„Brav“ – im ursprüngliche Sinn des Wortes

Predigt zum 2. Adventssonntag 2015

Predigt

Einmal kam der heilige Nikolaus am 6. Dezember zum kleinen Klaus. Er fragte ihn: »Bist du im letzten Jahr auch brav gewesen?« Klaus antwortete: »Ja, fast immer.« Der Nikolaus fragte: »Kannst du mir auch ein schönes Gedicht aufsagen?« – »Ja«, sagte Klaus:
»Lieber, guter Nikolaus,
du bist jetzt bei mir zu Haus,
bitte leer die Taschen aus,
dann lass ich dich wieder raus.«


Der Nikolaus sagte: »Das hast du schön gemacht.« Er schenkte Klaus Äpfel, Nüsse, Mandarinen und Plätzchen. »Danke«, sagte Klaus. »Auf Wiedersehen«, sagte der Nikolaus. Er drehte sich um und wollte gehen. »Halt!«, rief Klaus. Der alte Nikolaus schaute sich erstaunt um. »Was ist?«, fragte er. Da sagte Klaus: »Und was ist mit dir? Warst du im letzten Jahr auch brav?« – »So ziemlich«, antwortete der Nikolaus. Da fragte Klaus: »Kannst du mir auch ein schönes Gedicht aufsagen?« »Ja«, sagte der Nikolaus:
»Liebes, gutes, braves Kind,
draußen geht ein kalter Wind,
koch mir einen Tee geschwind,
dass ich gut nach Hause find’.«

»Wird gemacht«, sagte Klaus. Er kochte dem Nikolaus einen heißen Tee. Der Nikolaus schlürfte ihn und aß dazu Plätzchen. Da wurde ihm schön warm. Als er fertig war, stand er auf und ging zur Türe. »Danke für den Tee«, sagte er freundlich. »Bitte, gerne geschehen«, sagte Klaus. »Und komm auch nächstes Jahr vorbei, dann beschenken wir uns wieder. Und vergiss es nicht! Brav sein! Gell brav sein!« – »Natürlich, kleiner Nikolaus«, sagte der große Nikolaus und ging hinaus in die kalte Nacht.
(Geschichte von Alfons Schweiggert)

Eine köstliche Nikolaus-Geschichte.
Das kennen wir alle aus unseren Kindertagen. Der Nikolaus fragt: Warst du auch schön brav? Schön brav sein, dann bekommst du ein Geschenk.
Ein braves Kind – welch ein Lob. Das heißt so viel wie: Unser Kind gibt uns keine Widerrede, spurt, ist gehorsam, artig, lieb.

Dabei kommt das Wörtchen brav aus einer ganz anderen Bedeutung. Es kommt vom Lateinischen barbarus (barbara): ausländisch, wild. Und kam über die romanischen Sprachen in unseren Wortschatz. „Bravo“ – heißt im Spanischen bis heute der junge Stier. Das französische Wort „Bravour“ bedeutet lobenswerte Leistung.
Brav heißt also eigentlich: mutig, stark, tapfer.
Die deutsche Sprache hat dieses mutige Wort zu artig, lieb, alles machen, was verlangt wird, umfunktioniert.

Der Evangelist Lukas stellt im heutigen Evangelium einen mutigen und tapferen Mann vor. Für ihn sind die tapferen Männer nicht die großen Namen wie Kaiser Tiberius, Pilatus, Herodes und Philippus oder die Hohenpriester Hannas und Kaiaphas, die ein „Bravo“ verdienen, sondern dieser ausgeflippte Johannes der Täufer.

Der fühlt sich gedrängt, zu sagen, was ihm wichtig ist, was er als seinen Auftrag erkannt hat, auch wenn es den anderen nicht passt und er damit kräftig aneckt. Er lässt sich nicht verbiegen und steht dafür ein, bleibt konsequent bis zum Ende.
Und er fordert auch mutige, tapfere Schritte von seinen Zuhörern: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg sich senken. Was krumm ist. soll gerade werden, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.

Das wissen wir alle, es erfordert Mut, aufrichtig und gerade zu leben.
Es erfordert Mut, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und Brücken zwischen Menschen zu bauen, wo Funkstille zwischen Menschen herrscht und die Verbindung abgebrochen ist.
Es erfordert Mut, Gräben der Vorurteile zuzuschütten und Vertrauen zu stärken.
Nichts erfordert mehr Mut, als sich im offenen Gegensatz zu gängigen Trends seiner Zeit zu befinden und zu sagen: Nein! Da mache ich nicht mit.
In unserer Gesellschaft erfordert es von Eltern inzwischen Mut, für Kinder Hindernisse aus dem Weg zu räumen und Wege zu bereiten, damit der Glaube an Gott bei ihnen ankommen und Fuß fassen.

Liebe Leser,
stellen Sie sich einmal vor, zu Ihnen käme heute der Nikolaus und würde Ihnen die Frage stellen: Warst Du auch brav? „Brav“ – nicht im Sinne von gehorsam, artig, lieb, sondern im ursprünglichen Sinn des Wortes: tapfer, mutig, stark? Was würde Ihnen da einfallen?

Fürbitten
(nach einem Gebet von Heinz Pangels)

Herr, unser Gott, wir bitten dich heute um Mut und Tapferkeit Höre unser Gebet.

Gib uns einen klaren Blick,
dass wir schauen können, was ist.

Gib uns einen wachen Geist,
dass wir urteilen können, wie es ist.

Gib uns einen scharfen Verstand,
dass wir sehen, was von uns verlangt wird.

Gib, dass wir unterscheiden lernen,
was sinnvoll und nützlich ist.

Gib uns den rechten Sinn,
dass wir zu prüfen und zu wägen imstande sind.

Schenke uns allzeit die rechte Erkenntnis
und die notwendige Einsicht
sowie die erforderliche Kraft zum Handeln.

Lass uns stets die Grenzen unseres Tuns
im Auge behalten und auch bedenken,
dass wir trotz unseres guten Willens
nicht alles vermögen,
da wir in vielen Dingen
auf andere angewiesen sind,
dass uns von manchen bewusst
oder auch unbewusst Grenzen gesetzt werden.
Lass uns daher unser Können und unsere Kräfte
richtig einschätzen und dementsprechend einsetzen.


Pfarrer Stefan Mai

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