Fegefeuer – ein alter Zopf?

Predigt zum Allerseelentag

Einleitung

Ich kann mich noch gut an eine Religionsstunde Mitte der 80er Jahre in Frickenhausen erinnern. Die Kinder wollten wissen, was Fegefeuer und Hölle heißt. Ich ließ sie als erstes Bilder malen, so wie sie sich Fegefeuer und Hölle vorstellen. Joachim stellt sein Bild der Klasse vor: Da züngelten die Feuer, in einem riesigen Kochtopf saß ein Mann, der darin wie ein Grillhähnchen schmorte und kleine Teufelchen brachten ihm etwas zu essen und zu trinken. Der kleine Joachim begann zu schmunzeln und meinte: „Des is der Pfarrer, der da drinhockt und griecht grod eiserne Klöss zum Frassen und Miststrotzen zum Saufen“.
Wir schmunzeln, aber welche Vorstellung von Fegefeuer haben Sie?

Fürbitten GL 680/9

Predigt

Bei jeder Beerdigung steht der Sarg oder die Urne vor diesem Bild, das der Maler Christian Urlaub im Jahr 1754 gemalt hat. Bei jedem Requiem feiern wir unter diesem Bild die Eucharistiefeier. Bei jeder Beerdigung haben wir dieses Bild von den „Armen Seelen im Fegfeuer“ vor Augen. Was ruft dieses Fegfeuerbild in Ihnen hervor?

- meditative Musik -

Auch hier sind züngelnde Flammen zu sehen. Händeringend schauen Menschen nach oben und schreien zum Erzengel St. Michael, der in einem Kelch das Blut Christi, den Gnadenstrom auffängt und es als Rettung zu den Armen Seelen bringt. Bilder dieser Art haben die Fegfeuervorstellung der Menschen über Jahrhunderte geprägt als eine Art Warteschleife zum Himmel. Nach dem Tod befinden sich die armen Seelen an einem Reinigungsort, dem purgatorium. Das Fegefeuer ein Ort, an dem die Menschen ihre Sünden noch abbüßen, bis sie dann geläutert in den Himmel aufgenommen werden und einziehen können.

Heute interpretiert die Theologie das Fegefeuer anders. Das Fegefeuer geschieht in der Gottesbegegnung im Tod. Das heißt: Es ist weder räumlich - also kein "Ort" - noch zeitlich - also keine lange "Phase" zwischen dem Tod und dem endgültigen Eingehen in Himmel oder Hölle - und schon gar kein Wartezustand. Vielmehr ist Gott selber in der Begegnung mit dem Menschen das "Fegefeuer". Denn diese Begegnung hat für den Menschen neben aller Glückseligkeit immer auch etwas Gewaltiges, Erschreckendes, ja Verzehrendes an sich.
Ich stelle mir vor: Wenn wir Gott in unserem Tod begegnen, werden wir zum ersten Mal erkennen, wer wir in Wahrheit sind. Gott braucht gar nicht über uns Gericht sitzen, er braucht nicht auf uns einzureden, er wird uns nicht sagen: In dem und dem Punkt hast du erbärmlich versagt, das muss ich dir ankreiden.

Ich bin fest davon überzeugt: Ein Gericht in diesem Sinn wird es bei Gott nicht geben. In dieser Begegnung mit einem liebenden Gott, werden uns die Augen über uns selbst aufgehen. Wir werden, wenn Gottes Angesicht vor uns aufleuchtet, mit einem Mal begreifen, was wir hätten sein können und was wir in Wirklichkeit waren. Alle Selbsttäuschungen und Illusionen, die wir unser Leben lang in uns aufgebaut haben, werden mit einem Schlag zerbrechen. Das wird schmerzhaft sein und uns durchfahren wie ein Feuer. Die Gottesbegegnung im Tod konfrontiert den Menschen unerbittlich mit seiner eigenen Unvollkommenheit. Sie hält dem Menschen gewissermaßen einen Spiegel vor Augen - das Bild, das er selber hätte sein können, wenn er im Sinne Gottes gelebt hätte.
Diese Konfrontation schmerzt. Dieser Erkenntnisprozess fordert vom Menschen "Trauerarbeit". Zugleich wird er beschämt durch die grenzenlose Vergebungsbereitschaft Gottes, der ihn trotz seiner Sünden annimmt.
Ein Mann, dessen Frau gestorben war, nahm das Bild seiner verstorbenen Frau in die Hand und sagte: "Meine Frau habe ich nicht verdient!" Er hatte ihr das Leben zur Hölle gemacht, war untreu gewesen, hatte ihr als Alkoholiker Gewalt angetan. Die Frau hatte immer zu ihm gehalten. Im Tod erkennt er: Ich habe ihre Liebe und Treue nicht verdient!
Wenn uns ein guter Mensch sein Vertrauen schenkt, erkennt man manchmal mit Erschrecken, wie wenig man das Vertrauen verdient hat. Erfahrungen dieser Art machen uns deutlich, warum uns die endgültige Begegnung mit Gott zum Gericht wird. Wenn Gott uns anschaut, erkennen wir, wer wir sind. Gott braucht uns nicht auf die Anklagebank zu setzen; er braucht uns unsere Schuld nicht vorzurechnen. Gott ist Liebe und bleibt Liebe. Er verurteilt und bestraft uns nicht. Wir selber erkennen unsere verweigerte Liebe. Diese Erkenntnis ist unser Gericht und auch unser Fegefeuer. Wir werden gerettet, meint der Apostel Paulus wie durch ein Feuer hindurch.
Und Raphael Hornbach gießt diesen Glauben in die Worte:

...Wie weit du auch gehen musst,
durch Nächte und Tage,
durch Regen und Sonnenschein,
ob du weinen wirst
oder lachen darfst,
einmal - du wirst überrascht sein -
stehst du vor dem,
von dem du hergekommen bist.
Er wird dich nichts zu fragen brauchen,
er sieht dich, wie du bist.
Du wirst ihn nichts zu fragen brauchen,
du siehst ihn, wie er ist.
Er hat dir nachgesehen,
als du anfingst zu gehen.

Am Ende
bist du Aug in Auge
bei Gott.

Das ist Heimkehr
ein - für allemal.

Und wenn du abbiegst -
wer wäre nicht abgebogen?
du kommst vor Gott.
Auf deinen Abwegen
kommst du vor Gott.
Gott sieht dich kommen,
Gott kommt dir entgegen.


Pfarrer Stefan Mai

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