Vera icon

Predigt zum 2. Fastensonntag C (Lk 9,28b-36)

Einleitung

Das Gesicht ist der Spiegel der Seele, sagte schon Cicero. Und es ist so. Wer Wut im Bauch hat, dessen Gesicht schwillt rot an. Wer erschrickt, wird bleich. Wer nicht gut lügen kann, errötet dabei. Wer bis über die Ohren verliebt ist, dessen Augen glänzen.
Auch vom Gesicht Jesu wird erzählt, dass es bei der Verklärung einen besonderen Ausdruck bekommt. Und auch das hat seinen Grund.

Predigt

Das würden wir gerne wissen: Wie hat er denn ausgesehen, dieser Jesus. Welches Gesicht hatte er? War es schmal? Hatte er eine gerade, scharf geschnittene Nase? Hatte er lange, rabenschwarze lockige Haare, einen Vollbart, schmale Lippen, große schwarze Augen?
Schon immer hat das Aussehen Jesu Menschen fasziniert. Und schon immer waren sie auf der Suche nach einem Bild von ihm, nach dem vera icon, wie es in der Fachsprache heißt. Die Tradition erzählt, Veronica habe in ihrem Schweißtuch das „wahre Gesicht“ Jesu aufbewahrt. Und bis heute gibt es Tücher, in denen ein Abdruck des Gesichtes Jesu verehrt wird. Das berühmteste ist sicher das Turiner Grabtuch, ein Ganzkörper-Bildnis, das die Konturen eines Menschen zeigt. Und mit Papst Benedikt XVI. ist ein kleines Schleiertuch bekannt geworden, das von den Kapuzinern in Manoppello in den Abruzzen aufbewahrt wird. Der Schleier zeigt das Gesicht eines Mannes mit langen Haaren, Bart, geöffneten Augen und leicht geöffnetem Mund. Auf dem Gesicht sind rötliche Flecken sichtbar, die von einigen als Wunden durch Folterungen oder Geißelung interpretiert werden.
Aber merkwürdig: Das Neue Testament beschreibt nirgends, wie Jesus ausgesehen hat. Eine einzige Stelle erzählt von seinem Gesicht. Es ist die Erzählung von der Verklärung, die wir heute gehört haben. Und auch da wird das Gesicht nicht näher beschrieben, sondern nur gesagt, es habe himmlischen Glanz bekommen.
Und kaum haben die Jünger kapiert, was sich vor ihren Augen abspielt, da bekommen sie eine Himmelsstimme zu hören, die ihnen sagt: „Das ist mein auserwählter Sohn. Auf ihn sollt ihr hören!“
Auffällig: Es heißt nicht: Auf ihn sollt ihr schauen! Sondern: Auf ihn sollt ihr hören. Im Staccatostil wird deutlich gemacht: Nicht die Gesichtszüge Jesu sind wichtig, sondern die Worte, die aus dem Mund seines Gesichts kommen.
Der Evangelist will eines deutlich machen: Wenn du diesem Jesus wirklich auf die Spur kommen willst, dann brauchst du nicht nach dem vera icon, dem wahren Gesicht Jesu, zu suchen, sondern brauchst nur auf seine Worte zu hören. Die Evangelien sind voll davon.
Liebe Leser, ist es nicht so? Was eine Person wirklich ausmacht, das sind ihre Worte, ihre Gedanken; das, was sie bewegt und sie antreibt, wofür sie einsteht und sich einsetzt. Da spielt es doch keine Rolle, welche Nase einer hat oder welche Haarfarbe. Da spielt es keine Rolle, ob er groß oder klein, gertenschlank oder rundlich ist.
Was einen Menschen ausmacht, das sind die Worte, hinter denen er steht – und denen er im Leben ein Gesicht gibt.

Fürbitten

Herr Jesus Christus, die Stimme aus der Wolke ruft uns zu: „Auf ihn sollt ihr hören!“ Wir bitten dich:

Lass uns auf dich hören, Herr!

Du hast Worte des Ansporns …
Du hast Worte des Trostes …
Du hast Worte der Ermunterung …
Du hast Worte der Kritik …
Du hast Worte der Zurechtweisung …
Du hast Worte zum Nachdenken …
Du hast Worte der Hoffnung …
Du hast Worte der Anerkennung …
Du hast Worte der Verheißung …
Du hast Worte der Zuversicht …
Du hast Worte des Gottvertrauens …
Du hast Worte der Menschenkenntnis …
Du hast Worte der Lebensweisheit …


Pfarrer Stefan Mai

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