Bettler sind wir, das ist wahr

Predigt zum 30. Sonntag im Jahreskreis (Mk 10,46-52)

Einleitung

Am Sonntag vor Allerheiligen ist in vielen Städten Deutschlands der verkaufsoffene „Mantelsonntag“. Früher kamen an diesem Tag die Leute von außerhalb in die Stadt, um sich für kalte Tage einzudecken.
Auch im Evangelium wird heute von einem Mantel erzählt: Er gehört dem blinden Bettler Bartimäus und ist seine Lebensgrundlage, sein einziger Besitz. Der große Schutz für die Armen. Im Buch Exodus gibt es deswegen die Gesetzesregelung: „Falls du wirklich den Mantel deines Nächsten zum Pfand nimmst, sollst du ihm diesen zurückgeben, ehe die Sonne untergeht; denn er ist seine einzige Decke, seine Umhüllung für seine Haut.“ (Ex 22,25–26) Bartimäus hat keine Arbeit und keine Sozialversicherung, die ihn ummantelt. Nur sein Mantel ist ihm materielle Sicherheit, die ihm keiner nehmen darf.
Es ist ein starkes Motiv, wenn der Evangelist Markus erzählt, dass Bartimäus seinen Mantel wegwirft, als Jesus ihn ruft.
Der heutige Weltmissionssonntag lenkt den Blick auf Menschen, die materiell kaum mehr haben wie dieser Bartimäus – die aber mit ihm eines teilen: Die Kraft und den Reichtum des Glaubens

Predigt

Als Martin Luther starb, fand man auf seinem Schreibtisch einen letzten Satz, den er kurz vor seinem Tod geschrieben hat: „Wir sind Bettler, das ist wahr“. Wie ein Vermächtnis ist dieser Satz. Wir sind Bettler, hilfsbedürftige Wesen, die immer auf andere und letztlich auf die Hilfe Gottes angewiesen sind: Wir sind Bettler, das ist wahr.

Lebhaft ist mir in Erinnerung, wie ich mit Kindern die Geschichte des blinden Bettlers Bartimäus in einem Bilderbuch von Kees de Kort angeschaut habe. Ein blutrotes Gesicht, das aus Leibeskräften brüllt: Hab doch Erbarmen mit mir. Und wie die Kinder diesen Sehnsuchtsschrei nachmachten, bis sie rot anliefen und nicht mehr konnten.

Der blinde Bartimäus steht stellvertretend für alle Menschen, die in ihrer Not aus der innersten Seele heraus zu Gott schreien und ihn anbetteln. Ich behaupte: Die eigentlichen, die wesentlichen und die ehrlichsten Gebete, das sind die Gebete vor einer Grenze oder einer Mauer, Gebete in der Ausweglosigkeit, wo man nichts mehr in den Händen hat und keine Wege mehr weiß. Geschriene Gebete, geweinte Gebete, gestammelte Gebete, oder einfach hilflos stumme Gebete. Aber dann ertappen wir uns selbst und haben Scheu, so zu beten, weil wir uns schämen, immer erst zu Gott zu kommen, wenn wir keinen eigenen Ausweg wissen. Oft werten wir selbst die um Hilfe schreienden Gebete ab.

Das tun im Evangelium auch die Jünger und wollen dem Bartimäus das Maul verbieten. Aber da heißt es: Jesus blieb stehen. Das berührt mich. Er wertet diesen Hilferuf nicht ab. Er hört ihn, nimmt ihn ernst und er fragt sogar nach: Was soll ich dir tun, was willst du genau? Rabbuni, ich möchte wieder sehen können, kommt dem blinden Bettler über die Lippen und die Antwort Jesu: Geh! Dein Glaube hat dir geholfen...

Dieser Schluss zeigt mir: bei der Heilung des blinden Bartimäus haben wir es nicht mit einer Hokuspokus-Geschichte zu tun, sondern mit einer tiefsinnigen Erzählung.

