Einfach mit Herz

Predigt zum Rosenkranzfest 2015

Einleitung

Wenn ich die Frömmigkeitsgeschichte unserer Katholischen Kirche betrachte, fällt mir immer wieder das gesunde Gespür des einfachen Volkes auf. Es spürte: Es ist wichtig, dass Menschen mehrmals feste Zeitfenster haben, die sie an Gott erinnern und zum Gebet einladen. Es wusste aber auch, die vielen Gebetshoren der Klöster sind unserem Arbeitsalltag nicht angemessen und überfordern uns – und so entwickelte sich das Gebet „der Engel des Herrn“, an den es sich mit der Glocke in der frühen Morgenstunde, zu Mittag und nach getaner Arbeit am Abend erinnern lassen wollte.
Die einfachen Leute wussten: Wir können nicht wie die Mönche die 150 Psalmen des Alten Testaments dauernd beten. Und so entwickelte sich der Rosenkranz mit seinen fünf mal zehn „Gegrüßet seist du Maria“. In Wertschätzung dieses einfachen Gebetes haben unsere Vorfahren unserem Steigerwalddom den Namen „Maria vom Rosenkranz“ gegeben und erinnern uns jedes Jahr am Patrozinium: Dieses Gebet hat viele im Glauben und Leben getragen. Lasst es nicht leichtsinnig in Vergessenheit geraten.

Predigt

Im Urlaub bin ich mit meinem Freund wieder einmal vom Grödner Tal zur Seiser Alm gelaufen. Vor ein paar Jahren hatte es uns dort die neu erbaute Franziskuskirche angetan. Ein mutiger moderner Bau. Außen in Holzverschalung die abstrahierte Form einer Taube. Innen edle Einfachheit – Wandverkleidung Holz, Altar, Ambo, Tabernakel aus Beton, in der Apsis ein abstraktes blaues Glasfenster, in einer Gebetsnische eine moderne große Franziskusfigur.

Wie es bei solch durchdachten modernen Kirchen oft ist: Nach einer gewissen Zeit hält man die spartanische Strenge nicht aus. Überall werden Blumen hingestellt – das geschah im Vergleich zu unserem ersten Besuch vor ein paar Jahren auch hier. Und die wesentlichste Veränderung: im Altarraum stand jetzt eine kitschige Madonna mit einem Rosenkranz um den Hals.
Mein Freund und ich mokierten uns darüber: Wie kann man nur das einheitliche Gesicht und die Kraft eines solch einheitlich konzipierten Raumes so zerstören. Doch dann passierte etwas, was uns sehr nachdenklich machte: Eine ältere italienische Frau kam in die Kirche, lief schnurstracks auf die – in unseren Augen so kitschige Madonna – zu, nahm den Rosenkranz der Madonna in die Hände und küsste ihn unentwegt und versank im Gebet.
Nach einer Weile verließ sie die Kirche. Die Tür öffnete sich wieder und sie kam mit ihrem etwa 5-jährigen Enkel, der sein Plappermäulchen nicht halten konnte, herein. Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn zur Madonna, nahm wieder den Rosenkranz und küsste ihn. Und das Bübchen machte es seiner Oma andächtig nach, wurde ruhig und betete ergriffen an der Seite seiner Oma.

Diese einfache italienische Oma gab den beiden deutschen gescheiten Theologen viel Stoff zum Nachdenken. Sie stellte ohne Worte die Frage in den Raum: Was glaubt ihr zählt mehr, die hohe klare Theologie oder die einfache praktische Volksfrömmigkeit mit Herz? Was hilft dem Menschen mehr zu einem vertieften Glauben: Klare und kluge Gedanken oder eine leicht vermittelbare, begreifbare und praktische Frömmigkeit?

Ich möchte Verstand und Herz, hohe Theologie und einfache Volksfrömmigkeit nicht gegenseitig ausspielen. Denn ich bin fest überzeugt: Beide brauchen sich gegenseitig. Glaube ohne Verstand wird blind. Und Glaube ohne Herz und Gemüt wird kalt.

Diese einfache italienische Frau gab uns aber für den Rückweg eine Lektion mit: Am Ende sind es Menschen wie diese alte Frau, die den Glauben vorleben und weitertragen, die vermitteln wollen, wie man Gott lieben und im Glauben an ihn Halt finden kann. Wie man in schweren Tagen mit einem schmerzhaften Rosenkranz Trost und Hilfe finden kann und wie man mit dem freudenreichen Rosenkranz Gott danken und mit dem glorreichen staunen kann.
Diese alte Frau machte uns auch wieder einmal klar: Du wirst dies nur können, wenn du deinen Glauben regelmäßig pflegst und du wirst ihn nur weitergeben können, wenn er dir selbst ans Herz gewachsen ist und dir ein Wert ist.

Liebe Leser, am Abend, als ich die Predigt fertig hatte, nahm ich beim Einschlafen mein Rosenkränzchen in die Hand und habe einfach an die italienische Oma und ihren Enkel gedacht und Gott Danke gesagt für diese Begegnung und Glaubenslektion im Urlaub.


Pfarrer Stefan Mai

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