Niemand muss christlicher sein als er

Gründonnerstag 2016

Einleitung

In der Gründonnerstagsliturgie überlagern sich drei Themen: einmal das letzte Abendmahl, von dem in der Lesung die Rede ist; dann die Fußwaschung, die das Johannesevangelium erzählt; und schließlich die Ölbergstunde, die im Anschluss an den Abendmahlsgottesdienst bedacht wird.
In der heutigen Gründonnerstagsliturgie möchte ich einmal ganz bewusst die Ölbergangst in den Mittelpunkt stellen.

Evangeliumstext
(Lk 22,14-20.39-44)

14 Als die Stunde gekommen war, begab er sich mit den Aposteln zu Tisch. 15 Und er sagte zu ihnen: Ich habe mich sehr danach gesehnt, vor meinem Leiden dieses Paschamahl mit euch zu essen. 16 Denn ich sage euch: Ich werde es nicht mehr essen, bis das Mahl seine Erfüllung findet im Reich Gottes. 17 Und er nahm den Kelch, sprach das Dankgebet und sagte: Nehmt den Wein, und verteilt ihn untereinander! 18 Denn ich sage euch: Von nun an werde ich nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis das Reich Gottes kommt. 19 Und er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und reichte es ihnen mit den Worten: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis! 20 Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sagte: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.
Dann verließ Jesus die Stadt und ging, wie er es gewohnt war, zum Ölberg; seine Jünger folgten ihm. 40 Als er dort war, sagte er zu ihnen: Betet darum, daß ihr nicht in Versuchung geratet! 41 Dann entfernte er sich von ihnen ungefähr einen Steinwurf weit, kniete nieder und betete: 42 Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen. 43 Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und gab ihm (neue) Kraft. 44 Und er betete in seiner Angst noch inständiger, und sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte.

Predigt

Da war Jesus noch gut drauf: in der Runde seiner Jünger. Da wurde gegessen und getrunken, erzählt und gelacht, gestritten und wieder versöhnt. Aber auf einmal wird es feierlich. Jesus nimmt den Kelch, lässt ihn kreisen und spricht: „Von nun an werde ich nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis das Reich Gottes kommt.“
Da wird es still. Eine erste Ahnung steigt in den Jüngern auf. Und als Jesus zum Abschluss des Mahles zum zweiten Mal den Becher nimmt, wird es klar: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, der für euch vergossen wird.“ Das heißt nichts anderes als: Mein Blut wird bald fließen. Der Tod steht mir vor Augen. Ernste Worte, die Jesus gefasst ausspricht.
Aber dann wird es ernst. Der Maler Sieger Köder bringt diese Szene ins Bild.
Bitte Bild von Sieger Köder in die Hand nehmen
Da liegt Jesus am Boden, verkrampft die Hände, schaut fast winselnd zum Himmel. Eine unheimliche Szenerie. Finstere Nacht, gespenstisch schimmert der Mond durch das Ästegewirr der Ölbäume hindurch; deren Zweige greifen fast wie Häscherhände nach ihm.
Aus ist es mit dem coolen Jesus. Er ist aus der Fassung geraten. Das Blutrot seines Gewandes zeigt: Sein Blut ist in Wallung. Es ist nicht so leicht, sein Blut zu vergießen. Es überwältigt ihn die Todesangst. Er zittert um sein Leben. Sein Schweiß tropft wie Blut auf die Erde. So zeigt ihn der Maler: Jesus am Boden.
Der coole Jesus im Abendmahlsaal und der schwitzende Jesus in Getsemanie. Dort das große Wort vom Todes-Kelch, der eine neue Gemeinschaft stiftet – und jetzt die wimmernde Bitte: „Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir!“ Hehre Worte im Abendmahlsaal. Worte der Verzweiflung am Ölberg.
Das kennen auch wir: Coole Worte, wenn es auf ernste Themen zu sprechen kommt. „Das schaffe ich schon!“ „Wofür habe ich denn meinen Glauben?“ „Ich gerate nicht so schnell aus der Fassung!“ „Wie der sich anstellt, der soll einmal die Zähne zusammenbeißen!“
Aber dann: wenn es kommt, wenn es mich trifft … Wenn ich in die Enge getrieben werde. Wenn ich Angst habe vor der nächsten Diagnose. Wenn’s mir heiß wird, weil es mir ständig durch den Kopf schießt: Das schaffe ich nicht!
Muss ich mich dann vor mir selber schämen? Nein: Niemand muss christlicher sein als Er.
Der wimmernde Jesus am Ölberg kann auch ein Trostbild sein. Auch ich darf zittern und wimmern. Auch ich darf zweifeln und verzagen. Auch ich darf darum bitten, dass ich den bittern Kelch nicht trinken muss.
Und vielleicht gibt es auch in meinem Getsemani dann den Engel der Ölbergsgeschichte: einen, der sich neben mich stellt; eine, die mir das Leid nicht wegbläst, aber ertragen hilft; einen, der mir sagt: „Komm, steh wieder auf und probier’s noch mal!“; eine, die sagt: „Ich schau mich wieder nach dir um!“


