Mensch, gedenke, dass du grünst

Predigt zum Aschermittwoch 2016 (Jes 55,10-13; 44,3-5)

Einleitung

Manchmal passen in der katholischen Liturgie Ritus und Jesusworte, die an diesem Tag verlesen werden, nicht ganz zusammen. So auch am Aschermittwoch. Der ganze Gottesdienst riecht nach Buße. Wir lassen uns dafür als Zeichen feierlich die Asche auflegen – aber vorher im Evangelium heißt es: Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Du aber salbe dein Haar, wenn du fastest, und wasche dein Gesicht!
Wie soll das zusammenpassen?

<>Predigt
Memento mori! Gedenke, o Mensch, dass du Staub bist. Das ist das Motto des Aschermittwochs. Memento mori – die Erinnerung an meine Sterblichkeit will aufrütteln. Will mir bewusst machen: Dein Leben ist nicht unendlich. Nutze die Zeit, die dir zur Verfügung steht. Verschiebe nichts auf morgen. Dann kann es schon zu spät sein. Nimm die Menschen ernst, mit denen du zusammen lebst. Wer weiß, ob du sie morgen noch einmal siehst. Nimm deine Aufgaben ernst. Morgen hast du vielleicht nicht mehr die Kraft dazu.
Mit dem Memento mori bekommt der Aschermittwoch immer den Charakter eines Bußgottesdienstes. Der Staub, der beim Auflegen des Aschenkreuzes von der Stirn über die Nase rieselt, ist ein drastischer Mahner.
Vor kurzem bin ich auf ein Zitat der Hildegard von Bingen gestoßen, die mich das Memento mori in einem ganz anderen Licht sehen lässt. Hildegard von Bingen mahnt: „Mensch, gedenke, dass du grünst!“
Mir scheint fast, als hätte die hl. Hildegard das traditionelle Memento mori bewusst positiv gewendet. Statt: Denke ans Sterben!, sagt sie: Pack das Leben an! Denk an die Kraft, die in dir steckt! Du kannst so viel. Lass deine Begabungen sich entfalten!
Statt zu ermahnen, ermuntert sie: Lass blühen, lass wachsen, lass reifen, was in dir an Gutem angelegt ist!

Statt ein düsteres, graues Todesbild zu zeichnen, malt sie die Lebensfarbe Grün. Sie nimmt nicht das grelle Rot, nicht das stechende Geld, sie nimmt das beruhigende Grün der Wälder, das frische Grün der Wiesen. Sie wählt die Farbe, die das langsame, geduldige Wachsen anzeigt. Die Farbe, in die das Auge lange schauen kann, ohne zu ermüden oder abgelenkt zu werden.
„Gedenke, Mensch, dass du grünst!“ – ein Motto, das uns locken möchte und Mut zusprechen möchte: Lebe! Lass raus, was in dir steckt!

Aschenweihe

Herr, unser Gott, segne du diese Asche,
die aus der Glut hervorgegangen ist.
Segne mit dieser Asche alles, was in uns steckt,
was uns antreibt
und was uns zum Leben hilft.
Gib Leben allem, was in uns verschüttet
und verborgen liegt.
Lass die Lebenskräfte grünen!

Fürbitten

Herr, unser Gott, das Leben und die Kraft zum Leben sind ein Geschenk aus deiner Hand. Höre du unsere Bitten:

- Wir beten für die Kinder, die heranwachsen, die das Leben noch vor sich haben, die des spielerisch anpacken und vieles ausprobieren können …

- Wir beten für die Jugendlichen, die vom Leben träumen, von einem erfüllenden Beruf, von einem verständnisvollen Partner, von glücklichen Sonnenzeiten …

- Wir beten für alle, die in der Kraft des Lebens stehen, die große Energie in sich spüren, die Investitionen wagen und optimistisch in die Zukunft schauen …

- Wir beten für alle, die spüren, dass ihre Kräfte schwinden, dass sie kürzer treten müssen, die sich fragen: Was kommt alles auf mich zu und wer wird einmal für mich sorgen?

- Wir beten für alle Schwerkranken, die Kraft zum Sterben brauchen und auf menschlichen Beistand hoffen …


Pfarrer Stefan Mai

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