Ich bin wie eine Brieftaube

Predigt zum 25. Priesterjubiläum von Stefan Redelberger

„Der Herrgott hat einen großen Tiergarten“, so heißt es bei uns im Volksmund. Das gilt nicht nur für die Menschen allgemein. Das gilt genauso für uns Pfarrer. Welche Priestertierchen finden wir in der Arche, die wir Kirche nennen?, fragt Bernhard Häring, einer der bekanntesten Moraltheologen des letzten Jahrhunderts in seinem Büchlein „Heute Priester sein“.

Und dann beschreibt er humorvoll und treffend anhand von mehr oder weniger lieblichen Tierlein verschiedene Typen von Pfarrern.

Da gibt es den Gockel auf dem Misthaufen. Das Morgenlied des Gockels lautet: „Schau auf mich, Herr! Auf mich kannst du dich verlassen. Sag diesen dummen Hennen, sie sollen auf mich hören, auf mich schauen. Amen.“
Und Häring beschreibt den Gockel, den farbenprächtigen Möchte-gern-Prälaten, der hochnäsig auf die Kleinen herabschaut und seine Weisheit in die Welt hineinkräht.

Ein ganz anderer Typ ist das scheue Rehlein, ein ängstlicher Seelsorger, bei dem nichts vom Geist der Freiheit zu spüren ist, der sich von jeder kirchlichen Autorität gleich einschüchtern lässt, Angst vor den Leuten hat und mit Bauchgrimmen in die Gremien geht.

Außerdem entdeckt er in der Arche ein lustiges Tier, den Affen, den lebensfrohen Priester, der sich selbst nicht so wichtig nimmt, die schwere Kunst beherrscht, sich selbst auf den Arm zu nehmen und andere mit seinem erlösenden Lachen ansteckt;

aber auch das wenig beliebte Stinktier, den pessimistischen Priester, der mit saurem Gesicht über die schlechte Welt klagt und mit seiner negativen Einstellung die Atmosphäre um sich herum verpestet.

Neben diesen Priestertierlein aus der Arche des altersweisen Häring fallen mir noch einige andere ein:
Da gibt es den Wachhund, den Wau-Wau, der gern mit erhobenen Zeigefinger predigt und immer in der Pastoral damit beschäftigt ist, mit neuen Latten von Verboten und Warnungen alle Lücken des Lebens zu verbauen. Er weiß genau zu unterscheiden zwischen lässlichen Sünden und Todsünden, er versteht es blendend, den Leuten andauernd ein schlechtes Gewissen zu machen und produziert dadurch Skrupulanten und Duckmäuser; er stutzt den Vögeln die Flügel, damit sie ja nicht davonfliegen und Nahrung sammeln können.

Da gibt es das Faultier, das in sicherer Position am oberen Ast hängt und schön zuschaut, wie andere, vor allem ehrenamtliche Mitarbeiterinnen sich abzappeln und seine Arbeit mittun. Hauptsache ich habe die Übersicht von oben, doch bewegen will er sich nur schwer, geschweige denn Ideen einbringen, Initiativen anzetteln, selbst vorangehen.

Da gibt es das Zugpferd oder den Zugochsen, der überzeugt ist: Wenn ich es nicht anpacke, nicht selbst vorangehe, mich nicht selbst von früh bis nachts ins Zeug lege und einspannen lasse, dann geschieht nichts. Und der dann vor dem Satz erschrickt: „Wenn du früh schuftest wie ein Pferd, Mittag arbeitest wie ein Ochse und abends müde bist wie ein Hund, solltest du zum Tierarzt gehen!“

Da gibt es den Tintenfisch, der sofort die Flucht ergreift, wenn Gefahr aufzieht oder brenzlige Situationen zu bewältigen sind und dabei noch vernebelnde Tinte versprüht, sodass sich dann keiner mehr auskennt, was jetzt Sache ist.

Oder da ist auch das Chamäleon, das stets als Lieb-Kind seine Farbe wechselt, zu allem Ja und Amen sagt, und die Leute sich zum Schluss überhaupt nicht mehr auskennen, welche Meinung er hat.

Und schließlich den berühmten Elefanten im Porzellanladen, der das große Geschick hat, überall, wo er hinkommt, Porzellan zu zerdeppern.


Der Viecherei soll nun genug sein. Wenn Du Dich, Stefan, mit einem Tierlein aus der großen Arche Gottes vergleichen würdest, welches Tier würde über Dich, über deinen Seelsorgestil und Deine Lebensart viel erzählen können?

Sollen wir bei Dir eher unter den schwergewichtigen Tieren suchen, so etwa einen drolliger Bär, oder - deinen Schnauzer vor Augen - einen Seelöwen?

Wir möchten jetzt von Dir keine Antwort hören. Das kannst Du Dir in einer stillen Stunde überlegen.