Liebe Leser,
die Ölbergsgeschichte sagt uns heute Abend: Du brauchst nicht christlicher zu sein als Jesus. Und: Vertrau darauf: Gott schickt auch dir einen Engel!

Fürbitten

Herr, unser Gott, Jesus in seiner Angst vor Augen, bitten wir dich:
- Für alle, die Angst vor der Zukunft haben …
V: Lasset zum Herrn uns beten
A: Herr, erbarme dich (GL 181,1)
- Für alle, die Angst vor und um Menschen haben …
- Für alle, die Angst vor sich selber haben…
- Für alle, die Angst vor Dir, Gott, haben …
- Für alle, die Angst haben, ihren Aufgaben nicht gewachsen zu sein …
- Für alle, die Angst haben, anderen Menschen nicht gerecht zu werden …

Gebet nach der Abräumung des Altars

Vom berühmten Theologen Karl Rahner gibt es eine Litanei vom Ölbergleiden Jesu. Mit den Worten des Hebräerbriefs spricht Rahner den um Hilfe schreienden Jesus an:
In den Tagen deines Erdenlebens hast du unter lautem Aufschrei und unter Tränen Bitten und Flehen vor den gebracht, der dich vor dem Tod bewahren konnte … Und so rufen wir zu dir: Erbarme dich unser!

A: Erbarme dich unser
Jesus, bei der Angst und Trauer jener Stunden
Jesus, bei deinem Zittern und Zagen
Jesus, bei deinem Gebet am Ölberg
Jesus, bei dem Fallen auf dein Angesicht
Jesus, bei der Betrübnis deiner Seele bis zum Tod
Jesus, bei deiner Bitte um die Wegnahme des Leidenskelches
Jesus, bei deiner Verlassenheit durch die schlafenden Apostel
Jesus, bei dem blutigen Schweiß deiner Ölbergangst
Jesus, bei deiner Stärkung durch einen Engel
Jesus am Ölberg, Vorbeter aller Leidenden
Jesus am Ölberg, du Verlassenster aller Verlassenen
Jesus am Ölberg, du Wortführer aller in Angst nach Gott Rufenden
Jesus am Ölberg, du Trost aller in Todesnot qualvoll Ringenden
Wenn du uns Anteil gibst an deinen Ölbergstunden
Wenn uns wie dir Gottes Wille hart und unbegreiflich erscheint
Wenn Trauer und Betrübnis, Ekel und Angst uns wie dich überfallen
Wenn wir versucht sind, unsere Leiden wehleidig zu überschätzen
Wenn wir wie du von den Freunden verraten werden
Wenn wir wie du von aller Hilfe verlassen sind
Wenn Feindseligkeit und Hass uns wie dir begegnet
Wenn uns Liebe mit Undank belohnt wird wie dir
Wenn Gott unser Gebet nicht zu hören scheint
Wenn in der Nacht des Leidens das Licht des Glaubens zu verdunkeln scheint
Wenn in den Ölbergstunden die Hoffnung von der Verzweiflung besiegt zu werden droht
Wenn nichts mehr in uns lebt als unser letztes Elend, unsere äußerste Ohnmacht und Gottes Unbegreiflichkeit
Wenn uns Todesangst wie dich überfällt

Aus: Karl Rahner, Gebete des Lebens, Freiburg i. Br. 1984, 83-85.93f. (Auswahl).

Schlussgebet

Text auf dem Meditationsbild „Die Nacht am Ölberg“.
Best. Nr. 958D.



Pfarrer Stefan Mai

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