauerteilnehmer auf dem ersten ökumenischen Kirchentag in Berlin. Dazu zig-Tausend Tagesgäste. 700 Seiten stark ist das Programmangebot, das in Diskussionsrunden, Stille, Gottesdiensten und Aktionen um die Themen „Glauben bezeugen – im Dialog leben, Einheit suchen – in Vielfalt einander begegnen, Menschenwürde achten – die Freiheit wahren und Welt gestalten – in Verantwortung handeln“ entfaltet wird.
Viel ist bisher in den Medien nicht herübergekommen. Da ist nur von einem die Rede. Da sieht man immer die gleichen Bilder: Der pensionierte Theologieprofessor Gotthold Hasenhüttl feiert in der evangelischen Gethsemanekirche einen katholischen Gottesdienst, in dem auch die evangelischen Christen zur Kommunion eingeladen werden.
Im Vorfeld zu diesem ersten ökumenischen Kirchentag hatte die Enzyklika über die Eucharistie von Papst Johannes Paul II. großen Staub aufgewirbelt und wurde als antiökumenisch in den Medien zerrissen. Ich denke, der ökumenische Kirchentag in Berlin ist ein guter Zeitpunkt, sich mit diesem Dokument heute einmal näher zu befassen.

Predigt
„Tiefpunkt im Miteinander der Ökumene“, „Rückschlag für die Ökumene“, „Die ökumenischen Uhren werden zurückgestellt“, „Wenn Stillstand schon Fortschritt ist“, „Die Qual mit dem Mahl“, „Es wächst der Ökumenefrust“, „Abendmahls-Enzyklika gießt kaltes Wasser bekannter Dogmen auf Dialog-Praxis“, „Papst bremst Ökumene-Bestrebung der Basis“ - das sind nur einige Überschriften aus den Medien, mit denen Journalisten die neueste Enzyklika „Über die Eucharistie in ihrer Beziehung zur Kirche“ von Papst Johannes Paul II. kommentiert haben.
In der deutschen Medienlandschaft wurde die Sorge vor überstürzten ökumenischen Schritten, die auf ein gemeinsames Abendmahl drängen, wegen des ökumenischen Kirchentags in Berlin als einzige „Stoßrichtung“ herausgestellt. Dafür fehlt aber der Enzyklika der aggressive Ton des Schreibens Dominus Jesus aus der Glaubenskongregation.
Wer Papst Johannes Paul II. ein wenig kennt, der weiß: Johannes Paul ist ein Meister der Symbolik – das hat er in seiner Amtszeit schon immer bewiesen. Und so konnte es gar keinen anderen Zeitpunkt für die Veröffentlichung dieses Weltrundschreibens geben als eben den Tag des letzten Abendmahles, den Gründonnerstag im 25. Jahr seiner Amtszeit.
Der Papst hat ein über weite Strecken persönliches Schreiben verfasst, eher ein Dokument persönlicher Dankbarkeit und Wertschätzung, eher ein Testament eines alten Mannes am Ende seines Lebens als eine Drohschrift: „Vor wenigen Jahren habe ich den 50.Jahrestag meiner Priesterweihe gefeiert. Ich empfinde es als eine Gnade, der Kirche heute diese Enzyklika über die Eucharistie zu schenken, am Gründonnerstag, der in das 25. Jahr meines Petrusdienstes fällt. Ich tue dies mit einem Herzen voller Dankbarkeit. Seit mehr als einem halben Jahrhundert – seit dem 2. November 1946, an dem ich meine Primiz in der Krypta des heiligen Leonhard in der Kathedrale auf dem Wawel in Krakau gefeiert habe – sind meine Augen jeden Tag auf die Hostie und den Kelch gerichtet ... Jeden Tag hat mein Glaube im konsekrierten Brot und im konsekrierten Wein den göttlichen Wegbegleiter erkennen können, der sich eines Tages an die Seite der beiden Emmausjünger gesellte, um ihnen die Augen für das Licht und das Herz für die Hoffnung zu öffnen“ (Abschnitt 59).
In diese Enzyklika ist auch eingegangen, wofür besonders das Herz dieses Papstes schlägt, für das radikale Eintreten für Frieden, Recht und Gerechtigkeit. Für den Papst enthält die Eucharistiefeier die Verpflichtung zu sozialer Verantwortung und fordert die Christen auf, „ihre Pflichten als Bürger dieser Erde nicht zu vernachlässigen“. Die Mitfeier der Eucharistie bringt – so betont das Schreiben – den Auftrag mit sich, das Leben zu verwandeln (Abschnitt 20).
„Die Kirche lebt aus der Eucharistie“ – so sagt es das Gründonnerstags-Rundschreiben und bestätigt damit die Konzilsaussage: „In der Eucharistie liegt die Mitte und der Höhepunkt des kirchlichen Lebens“. Als ein von der Eucharistie selbst beschenkter und ergriffener möchte der Papst das „Staunen über das Geheimnis der Eucharistie“ wiedererwecken. Denn ihn bedrückt – wie viele von uns – die Sorge über die chronische Erkrankung des Sonntags, der sich geradezu dramatisch auch unter uns Christen als Tag des Herrn entleert hat. Immer mehr Getaufte bleiben der sonntäglichen Feier des Herrenmahls fern, sehen keinen Sinn mehr darin, in der Mitfeier „die kirchliche Gemeinschaft zu bewahren und fördern“ (Abschnitt 42). Grund genug, ins Gewissen zu reden.
Was für viele Stein des Anstoßes ist, macht in der über 50seitigen Enzyklika nur wenige Seiten aus und ist nichts Neues: Es kann nur ein Priester gültig die Worte über die eucharistischen Gaben sprechen, der wiederum von einem Bischof geweiht wurde, der in der apostolischen Sukzession steht. Weil dies aus Sicht der katholischen Amtstheologie für evangelische Pfarrer nicht zutrifft, kann auch das evangelische Abendmahl nicht als gültig anerkannt werden. Deshalb ist ein gemeinsames Abendmahl erst möglich, wenn die Ämterfrage geklärt und die Einheit der Kirchen vollendet ist. Kurz auf den Nenner gebracht:

