26.05.2003

Immer wieder wiederkäuen

Predigt zum weißen Montag (Dtn 6,4-9; Joh 6,60-68)

Wenn ihr in der Schule in Biologie einmal genauer die Kuh durchnehmt, dann werdet ihr hören, dass die Kuh zu den Wiederkäuern gehört. Das heißt: Die Kuh frisst relativ hastig, ziemlich große Mengen, bis der Magen voll ist. Wenn sie satt ist, legt sie sich hin und nach einiger Zeit beginnt etwas seltsames. Die Kuh stoppt kurz mit dem Atmen, und man sieht es förmlich, wie sie vom Magen einen Knäuel vom hinuntergeschluckten Gras durch die Speiseröhre wieder ins Maul hochschickt, wieder 16 – 30 Mal darauf herumkaut, bis sie dann das Gras wieder verschluckt. Dieser Vorgang dauert stundenlang und hat den Zweck, dass die Nährstoffe im Futter gut verwertet werden. Als Bub habe ich die Kühe dabei gerne beobachtet. Das war für mich immer ein Bild der Ruhe und Zufriedenheit.
Wir Menschen sind keine Wiederkäuer und können es den Kühen nicht nachmachen. Aber trotzdem gaben die alten Mönche den Menschen den Ratschlag, Worte aus der heiligen Schrift, die ich gelesen oder gehört habe, immer von neuem „wiederzukäuen“. Sie waren überzeugt, der tiefe Sinn dieser Worte geht einem nicht mit einem Mal auf. Sie wussten, dass verschiedene Lebenslagen, in denen ich gerade stehe, das gleiche Wort immer neu verstehen lassen. Sie wussten, der Verstand liebt das Neue, aber das Gefühl die Wiederholung. Sie kannten den Segen der Wiederholung: Wenn ich mir das gleiche Wort, das gleiche Gebet, das gleiche Lied immer wieder durch den Kopf gehen lasse, es vor mich hin spreche oder singe, dann setzt sich das tief in mir fest und wird zu einem wahren Schatz, der mich ein Leben lang begleitet.
Ich glaube diesen alten Mönchen. Wenn etwas nicht wiederholt wird, dann geht es nicht tief. Damit etwas in Fleisch und Blut übergeht, musst du es öfters und immer wieder machen. Das ist schon mit dem Fahrradfahren, dem Computerschreiben, dem Fußballspielen so. Wenn ich ein Gedicht oder Lied lerne, dann bleibt es mir nur auf Dauer im Kopf, wenn ich es von Zeit zu Zeit wiederhole. Und ich denke, noch mehr trifft das in religiösen Dingen zu. Wenn ich beten will, dann werde ich das auf Dauer nur lernen und auch Spaß daran haben, wenn ich es immer wieder tue. Gebete, die ich gern habe, öfters bete, die geben meinem Leben ein Stück Ruhe und sicheren Boden. Es steckt Erfahrung dahinter, wenn alle Religionen zum mehrmaligen Gebet am Tag – am Morgen, beim Essen, beim Schlafengehen – raten. Sie kennen den Menschen gut, seine Bequemlichkeit und Vergesslichkeit.
Wenn ich einen Gottesdienst nur ein paar Mal besuche, dann wir er für mich fremd und exotisch bleiben. Zu einem Ort des Nachdenkens über mich und mein Leben, zu einem Treffpunkt mit Menschen, die wie ich glauben und das sich auch gegenseitig zeigen möchten, zu einer Nahrung, die mir Kraft, Anregungen und Impulse gibt, kann er sich nur entwickeln, wenn ich in einer Regelmäßigkeit daran teilnehme. Sonst fühle ich mich irgendwie fremd oder das ganze wirkt auf mich sogar komisch.
Vom berühmten französischen Maler Francois Milet wird erzählt, dass er nach langer Zeit wieder einmal in sein Heimatdorf zurückkehrte. Er besuchte den Gottesdienst. Der Pfarrer, der zu seiner Kinderzeit im Dorf war und bei dem er zur Kommunion gegangen ist, war noch immer dort. Obwohl er schon alt und gebrechlich war, erkannte er den inzwischen berühmtgewordenen Maler noch. Nach der Kirche ging er auf ihn zu und meinte: „Francois liebst du die alten Psalmen noch so wie früher? Erinnerst du dich noch an ihre Worte, die wir so oft in dieser Kirche gebetet haben?“ Und der Maler gab zur Antwort: „Wie könnte ich sie jemals vergessen. Sie sind doch der Stoff, aus dem ich meine Bilder male!“
Liebe Kinder, sollte ich als alter Mann einer oder einem von euch später begegnen und einer von euch würde mir sagen: „Herr Pfarrer, das Wort, das ich mir zur Kommunion gewählt habe, das habe ich nie vergessen, das begleitet mich bis heute“, ich würde strahlen und glücklich sein.

Pfarrer Stefan Mai


 
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