Der erste Platz

Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis (Mk 9,30-37)


Einleitung

ich liebe in unserer Liturgie der Eucharistiefeier die stillen Zeichen, die nicht kommentiert werden, bei denen wir uns auch oft nicht viel denken, weil wir sie gewohnt sind und für uns einfach dazugehören.
Wer denkt schon daran, wenn der Priester zu Beginn des Gottesdienstes zum Altarkuss schreitet, dass damit ausgedrückt wird: Gott, ich möchte mich im Glauben auf dich stützen. Ich verneige mich vor dir und hab dich gern.
Für viele ist der Ritus zwischen Ministranten und Pfarrer bei der Gabenbereitung ein alter Zopf und ein Stück herrschaftliches Pfarrersgehabe. Ich liebe diesen Ritus: Wenn die Ministranten kommen, machen die Ministranten vor dem Altar und mir eine Verneigung. Ebenso mache ich als Priester vor den Ministranten eine Verbeugung. Für mich ein starkes Zeichen, das ausdrücken will: Wo Menschen voreinander im übertragenen Sinn einen „Diener machen“ - da gelingt menschliches Leben.

Predigt

Vor ein paar Monaten schickte mir ein ehemaliger Ministrant – inzwischen selbst in einer führenden Position in der Automobilbranche – ein paar Zeilen aus einem Buch, die ihn nachdenklich gemacht haben. Sie lauteten:

„Wir verhalten uns alle wie Wanderer, die auf dem Weg in die Stadt sind. Unterwegs verirren wir uns, doch wir gehen weiter, nur allein von dem Ziel getrieben, vor dem anderen zu bleiben und nur ja nicht ins Hintertreffen zu geraten. Der Positionskampf wird zu unserem Los und Schicksal. Wenn es keinen richtigen Platz gibt, dann ist der beste Platz an der Spitze.“

In diesen Sätzen wird ein Zug unserer Zeit auf den Punkt gebracht: Nicht fragen, wohin führt das alles. Im Kampf um die Positionen Hauptsache vor dem anderen sein, vorne dran sein.

Von einer ähnlichen Denke sind auch die 12 im heutigen Evangelium gefangen. Sie sind auf dem Weg, nehmen gar nicht wahr, wohin dieser führt. Und fechten einen Positionskampf aus: Wer von ihnen der Größte ist.

Da nimmt sich Jesus die Seinen an die Brust und stellt diesem Rangeleidenken um den ersten Platz sein Lebenskonzept gegenüber: Wer der erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein!
Und er unterstreicht diesen provozierenden Satz noch mit einer Zeichenhandlung. Er stellt ein Kind in die Mitte – Kinder hatten damals lange nicht den Status wie bei uns - herzt es und meint damit: Menschen, die wirklich groß sind, haben die Menschen im Blick, die auf andere angewiesen sind, die zu den Schwachen gehören. Die Großen in unserer Gesellschaft sind nicht die in hohen Positionen, sondern die Männer und Frauen, die zum Gelingen des Lebens in ihrer Umgebung beitragen, die ihre Lebenskraft, Begabungen und Talente im Dienst an Menschen einsetzen.

Aber sonderbar: Ausgerechnet die 12, denen Jesus ihr kindisches Verhalten mit seinen Worten und seiner Zeichenhandlung vor Augen führen will, kapieren nichts. Wenig später geht unter ihnen der Kampf um die Positionen wieder los.

Ganz anders eine Studentin, die mit 25 Jahren an Krebs gestorben ist, und die kurz vor ihrem Tod schrieb:

Was am Schluss zählt, ist allein die Menschlichkeit und Liebe. Strukturen, Hierarchien, Machtstreben, Titel und Eitelkeiten sind letztlich unwichtig. Und wenn du in deinem Leben nur einem Menschen eine Sekunde Freude bereitet hast, dann bist du tiefer im Leben gewesen als alle, die nach oben streben und etwas sein wollen.

Fürbitten

Herr unser Gott, die Sätze im heutigen Evangelium sind Sätze, die uns über unsere Lebenshaltung und -gestaltung zum Nachdenken bringen. Wir bitten dich:

L1 : Er fragte sie: Worüber habt ihr unterwegs gesprochen?
L 2: Lass uns manchmal darüber nachdenken, um welche Themen unsere alltäglichen Gespräche hauptsächlich kreisen

L1: Wer der erste sein will, soll der Diener aller sein
L 2: Stärke alle, die ihr Leben als Dienst an den Menschen verstehen und lass sie auch Dankbarkeit erfahren

L 1: Sie verstanden den Sinn seiner Worte nicht, scheuten sich jedoch zu fragen
L 2: Sei allen nahe, denen du ein rätselhafter Gott geworden bist. Schenke ihnen Augenblicke im Leben, die nach dir fragen lassen

L1: Wer ein solches Kind um meinetwillen auf nimmt, der nimmt mich auf
L 2: Begleite alle Eltern, die Kinder ins Leben führen mit deinem Segen und schenke allen, die sich um die vielen Flüchtlinge in unserem Land kümmern, Kraft und einen langen Atem

L 1: Wir beten für unsere Toten. In diesem Gottesdienst denken wir an...L 2: Nimm sie in deine Arme


Pfarrer Stefan Mai

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