Jetzt möchte ich ein Tier wählen, das uns Gemeindepfarrern gut stehen würde – in einer Zeit, in der niemand weiß, wo der Weg eigentlich hingeht.

Ich glaube: Ein gutes Symboltier für einen Pfarrer von heute wäre die Brieftaube. Die Brieftaube will eine Botschaft an den Mann bringen. Sie steht für gelungene Kommunikation. Sie überbrückt große Entfernungen. Ihre Aufgabe ist es, Menschen in Verbindung zu bringen. Zu ihrem Wesen gehört: dauernd unterwegs zu sein, nicht im Taubenschlag sitzen zu bleiben, sondern ständig auf den nächsten Auftrag zu warten.

Ein bekannter Dichter, Christian Morgenstern, vergleicht sich mit einer Brieftaube. Das könnte auch von einem Pfarrer gelten – und sein tieferes Wesen beschreiben:

„Ich bin wie eine Brieftaube, die man in ein fernes, fremdes Land getragen und dort freigelassen hat. Sie trachtet ihr ganzes Leben nach der einstigen Heimat, ruhelos durchmisst sie das Land nach allen Seiten. Und oft fällt sie zu Boden in ihrer großen Müdigkeit, und man kommt, hebt sie auf, pflegt sie und will sie ans Haus gewöhnen. Aber sobald sie die Flügel nur wieder fühlt, fliegt sie von neuem fort, auf die einzige Fahrt, die ihrer Sehnsucht genügt, die unvermeidliche Suche nach dem Ort ihres Ursprungs.“

Wie die Brieftaube lebt ein Pfarrer von heute im Dazwischen:

Er hat die Botschaft von einer anderen Welt auszurichten – und lebt doch mitten in unserer Welt, die sich dafür oft gar nicht interessiert.
Er ist selbst ein Suchender – und viele erwarten von ihm Patentrezepte.
Er wird selbst oft müde – und alle erwarten, dass er forsch voran geht.
Er soll selbst klare Konturen zeigen – und doch zwischen allen unterschiedlichen Positionen vermitteln.
Er soll selbst den Schatz der Tradition hüten – und doch völlig neue Wege beschreiten.
Er möchte klare Führung zeigen – und spürt doch immer selber, wie ohnmächtig und hilflos er eigentlich ist.
Dieses ernste Thema wird in einem Pfarrerwitz humorvoll zur Sprache gebracht:

Ein Pfarrer tritt in einer Stadt seine neue Stelle an. Er kennt sich im Ort überhaupt noch nicht aus und fragt auf der Straße einen Buben nach der Post. Der ist sofort hilfsbereit und zeigt ihm den Weg. Der Pfarrer bedankt sich freundlich beim Buben und meint: Du hast mir den Weg zur Post gezeigt. Wenn du am Sonntag zu mir in den Gottesdienst kommst, dann zeig ich dir den Weg zum Himmel. Da schaute der Bub den Pfarrer groß an und lachte: Wenn du schon den Weg zur Post nicht weißt, wie kannst du mir den Weg zum Himmel zeigen?

Lieber Stefan,
Dein Primizspruch lautet: „Damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ - und Deine Passion ist das Pilgern.
Beides gehört zusammen: „Das Leben in Fülle“ ist nichts anderes als ständig auf der Suche nach dem Leben bleiben.
Das „Leben in Fülle“ ist: das ständig unruhige Herz zu spüren – und sich aufmachen auf neue Wege, die Ungewissheit als Lebensqualität zu begreifen. Das Herz, Sinnbild Eurer Charles de Foucauld Priestergemeinschaft, war ja auch groß auf Deinem Primizbild zu sehen.
„Leben in Fülle“ ist zugeben: Ich weiß den Weg noch nicht. Aber ich habe Sehnsucht danach, den Weg zu finden.
„Leben in Fülle“ heißt: Dazwischen hängen, keine Gewissheit haben – aber diesen Schwebezustand als Chance begreifen.
So ähnlich, wie es Ulrich Schaffer in einem Gedicht geschrieben hat, das uns unser früherer Dekan in Schweinfurt, Heinz Röschert, einmal in einer Seelsorgskonferenz auf den Weg gegeben hat:

Wir hängen dazwischen.
Altes ist leer geworden.
Worte und Gesten betreffen uns nicht mehr.

Wir warten. Wir überlegen.
Wir sind unsicher. Wir ahnen.

Das Neue ist noch nicht da.
Vorsichtig hat es sich angedeutet.
Es hat noch keinen Namen.
Unsere Vorstellungen sind noch zu eng.
Müdigkeit ist unser gefährlichster Feind,
und die Mutlosigkeit begleitet uns
wie ein ständiger Schatten.

Ich will Altes loslassen,
um wieder Neues umarmen zu können.
Und auch das will ich wieder loslassen,
in einer ständigen Entwicklung
auf meinen Ursprung zu,
auf die Vollkommenheit,
aus der ich komme und zu der ich gehe.


Pfarrer Stefan Mai

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