Der alte „Esel“ Gott

Predigt zum 30-jährigen Priesterjubiläum von Werner Kirchner

Tagesgebet

Herr Jesus Christus,
als Deine Kirche wollen wir in lebendiger Gemeinschaft
uns nach Deinem Vorbild in den Dienst der Menschen stellen;
gib uns die Gabe, die Nöte unserer Zeit zu erkennen.
Gib uns den Mut und die Kraft,
uns und unseren Mitmenschen in Barmherzigkeit zu begegnen
und darin dir treu zu bleiben.

Lesung aus dem Propheten Jesaja

Bel bricht zusammen, / Nebo krümmt sich am Boden. Babels Götter werden auf Tiere geladen. / Eine Last seid ihr, eine aufgebürdete Last für das ermüdete Vieh.
Die Tiere krümmen sich und brechen zusammen, / sie können die Lasten nicht retten; / sie müssen selbst mit in die Gefangenschaft ziehen.
Hört auf mich, ihr vom Haus Jakob, / und ihr alle, die vom Haus Israel noch übrig sind, die mir aufgebürdet sind vom Mutterleib an, / die von mir getragen wurden, seit sie den Schoß ihrer Mutter verließen.
Ich bleibe derselbe, so alt ihr auch werdet, / bis ihr grau werdet, will ich euch tragen. Ich habe es getan / und ich werde euch weiterhin tragen, / ich werde euch schleppen und retten.

Wort des lebendigen Gottes

Predigt

Ich bin mir sicher: Würde ich Sie fragen: Welchen Titel würdest du diesem Bild geben? Jeder von uns würde sofort antworten: Der barmherzige Samariter. Jeder erkennt ihn sofort, den kräftigen Mann, der nicht wie die beiden feigen Tempelleute an dem halbtoten Fremden vorbeigeht.
Wir bewundern diesen Samariter, der einfach zupackt, ohne darüber nachzudenken, dass Räuber hinter den Büschen lauern könnten und ihn auch eins über den Schädel hauen. Bis heute bewundern wir diesen barmherzigen Samariter, dem die Hilflosigkeit des Fremden auf den Magen schlägt und der einfach zupackt, wo Not ist.
Wir bewundern diesen Samariter, der sich die Not des Fremden etwas kosten lässt und der dafür überhaupt keinen Dank erwartet.

Heute möchte ich aber einmal das Augenmerk auf eine andere Figur auf diesem Bild werfen: auf den Esel, das Tragtier des barmherzigen Samariters. Denn wer ist es denn, der den gutmütigen Dummen macht und den bewusstlosen Fremden in der heißen Sonne die gefährliche Blutsteige hinab nach Jericho in die Herberge schleppt?

Ich finde es atemberaubend, dass Gott sich im Spruch des Jesaja mit diesem Tragtier, dem Esel vergleicht: Bis ihr grau werdet will ich euch tragen, wie ein Esel!

Gott, so dumm und gutmütig wie ein Esel?
Gott, wie ein Esel, der knapp bei Futter gehalten wird und den man trotzdem ganz schön hernehmen kann – zäh ist er ja. Das weiß man.
Gott, dem man wie einem Esel all das aufladen kann, das man selbst nicht mehr tragen will oder kann?

Gott wie ein lasttragender Esel. Vielleicht erschrickt mancher über diesen Vergleich. Für mich ist die Vorstellung von einem Gott, der für den Menschen den Esel spielt, ungeheuer tröstlich. Ich bin dankbar, dass dieser Spruch in der Bibel steht: Ich euer Gott, will euch selber tragen, bis ihr alt und grau werdet. Ich will euch tragen und schleppen.

Werner, jeder von uns weiß, dass der barmherzige Samariter für dich ein großes Vorbild ist. Vor kurzem hast Du Dir eigens in Rumänien eine Ikone malen lassen, die die sieben Werke der Barmherzigkeit in Erinnerung ruft. Und jeder von uns weiß, dass Du schon als Jugendlicher bei den Maltesern im Dienst an den Nächsten unterwegs warst, im Dienst der Barmherzigkeit. Wir können nur ahnen, wievielen Kranken, Verletzten, schmerzverzerrten Gesichtern oder Toten Du bei deinem Samariterdienst als Rettungsassistent oder als Notfallseelsorger in die Augen geschaut hast. Dieser Samariterdienst bei Deiner zweiten Familie, den Maltesern, hat dich in deiner Lebensbiographie entscheidend geprägt.