– Ohne Kirchengemeinschaft keine Abendmahlsgemeinschaft
– Ohne einen sakramental gültig geweihten Priester als Leiter der Liturgie keine gültige Eucharistie
– Die Abendmahlgemeinschaft ist Bekenntnis bestehender Einheit im Glauben und nicht Mittel und Weg auf sie hin.

Der Papst sieht das „Geheimnis der Eucharistie“ so eng mit dem „Geheimnis der Kirche“ verbunden, dass er die kirchliche Gemeinschaft voraussetzt, ehe zur eucharistischen Gastfreundschaft allgemein eingeladen werden kann.
Aber was gesagt wird, wird mit Bedauern über die fehlende Einheit und mit Sympathie für die anderen Glaubensgemeinschaften gesagt.
Wer den ökumenischen Fortschritt sucht, muss ein Kenner römischer Verlautbarungen sein und muss den Absatz 45 der Enzyklika aufschlagen. Darin heißt es: „Unter besonderen Umständen“ könne die Kommunion auch „einzelnen Personen“ gespendet werden, die nicht katholisch sind, wenn damit „einem schwerwiegenden geistlichen Bedürfnis im Hinblick auf das ewige Heil einzelner Gläubiger“ entsprochen werden kann. Das sieht das Kirchenrecht bislang nur bei Todesgefahr und anderen schwierigen Notlagen vor. Was sind aber konkret diese besonderen Umstände, unter denen es für Christen aus anderen Kirchen im Einzelfall für möglich erklärt wird, in der katholischen Kirche die Sakramente zu empfangen?
Als Seelsorger vor Ort, dem vor allem konfessionsverschiedene Ehepaare, die ernsthaft nach einem konfessionsverbindenden Glauben suchen, vor Augen stehen, besteht meiner Meinung nach für eine christliche Familie als „Hauskirche“ im getrennten Abendmahl ein „geistlicher Notstand“. Der Wiener Kardinal Schönborn hat auf Anfrage einem evangelischen Christen als Faustregel geschrieben, was dem praktizierenden Gläubigen eine Teilnahme an der katholischen Kommunion erlauben würde: „Wer das Amen zum eucharistischen Hochgebet ehrlichen Herzens sprechen kann, der kann auch die Frucht dieses Hochgebets, die Kommunion ehrlichen Herzens empfangen; der kann auf das Wort des Kommunionspenders „Der Leib Christi“ mit einem ehrlichen und gläubigen „Amen“ antworten.“
Wenn das Rundschreiben jede Ausnahmemöglichkeit für den katholischen Christen verneint, auch das evangelisch Abendmahl zu empfangen, muss meines Erachtens trotzdem eine inzwischen persönlich verantwortete Praxis ernsthafter Christen respektiert werden, die sich an der Würzburger Synode orientiert haben. Dort heißt es im Beschluss „Gottesdienst“ unter anderem: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein katholischer Christ – einem persönlichen Gewissensspruch folgend – in seiner besonderen Lage Gewissensgründe zu erkennen glaubt, die ihm seine Teilnahme am evangelischen Abendmahl innerlich notwendig erscheinen lassen.“
Liebe Leser, das wissen wir doch: Die Auszehrung des Christlichen, die das Enzyklika-Schreiben durch voreilige ökumenische Praxis befürchtet, kommt nicht von den ernsthaften Christen, sondern von der Vielzahl der Getauften in allen Konfessionen, die mit ihrem Glauben gleichgültig, gedankenlos und bequem, so wie es ihnen einfach passt, umgehen. Ich denke: Diejenigen, die sich um das „Geheimnis des Glaubens“ mühen, sollten ermutigt werden, Wege, die sie vor ihrem Gewissen verantworten können, auch zu gehen. Ernsthaftigkeit hat einen Anspruch auf Differenzierung!

Pfarrer Stefan Mai


 
© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de