Sich die Ohren zuhalten – oder hellhörig werden?

Predigt zum Stefanustag 2015 (Apg 6,8-10; 7,54-60)

Einleitung

Neulich auf einem Geburtstag hat ein Opa mit seinen drei Enkeln das berühmte Affenbild vorgespielt: Alle drei saßen auf seinem Schoß. Ein Enkel hielt sich die Augen zu, der andere den Mund, der dritte die Ohren: nichts sehen, keinen Piep von sich geben, nichts hören. Ein lustiges Spielchen.
Aber heute in der Stefanusgeschichte wird es damit ernst. Da halten sich auch Leute die Ohren zu.

Predigt

„Als sie seine Rede hörten, waren sie aufs Äußerste über ihn empört und knirschten mit den Zähnen … sie erhoben ein lautes Geschrei, hielten sich die Ohren zu und stürmten gemeinsam auf ihn los, trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn.“
Das war schon immer die Reaktion von Menschen, die sich angegriffen fühlen, die ihr System in Frage gestellt sehen; die Angst haben, da deckt einer etwas auf und fühlt uns auf den Zahn; da will einer radikale Veränderungen einfordern, die uns aus den gewohnten Bahnen werfen und uns nicht weitermachen lassen wie bisher.
So reagiert vor allem, wer Angst hat, dass sein Einfluss schwindet, dass er seine Meinung nicht mehr unhinterfragt durchsetzen kann – und am Ende vom Sockel gestoßen wird.
So reagiert, wer genau spürt: Eigentlich hat dieser Kritiker gar nicht so Unrecht. Der sieht einen wunden Punkt, den wir lieber verbergen möchten.
Genau das war bei Stefanus der Fall. In einer langen Rede zeigt er den Starrsinn von Religion und ihren Beamten auf. Er greift ihr Beharrenwollen an. Und er zeigt seinen Gegnern auf, dass ihre scheinbar unverrückbaren Grundsätze eigentlich im Gegensatz zu ihrer eigenen Tradition stehen.
Und bei den Worten dieser fundierten Kritik halten sie sich die Ohren zu und schreien auf.
Man hätte auf Stefanus auch ganz anders reagieren können: Auch wenn es weh tut, auch wenn es an die eigene Substanz geht, hätte man hellhörig werden, die Ohren aufmachen können. Man hätte spüren können, da weist uns jemand auf Mankos hin und erweist uns, auch wenn es schmerzt, einen großen Dienst.
Man hätte spüren können: Da will uns einer nichts Böses, sondern nur vor einer Sackgasse bewahren.
Liebe Leser,
Lukas, der uns diese Geschichte von Stefanus erzählt, fragt uns bis heute: Wie geht ihr mit Kritikern in euren Reihen um? Schreit ihr sie nieder, macht sie mundtot, oder werdet ihr hellhörig – und fragt euch: Ist da nicht was Wahres dran, was uns weiterbringen könnte?

Fürbitten

Sein Glaube schenkte Stefanus Kraft zum Widerspruch und zur Kritik. Wir beten:

Für die verfolgten Christen in den Ländern des Nahen Ostens und Asiens:
Beschenke sie mit der Kraft und Stärke deines Geistes.

Für die Menschen, die sich Hassparolen widersetzen,
die Vorurteile und Ressentiments beim Namen nennen,
die für Recht und Gerechtigkeit kämpfen:
Gib ihnen einen langen Atem

Für alle, die meinen aufgrund ihrer eigenen Glaubensüberzeugung andere verfolgen und töten zu müssen:
Wandle ihre Herzen und schenke ihnen Toleranz und Mitgefühl.

Für alle, die in unserem Staat für die Rechtsprechung,
unsere Gesetze und deren Befolgung Verantwortung tragen:
Erfülle sie mit dem Geist der Weisheit und des Rates.

Für alle, die auf keinen Menschen mehr hören,
jede berechtigte Kritik abprallen lassen
oder gar gnadenlos verfolgen:
Schenke ihnen Einsicht und Gedanken des Friedens

Für alle, die mit anderen im Unfrieden leben:
Lass sie den ersten Schritt zur Versöhnung wagen.

Für alle Sterbenden in den Krankenhäusern,
in ihrem gewohnten Lebensbereich,
auf den Straßen oder den Kriegsschauplätzen dieser Erde
und alle Verstorbenen.
Wir denken heute an........
Zeige ihnen deinen geöffneten Himmel


Pfarrer Stefan Mai

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