40 Jahre Senioren Frankenwinheim

Wenn ich als Bub mit meinem Vater in den Wald spazieren gegangen bin, dann war es immer das erste: Ich durfte mir einen Haselnussstecken abschneiden. Der wurde geringelt und verziert. Und es war ein richtiges Vergnügen, mit diesem Stock durch die Flur zu spazieren.
Als Kind macht es einem Freude, sich auf einen Stock zu stützen. Im Alter schaut das anders aus: Wie lange versuchen alte Menschen das mit dem Stock hinauszuziehen. Wie lange weigert man sich ihn zu nehmen. Der Stock im Alter zeigt jeden Tag: Es geht nicht mehr wie früher.

Eine alte Volksweisheit sagt: Den Stab für das Alter musst du dir schon in deiner Kindheit schnitzen. D.h. was dich im Alter tragen soll, darum musst du dich schon seit frühen Tagen bemühen.

Wenn du als erwachsener und alter Mensch Freunde haben willst, mit denen du über alles reden kannst, dann musst du dir sie schon in jungen Jahren suchen. Später ist es schwer, enge Freundschaften zu knüpfen. Ich werde es nie vergessen, wie ich beim Abschied von den Senioren in meiner ersten Pfarrstelle in Frickenhausen an die Senioren die Frage stellte: Was würden Sie mir als alte Menschen als Ratschlag für das weitere Leben mitgeben. Da stand eine alte Frau auf, und unter Tränen meinte sie: Suchen Sie sich gute Freunde in jungen Jahren. Im Alter wird es schwer, sie zu finden.

Den Stab für das Alter musst du dir schon in deiner Kindheit schnitzen.
Wenn du im Alter mit Menschen in Kontakt sein willst, dann musst du schon in früheren Jahren auf Menschen zugegangen sein. Sie merken es wohl selbst. Viele von Ihnen sind schon über viele Jahre regelmäßig bei diesen Seniorentreffen in Frankenwinheim dabei. Da wächst mit den Jahren Vertrautheit.

Den Stab für das Alter musst du dir schon in deiner Kindheit schnitzen.


Wenn du als alter Mensch nicht vor Langeweile vergehen willst, dann brauchst du einen Stock, an den du dich halten kannst. Dann brauchst du Beschäftigungen, Dinge, die dir Freude bereiten, die dir das Gefühl geben: Ich tue etwas Sinnvolles. An diesen Dingen musst du schon in früheren Jahren Freude gefunden und auch regelmäßig gepflegt haben.

Den Stab für das Alter musst du dir schon in deiner Kindheit schnitzen. Wenn du einmal im Alter dankbar und zufrieden auf dein Leben zurückblicken willst, dann musst du schon in jungen Jahren nicht alles für selbstverständlich nehmen, sondern eine Kultur der Aufmerksamkeit pflegen und dankbar für das Schöne und Gute, das dir widerfährt, sein. Dann musst du nicht immer mehr wollen und beizeiten einüben, dass Lebensqualität wesentlich davon abhängt, ob ich mit dem zufrieden bin, was ich habe.
Den Stab für das Alter musst du dir schon in deiner Kindheit schnitzen. Wenn du an diesem Stab der Zufriedenheit und der Dankbarkeit beizeiten schnitzt, dann kann es möglich sein, dass du zu einer staunenswerten Lebenshaltung im Alter kommst, wie ein Arzt von einem Mann im Altenheim erzählt:

Ein Arzt besuchte seine Patienten im Altenheim. Ihm fiel ein 96-jähriger Mann auf, der stets zufrieden und freundlich war. Eines Tages sprach ihn der Arzt darauf an und fragte nach dem Geheimnis seiner Freude. Lachend antwortete der alte Herr: „Herr Doktor, ich nehme jeden Tag zwei Pillen ein, die helfen mir!“
Verwundert schaute ihn der Arzt an und fragte: „Zwei Pillen nehmen Sie täglich? Die habe ich Ihnen doch gar nicht verordnet!“
Verschmitzt antwortete der Mann: „Das können Sie auch gar nicht, Herr Doktor. Am Morgen nehme ich gleich nach dem Aufstehen die Pille Zufriedenheit. Und am Abend, bevor ich einschlafe, nehme ich die Pille Dankbarkeit. Diese beiden Arzneien haben ihre Wirkung noch nie verfehlt.“
„Das will ich Ihnen gerne glauben“, meinte der Arzt. „Ihr gutes Rezept werde ich weiterempfehlen. Zufriedenheit und Dankbarkeit sind Gewalten, vor der alle finsteren Mächte weichen.“


Den Stab für das Alter musst du dir schon in deiner Kindheit schnitzen. Wenn dir im Alter einmal die Menschen wegsterben, mit denen du dein Leben geteilt hast, die dir wichtig waren im Leben, wenn du nicht mehr so kannst, wie du willst – und wenn du dann einen Stock im langsamer Einsamwerden, in deiner Trauer und Angst haben willst, dann wird es sich zeigen, ob du dich schon in jungen Jahren bemüht hast, diesen besonderen Stock zu schnitzen: den Stab des Glaubens. Eine zittrige Hand kann ihn meist nicht mehr schnitzen. Wie oft erfahre ich es an den Kranken- und Sterbebetten, dass es gerade die Gebete und Lieder aus der Kindheit sind, die letzten Trost und Halt geben.

Liebe Senioren,

der Stab der Freundschaft, der Stab einer sinnvollen Beschäftigung, der Stab der Zufriedenheit und Dankbarkeit, der Stab des Glaubens – diese Stäbe kann jeder für sich nur selbst schnitzen.
Ich glaube jedoch, dass ein Seniorenkreis, der nun schon 40 Jahre lang besteht ein Ort war und ist, wo Menschen sich gegenseitig geholfen haben, an diesen Stäben des Alters zu schnitzen. Und das wollen wir heute in Dankbarkeit feiern.


Pfarrer Stefan Mai

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