Zieh Nino den Schuh mit dem Steinchen wieder an!

Predigt zum Lichtmesstag (Lk 2,22-40)

Einleitung

Viele haben von Euch am Freitag Abend die Übertragung der Fasnacht aus Veitshöchheim gesehen. Da kam der bekannte Michel Müller als Gemeindearbeiter zu einem Spielplatz und hat dabei das Verhalten heutiger Mütter und Väter zu ihren Kindern beobachtet. Und hat kräftig die übertriebene Sorge um ihre Kinder aufs Korn genommen. Heutige Kinder wachsen überbehütet und sogar ein Stück verweichlicht auf, anstatt sie auch auf die Realität und Härten des Lebens vorzubereiten – so das überspitzte Resümee des Komikers.
So manche/r wird sich jetzt fragen: Was hat dieser Michel Müller mit dem heutigen Lichtmesstag zu tun. Wenn man das Evangelium des heutigen Tages Ernst nimmt, meine ich: Sehr viel.

Predigt

In ihrem Buch "Das Kind in der Familie" schreibt Maria Bargoni: "Ein dreijähriges Kind weinte verzweifelt und zeigte dabei auf eines seiner Füßchen. Das Kindermädchen nahm es in den Arm und zog ihm den kleinen Schuh aus, in dem sich ein winziges Steinchen befand. ‚Ah’, rief daraufhin die Frau aus, 'siehst du? Dieses schlimme Steinchen hat dir so wehgetan. Das böse Steinchen! Wir werden es weit wegwerfen!'
Da ging die Mutter dazwischen und fuhr das Kindermädchen an: 'Zieh Nino den Schuh mit dem Steinchen wieder an! Ich meine das ernst; tu, was ich dir sage!' Und sie gehorchte. Die Mutter ging nun an das andere Ende des Zimmers, drehte sich um und bückte sich nieder; sie öffnete ihre Arme, und mit einem liebevollen Lächeln rief sie ihren Kleinen zu sich: 'Du hast mich doch so lieb, komm her und umarme mich, ohne zu weinen, mit dem kleinen Steinchen im Schuh!' Und das Kind ging, etwas wackelig zwar, aber ohne zu weinen, und warf sich in die Arme der Mutter, die ihm etwas sagte, was es jetzt noch nicht verstand, aber diese Worte hat sie in der Folge immer wieder wiederholt: 'Du musst es immer so machen wie jetzt. Geh deinen Weg, ungeachtet aller Hindernisse, die es immer im Leben gibt. Denk an die Worte deiner Mutter: Man kommt nicht in den Himmel, außer mit einem Steinchen im Schuh!'

Solche Sätze sind alles andere als der Traum von einem schmerzfreien Leben. Solche Sätze sind alles andere als ein Plädoyer für alles von den Kindern fernhalten wollen, was ihnen vielleicht weh tun könnte. Solche Sätze sind von der Überzeugung getragen: Jeder Mensch braucht einmal viel Kraft im Leben, um das Leid , das auf ihn zukommt, zu tragen. Ein Leben, das nur aus Freuden besteht, ist eine Illusion. Da wir alle auch mit schmerzlichen Ereignissen rechnen müssen, ist es klug, die Kinder nicht in Watte zu packen, sondern ihnen zu helfen, schon von allem Anfang an auf die Enttäuschungen und schweren Wegstrecken des Lebens gelassen zu reagieren.


Die Mutter hat aber auch deutlich gemacht. Wir sind für dich da und helfen dir, so gut wir können. Um Leid und Schwierigkeiten des Lebens zu bestehen, braucht es Menschen, die für dich da sind und die zu dir stehen.

Im Lichtmessevangelium breitet ein alter Mann namens Simeon seine Arme aus, um das Jesuskind freudig zu empfangen. Er stellt dieses Kind als große Hoffnung Israels dar. Aber er macht auch der Mutter eines deutlich: Auf dieses Kind wird viel Schweres zukommen, es wird einmal angefeindet werden. Und du als Mutter wirst das Schwere nicht aufhalten können, du wirst es nur mit ihm aushalten können, wenn dir vor Schmerz ein Schwert durch die Seele dringt.

Liebe Kinder, liebe Erwachsene,

ich habe heute eine Marienikone der orthodoxen Kirche mitgebracht. Schaut sie einmal ganz genau an:
Da hält die Mutter Maria ihr Kind ganz fest im Arm. Das Jesuskind klammert sich mit seiner Hand fest am großen Finger der Mutter. Das Gesicht der Mutter ist traurig, als hätte sie eine böse Vorahnung. Und das Kind schaut sich um und erschrickt so sehr, dass ihm eine Sandale vom Fuß fällt. Denn es sieht einen Engel, der ihm schon das Kreuz zeigt, das ihm als Erwachsenen auf die Schulter geladen wird.

Wir wollen heute diese Marienikone bei unserer kleinen Lichterprozession vorantragen und auf sie schauen. Und uns von ihr sagen lassen: Auch wenn wir von einem schmerzfreien Leben träumen – irgendwann wird Schweres auf uns zukommen. Bete schon heute darum, dass es dann Menschen gibt, die zu dir halten und vertraue darauf, was uns eine alte Volksweisheit in ganz einfachen Worten sagt: Wenn du meinst es geht nicht mehr, dann kommt von irgendwo ein Lichtlein her.

Fürbitten

Für die Kinder und Jugendlichen,
dass sie mit guten Freunden, Freundinnen und Vorbildern heranwachsen können.

Für alle, die in der Erziehung tätig sind:
um die Fähigkeit, in den Kindern Kräfte zu mobilisieren, die sie brauchen, wenn Schweres auf sie zukommt

Für die Elterngeneration:
um die Kraft zu unterscheiden, was Fürsorge und übertriebene Sorge ist.

Für uns selbst:
um die Erfahrung, dass der Glaube uns auch im Leid und auf schweren Wegstrecken trägt und Kraft gibt

Für die alten Menschen,
dass sie ihre Lebensweisheit und Erfahrungen an die nächsten Generationen weiter geben.

Für unsere Toten. In diesem Gottesdienst beten wir für...

Lass sie die Erfüllung ihres Lebens und Frieden finden im Himmel.


Pfarrer Stefan Mai

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