Rabeneltern oder Planungseltern?

Predigt zum Fest der hl. Familie 2015 (Lk 2,41-52)

Einleitung

Die „heilige Familie“ kann man als Keule benutzen, sie als hehres Vorbild vor Augen stellen, das nie zu erreichen ist: totale Harmonie, bester Zusammenhalt, höchste Frömmigkeit.
Die „heilige Familie“ kann man auch als Trost benutzen für die Schwierigkeiten des Lebens. Man braucht nur an die unklaren Verhältnisse vor der Geburt und die unmenschlichen Verhältnisse bei der Geburt zu denken – oder an die Flucht.
Man kann die „heilige Familie“ aber auch als Anfrage an unsere Zeit und unser Familienideal verstehen.

Predigt

Nicht zu glauben: Einen ganzen Tag sind sie schon unterwegs auf der Pilgerreise und merken erst am Abend, dass ihr Sprössling abhanden gekommen ist. Sie glauben es immer noch nicht – und denken: Der wird schon irgendwo mitlaufen, wahrscheinlich treibt er sich mit seinen Freunden weiter hinten herum. Der kommt von schon wieder. Erst zu später Stunde wird es ihnen spanisch: Der Kerl ist immer noch nicht da. Und sie fangen – endlich – zu suchen an. Und werden nervös: Er ist wirklich nicht dabei. Er ist uns verloren gegangen. Und sie fangen wie die Verrückten zu suchen an. Die Rede ist von Maria und Josef.
Hand aufs Herz, haben Sie nicht auch den Eindruck: Ganz schön leichtsinnig, die heilige Familie, wenn nicht sogar Rabeneltern. Einfach Leute, die kein Verantwortungsgefühl haben. Eltern, die einfach alles laufen lassen. Na so was!
Bei uns käme das nicht vor. Wir nehmen unsere Kinder an die Hand. Wir haben unsere Kinder immer bei uns. Wir lassen unsere Kinder nie alleine. Da ist immer jemand da, der auf sie aufpasst. Wir bringen unsere Kinder zur Schule – und holen sie auch wieder ab. Wir schauen genau, mit wem unsere Kinder verkehren. Wir sagen dem Lehrer schon, dass er so mit unserem Kind nicht umgehen kann. Wir haben einen strengen Zeitplan für unsere Kind. Nachmittags um vier geht’s zum Musikunterricht, anschließend zum Ballett,
der Junge geht zum Fußball, damit er sich austobt – und Yoga wäre auch nicht schlecht als Entspannung nach der Schule. Ja, eine gute Entwicklung muss einfach geplant sein. Und man muss den Kindern von klein auf sagen, was wichtig ist im Leben. Aus ihnen soll doch schließlich etwas werden. Sie sollen’s doch einmal besser haben als wir. Und da ist Planung und Kontrolle einfach alles.
Aber einmal ehrlich: Sind das nicht ausgesprochene Planungseltern? Sind Kinder da eigentlich noch frei – oder haben sie nur die Wünsche ihrer Eltern zu verwirklichen.
Auf diesem Hintergrund erstaunen mich die beiden Fragen im heutigen Evangelium.
Die Eltern fragen das Kind: „Wie konntest du uns das antun?“ Und das Kind fragt seine Eltern fast protzig zurück: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“
Ich sehe darin die beiden Pole, die in jeder Erziehung Eltern austarieren müssen: ihren Kindern klare Führung zeigen, aber sie nicht reglementieren. Nicht den Kindern beibringen wollen, was sie selbst nicht geworden sind oder nicht geschafft haben, sondern ein gutes Auge haben für die Stärken, die in einem Kind liegen. Nicht sagen: So machst du das – und nicht anders. Sondern: Ernstnehmen, wenn ein Kind sagt: das reizt mich, das möchte ich lernen, so möchte ich einmal werden.

Fürbitten

Die Realität unseres Lebens und unsere Sehnsüchte klaffen oft breit auseinander.
Lasst uns zu Gott, unserem Vater, rufen:


Führe deine Kirche auf den Weg der Solidarität mit allen,
deren große Erwartungen auf stabile
und treue familiäre Verhältnissen enttäuscht wurde.

Lenke die Entscheidungen und Gedanken unserer Politiker auf die realen Nöte derer,
die ihre Kinder in eine bessere Zukunft begleiten wollen.

Bewahre Eltern vor allzu überspannten Erwartungen an ihre Kinder und übertriebener Sorge um ihre Kinder

Mach unsere Herzen weit für das Elend der unbegleiteten Jugendlichen auf der Flucht
und jener Jugendlichen, die damit leben müssen,
dass ihre Eltern sich nicht um sie kümmern

Heile die vielen zerbrochenen Beziehungen
und segne alle jene Paare,
die sich tagtäglich um das gute Gelingen ihrer Beziehung bemühen.

Führe unsere Verstorbenen in ihre ewige Heimat bei dir.


Pfarrer Stefan Mai

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