Und ich denke, dass neben dem gläubigen Elternhaus, in dem Dir eine schnörkellose, einfache und alltagstaugliche Frömmigkeit vermittelt wurde, dein langjähriger Samariterdienst ein entscheidender Impuls war, sich auf den Weg zum Priester zu machen.

In den 30 Jahren Deines Priesterdienstes hast Du eines gespürt: Samariter kann ich für Menschen sein, aber ich bin kein Held, ich brauche ihn, den Esel Gott. Ohne ihn neben mir wäre ich oft so hilflos. Ich brauche ihn, dem ich die Sorgen und Nöte von Menschen aufladen kann.
Ich brauche ihn in all den Ohnmachtserfahrungen, die mir auf Schritt und Tritt zeigen, wie klein und begrenzt meine Kraft ist, trotz allem guten Willen.

Du weißt es aber auch aus Erfahrung als Priester: Die tiefsten Erlebnisse in diesem Beruf sind : Wenn ich manchmal einen Menschen, um den es trostlos und leer ist, unter die Arme greifen kann. Wenn ich Menschen, die sich allein und verlassen vorkommen auf diesen alten Esel Gott hieven und sie wieder ein Stück spüren lassen kann, dass es einen gibt, der sie trägt und schleppt: den alten grauen Esel Gott.

Und du spürst auch Werner, ich brauche ihn selbst, meinen treuen Begleiter. Und was gäbe es Schöneres für einen, der ein Leben lang den Samariterdienst verrichtet hat, wenn er selbst einmal am Boden liegt, dass es dann Samariter gibt, die ihn aufheben, die ihm unter die Arme greifen, wenn er selbst einmal müde und ausgebrannt ist.
Und was gäbe es Schöneres, wenn ihn dann Menschen auf seinen alten Esel Gott legen und wieder darauf vertrauen lassen, was er versprochen hat: Wie ein Esel will ich euch tragen und schleppen, bis ihr alt und grau werdet.

Fürbitten

Jesus Christus hat uns Gott als barmherzigen Vater gezeigt. Deshalb bitten wir voll Vertrauen:
Für Papst Franziskus, unsere Bischöfe und alle Frauen und Männer im Dienst der Kirche: um die Gaben des Heiligen Geistes und um Barmherzigkeit gegenüber den ihnen anvertrauten Menschen. Barmherziger Gott A: Wir bitten dich, erhöre uns.

Für die politisch Verantwortlichen der Staaten: um tatkräftige Förderung von Gerechtigkeit und Frieden und um Gelingen im Einsatz für das Wohlergehen der Menschen und Völker.

Für die Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden, für ihre Eltern und Erzieher: um den Geist der Liebe, der gegenseitigen Achtung und der Verantwortung füreinander.

Für die Männer, Frauen und Kinder in den Kriegs- und Krisengebieten unserer Erde und für alle, die auf der Flucht sind: um Menschen, die sich ihrer annehmen und ihnen helfen, und um Sicherheit und Geborgenheit.

Für die alten Menschen und diejenigen, die unter körperlichen oder seelischen Krankheiten leiden: um die Erfahrung der Nähe Gottes und um Menschen, die ihnen beistehen.

Für Pfarrer Werner Kirchner und alle, die zu einem Leben als Priester oder Ordenschrist berufen sind: um Treue zu ihrer Berufung und den Beistand Gottes in schwierigen Zeiten.

Für unsere Verstorbenen: um das ewige Leben in der Liebe Gottes.


Barmherziger Gott, du schenkst uns mehr als wir erhoffen. Wir danken dir und preisen dich mit allen Erlösten jetzt und in Ewigkeit.


Pfarrer Stefan Mai

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