Hinter dem „ich möchte wieder sehen können“, steckt mehr als das Augenlicht wieder bekommen. Dahinter steckt die Sehnsucht, einen neuen Blick auf das Leben gewinnen. Durch die Begegnung mit Jesus gewinnt das Leben des Blinden wieder eine neue Perspektive. Den Mantel – Symbol für bisherige Lebensgewohnheiten - wirft er weg und er lässt sich auf einen neuen Weg mit diesem Jesus ein. Die Jünger laufen nur mit und verstehen Jesus die ganze Zeit nicht. Aber dieser Blinde schaut tiefer. Und es heißt: Er konnte wieder sehen und folgte Jesus auf seinem Weg.

Liebe Leser,

Im Markusevangelium ist klar, wohin dieser Weg Jesu führt, er führt nach Jerusalem ans Kreuz. Das heißt klipp und klar: Der Lebensweg des neu sehenden Bartimäus wird auch von nun an nicht eitel Sonnenschein sein, der wird nicht nur auf Rosen gebettet sein. Aber Bartimäus hat kapiert: mein Glaube hilft mir.

Die eigentlichen, die wesentlichen und die ehrlichsten Gebete, das sind die Gebete vor einer Grenze oder einer Mauer, Gebete in der Ausweglosigkeit, wo man nichts mehr in den Händen hat und keine Wege mehr weiß. Geschriene Gebete, geweinte Gebete, gestammelte Gebete, oder einfach hilflos stumme Gebete. Niemand weiß, ob sie erfüllt werden. Aber ob ich nicht in diesem Glauben: Jesus hört den Schrei und bleibt bei mir in der Not stehen, meinen Weg anders gehen kann?

Fürbitten

Herr Jesus Christus, heute am Weltmissionssonntag kommen Menschen auf der ganzen Welt mit ihren Bitten zu dir und beten füreinander in ihren Sorgen und Anliegen. Höre und erhöre sie.

Für die Menschen, die in ihrem Alltag mit vielen Problemen zu kämpfen haben und Leid ertragen müssen. Gib ihnen Kraft und Mut. Lass sie Menschen finden, die ihnen zuhören und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Alle: „Herr, gib uns Mut zum Glauben an dich, den einen Herrn.
Wir danken dir, denn du bist uns nicht fern.“ (GL 448,4)


Für alle kranken Menschen, die durch ihre Krankheit ausgegrenzt, einsam und verlassen sind: Hilf, dass sie nicht verzweifeln. Sorge du für sie und sende ihnen Menschen, die für sie Verständnis haben und sich um sie kümmern.

Alle: „Herr, gib uns Mut…“ (GL 448,4)

Für alle, die an den Rand der Völkergemeinschaft gedrängt sind, weil sie keine Schul- und Berufsausbildung oder keine Arbeit haben: Schenke ihnen Möglichkeiten, sich mit ihren Fähigkeiten für das Wohl aller einzubringen. Lass sie Menschen finden, die ihnen einen Arbeitsplatz anbieten.

Alle: „Herr, gib uns Mut…“ (GL 448,4)

Für alle Christen in der Welt: Bewahre ihnen die Begeisterung für Jesus, lass sie davon getragen sein und mit Freude und Entschlossenheit ihren Lebensweg gehen. Hilf, dass der Glaube an Jesus Christus verbindet und ermutigt, füreinander, für die Welt Verantwortung zu übernehmen.

Alle: „Herr, gib uns Mut…“ (GL 448,4)

Für uns selbst: Schenke uns die Bereitschaft, menschenfreundlich und barmherzig zu handeln. Hilf uns, einander mit Achtung und Respekt zu begegnen, einander zu helfen und so Zeugnis abzulegen für Jesus.

Alle: „Herr, gib uns Mut…“ (GL 448,4)

Für alle Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, ihre Heimat verloren haben: Gib ihnen Menschen zur Seite, die ihnen Gastfreundschaft gewähren und Geborgenheit schenken. Hilf ihnen, dass sie hier Wurzeln schlagen können und eine neue Heimat finden.

Alle: „Herr, gib uns Mut…“ (GL 448,4)

Für unsere Verstorbenen. In diesem Gottesdienst nennen wir stellvertretend die Namen von...........
Nimm sie auf in dein Reich und lass sie für immer bei dir wohnen. Schenke ihnen erfüllende Freude, die nie endet.

Alle: „Herr, gib uns Mut…“ (GL 448,4)

(Fürbitten leicht verändert übernommen aus Materialheft Sonntag der Weltmission 2015, S. 28)


Pfarrer Stefan Mai

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