Wenn ich vor Angst vergehe ...

Predigt zum 33. Sonntag im Jahreskreis (Mk 13,24-32)

Predigt

In einem Buch, in dem Briefdokumente junger Leute niedergeschrieben sind, befindet sich folgender Text: "Ich bin ein Mädchen von 13 Jahren und könnte eigentlich mit meiner Umwelt zufrieden sein. Aber etwas bedrückt mich ständig. Und dieses Etwas heißt Angst.
Ich habe Angst vor dem Tod, Angst vor dem Leben, Angst vor der Wahrheit, Angst vor Noten, Angst vor dem Sporttag, Angst vor der Liebe, Angst vor der Nacht, Angst vor dem Weltuntergang, Angst vor dem Krieg, Angst vor einem Traum, Angst vor Ablehnung, Angst vor Spott, Angst vor dem Ausgelachtwerden, Angst vor der Angst. Angst und nochmals Angst.
Es ist zum Verrücktwerden. Das Schlimme ist: Ich weiß gar nicht, woher sie kommt und warum gerade ich diese Angst zu tragen habe."

So wie diesem Mädchen geht es vielen heute. Das Schlimme an der Angst ist, dass sie oft nach außen nicht gesehen wird, aber innen würgt.

Was Angst mit einem macht, kann man am besten mit Bildern ausdrücken. Wer Angst hat, dem wankt der Boden unter den Füßen. Wer Angst hat, für den verfinstert sich alles. Wer Angst hat, für den bricht eine Welt zusammen. Wer Angst hat, für den fallen die Sterne vom Himmel. Vor Angst kann man "vergehen", vor Angst kann man "eingehen".

Wenn wir unsere sprachlichen Bilder ernst nehmen, dann kommt mir das heutige Evangelium gar nicht mehr so abstrus vor. Denn genau diese Angstbilder werden dort ausgemalt: Da verfinstert sich die Sonne, die Sterne fallen vom Himmel, da bricht eine Welt zusammen.

So gesehen sind das gar keine Bilder vom Ende der Welt mehr, sondern Bilder, die in der Seele aufsteigen: Angstbilder. Und die treiben einen um.
Wer vor Angst vergeht, der kann keinen klaren Gedanken mehr fassen, der ist verwirrt. Wem sich die Welt verfinstert, der hat keinen Durchblick mehr. Der ist selbst durcheinander. Da ist nicht nur außen die Welt in Unordnung, sondern in ihm ist ein furchtbares Chaos.
Und es ist nur verständlich, dass man dann ausreißt, davonläuft, ziellos hin- und herrennt auf der Suche nach sicherem Boden, auf der Suche nach einem Lichtblick.

Im Evangelium wird in der höchsten Not ein solcher Lichtblick genannt: Der Menschensohn erscheint und mit ihm seine Engel. Und die Engel, heißt es, die sammeln die Verwirrten von den vier Winden her.

Ich verstehe diese Aussage besser, wenn ich sie wiederum als ein Bild auffasse. Die Engel "sammeln" alle, die vor Angst ausreißen, die in allen Windrichtungen herumspringen. Die Engel bringen denen Sammlung, die durcheinander sind. Die Engel bringen die zur Ruhe, die überdreht sind.

Liebe Leser, wir werden um Angst im Leben nicht herumkommen, auch als Christen nicht. Aber mit dem heutigen Evangelium wird mir verheißen: Wenn ich vor Angst vergehe, dann schickt mir der Menschensohn Engel, die mir helfen, wieder Sammlung und Ruhe zu finden. Und diese Engel des Menschensohnes müssen keine Flügel haben.

Fürbitten

Herr, unser Gott, täglich schreien und rufen Menschen in ihrer Not zu dir. Wir bitten dich:

Für die Menschen, die gerade einen Weltuntergang erleben,
die aus Ruinen fliehen,
die zu Fuß über die Berge kommen.
Wir rufen zu dir:
Herr, Komm mit großer Macht und Herrlichkeit


Für die Menschen, die Weltuntergänge machen,
die Interessen mit Gewalt durchsetzen,
die Angst und Schrecken verbreiten.
Wir rufen zu dir:
Herr, Komm mit großer Macht und Herrlichkeit


Für die Menschen, die Weltuntergänge durchbrechen,
die in Konflikten friedliche Lösungen suchen helfen,
die Lebenschancen schaffen für Menschen vor Ort.
Wir rufen zu dir:
Herr, Komm mit großer Macht und Herrlichkeit


Für die Menschen, die sich vor Weltuntergängen nicht fürchten,
die mutig Unrecht beim Namen nennen,
die wirtschaftliche Interessen offenlegen.
Wir rufen zu dir:
Herr, Komm mit großer Macht und Herrlichkeit


Für die Menschen, denen die Welt untergeht,
die unheilbar krank sind,
die sterben werden.
Wir rufen zu dir:
Herr, Komm mit großer Macht und Herrlichkeit


Für die Menschen, die bereits aus dieser Welt gegangen sind.
Wir beten heute stellvertretend für alle Verstorbenen für...
Wir rufen zu dir:
Herr, Komm mit großer Macht und Herrlichkeit


Pfarrer Stefan Mai

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