Auf Goldgrund gemalt

Predigt zu Allerheiligen 2015

Einleitung

„Wir heißen Kinder Gottes und sind es“ – diese Worte hören wir heute am Allerheiligenfest in der Lesung und der Johannesbrief schreibt weiter: „Wir werden ihm ähnlich sein, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“
Gott ist der Ursprung unseres Lebens und wir werden bei ihm wieder das Ziel unseres Lebens finden – das möchten uns diese Worte und das heutige Allerheiligenfest glauben lassen.

Predigt

Die Berliner Künstlerin Heike Gerasch besichtigte 2008 im Alten- und Pflegeheim Köpenick in Berlin eine Foto-Ausstellung. Die Bewohner hatten diese selbst gestaltet mit alten Familienfotos, Briefen und Erinnerungsstücken, die quer durch ein ganzes Jahrhundert reichten. Während die Künstlerin die Bilder betrachtete wurde ihr bewusst:
„So viele Lebensgeschichten, Erinnerungen, Wissen und Weisheit waren hier gebündelt und nur wenige, zumeist Angehörige und Besucher der Heimbewohner, nahmen dies großartige jedoch unscheinbare Zeugnis wahr.“
Und sie hatte dann eine geniale Idee: „Ich hatte auf einmal den Wunsch, die Alten aus ihrer Anonymität ins Rampenlicht zu holen.“ So entstand die Idee, 100 alte Menschen aus diesem Pflegeheim zu malen und auszustellen.
Zuerst entwirft Barbara Gerasch den Malgrund: 100 Holztafeln bespannt sie mit einer Strukturtapete. Dann wird jede Tafel mit Blattgold überzogen. Gold als Zeichen der Wertschätzung. Diese Tafeln werden dann mit der Ankündigung des Vorhabens in allen Fluren des Heims aufgehängt. Die Bewohnerinnen und Bewohner betrachten sie zunächst voller Skepsis: „Da soll ich drauf? Das ist doch Gold?“ – „Ja, eben darum“, antwortet die Künstlerin.
Und es ließen sich hundert Menschen auf Goldgrund malen: Gesichter mit Schmunzel- und Sorgenfalten, mit gütigem und verbitterten Blick, mit erloschenen Augen und im Alter noch hellwachen.
Gesichter, auf denen das Leben Spuren hinterlassen hat. Viele der Bewohner sind verwirrt, dement, vom Leben gezeichnet. Im Alter treten oft negative Charakterzüge hervor. Manchmal erkennt man die früheren Persönlichkeiten kaum noch, und die Individualität scheint verloren zu gehen. Und doch leuchtet in den alten Menschen immer wieder auf, was sie einmalig und besonders macht. Und das malt Heike Gerasch auf Goldgrund.
Bei einem Besuch im Pflegeheim hat der für Kunst aufgeschlossene Pfarrer Alexander Höner die 100 Altenporträts entdeckt, und die Idee zu einer Kunstinstallation in seiner Friedrichshagener Kirche ist geboren. Die 100 Bilder von den alten Menschen werden zu einem großen vier mal fünf Meter großen Altarbild. Wie in einer großen Ikonenwand werden die einhundert Porträts in den Altarraum gehängt und umrahmen das steinerne Altarbild mit der Kreuzigungsszene.
Liebe Leser, für mich ist dieses Altarbild mit den hundert alten Menschen ein modernes Allerheiligenbild. Jeder Mensch ist so etwas wie eine heilige Person, gemalt auf Goldgrund mit seiner je eigenen Würde. Mit den Falten und Runzeln des Alters. Mit den Freuden und Sorgen des Alltags, mit den Erfolgen und Niederlagen. Mit den Glücksmomenten und Schicksalsschlägen des Lebens. Auf Goldgrund gemalt, ist ihnen ein Stück ewiges Leuchten geschenkt. Ein Leuchten, das dem ähnlich ist, das die christlichen Marien- und Heiligendarstellungen noch tausend Jahre nach ihrer Herstellung ausstrahlen.

Eine merkwürdige Versammlung alter Menschen auf Goldgrund , diese seltsame Gemeinschaft zeitgenössischer Heiliger, deren alte und zerfurchte Gesichter noch einmal leuchten. Überstrahlt vom Licht der Gegenwart des leidenden und auferstandenen Christus. Erfüllt von dem Glanz, den jedes noch so unscheinbare Leben in sich trägt.
Stell dir vor: Auch dein Gesicht gehört zu dieser Gemeinschaft der Heiligen, die wir heute am Allerheiligentag feiern!

Fürbitten

Herr, unser Gott, du bist heilig und alle Menschen, die dich ernst nehmen, strahlen etwas von deiner Heiligkeit aus. Wir bitten dich:

Wir beten für alle Menschen, die der Heilung bedürfen: die Kranken, die Notleidenden, die Verbitterten, die Trauernden
V: Christus höre uns - A: Christus erhöre uns

Wir beten für diejenigen, die mit Liebe und Verständnis für andere da sind: für die in Pflegeberufen Tätigen, für die Ärzte, für die Eltern und alle die ein offenes Auge und Ohr für ihre Mitmenschen haben

Wir beten für alle, die sich bemühen, in der Nachfolge Christi zu leben: für die Ehrenamtlichen in unserer Gemeinde, für alle, die sich fragen: Wie kann ich meinen Glauben heute leben

Wir beten für die Menschen, die sich einsetzen für Frieden und Gerechtigkeit unter den Völkern und Staaten: für die Politiker und Diplomaten, für die Entwicklungshelfer und alle, die mutig für Menschenrechte eintreten

Wir beten für unsere Toten, die uns im Leben geprägt haben und denen wir viel zu verdanken haben. Stellvertretend für alle nennen wir heute die Namen von...


Pfarrer Stefan Mai

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