Was kaut man denn da?

Predigt zum 20. Sonntag im Jahreskreis (Joh 6,51-58)

Einleitung

Das Wort Wiederholung hat bei uns keinen besonderen Klang.
Wenn Deutschlehrer einen Aufsatz korrigieren und an den Rand das Kürzel für Wiederholung schreiben, dann signalisieren sie dem Schüler: Dieser Gedankengang war überflüssig, er führt einfach nicht weiter. Man darf sich nicht wiederholen, um einfach die Zeilen zu füllen.
Eine Frau beredet ihrem Mann eine Sache, mit der sie einfach unzufrieden ist. Dieser jedoch reagiert nicht und tut so, als hätte er es gar nicht gehört. Seine Frau sagt ihm noch einmal das gleiche, nur im lauteren Ton. „Du wiederholst dich!“ kommt es brüsk von Seiten des Mannes zurück.
Am Sonntagabend ist 20.15 Uhr Tatortzeit. Ein Blick in die Fernsehzeitung sagt: Diesmal ist es nur eine Wiederholung. Und der Tatortfan schaltet lieber aufs Zweite Programm.
Drei Beispiele aus dem Leben, die zeigen, dass es die Wiederholung bei uns schwer hat. Sie hat eher den Geruch von langweilig, wenig zielführend, altmodisch.
Ich behaupte Religionen denken da anders. Auch Sie, sonst wären Sie wohl nicht hier.

Predigta

Man braucht kein Bauer zu sein, um zu wissen, dass die Kuh zu den Wiederkäuern gehört. Das heißt: Die Kuh frisst relativ hastig, ziemlich große Mengen, bis der Magen voll ist. Wenn sie satt ist, legt sie sich hin und nach einiger Zeit beginnt etwas Seltsames. Die Kuh stoppt kurz mit dem Atmen, und man sieht es förmlich, wie sie vom Magen einen Knäuel vom hinuntergeschluckten Gras durch die Speiseröhre wieder ins Maul hochschickt, wieder 16 – 30 Mal darauf herumkaut, bis sie dann das Futterknäuel wieder verschluckt. Dieser Vorgang dauert stundenlang und hat den Zweck, dass die Nährstoffe im Futter gut verwertet werden. Als Bub habe ich die Kühe dabei gerne beobachtet. Das war für mich immer ein Bild der Ruhe und Zufriedenheit.
Dieses Bild hilft mir zum Verständnis des schwierigen Evangelientextes vom heutigen Sonntag. Da heißt es: Amen, Amen ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht kaut -so heißt es wörtlich im griechischen Urtext – habt ihr das Leben nicht in euch.
Was ist damit gemeint: Wer mein Fleisch kaut, wiederkäut. Als fromme Katholiken denken wir meistens dabei an das Kauen der Hostie und schließen daraus: ohne Eucharistie, ohne den Kommunionempfang geht die Verbindung zu Jesus verloren.

In der Bibel ist von einem anderen Kauen die Rede. Im Psalm 1 wird der Mensch selig gepriesen, der immer wieder das Wort Gottes vor sich hermurmelt, es sozusagen immer wiederkäut und verinnerlicht. Ihm wird ein gelungenes Leben versprochen.
Im Johannesevangelium ist Jesus das Wort, das vom Himmel kommt und Fleisch wird. Für mich ist das der Schlüssel zum Verständnis dieses schwierigen Jesuswortes. Es würde dann bedeuten: Jesus, das fleischgewordene Wort behauptet: Wer dauernd an meinen Worten kaut, sie immer wieder weiderkäut, der spürt, da ist was dahinter. Für den werden sie echtes Lebensbrot. Dem gehen meine Worte immer mehr in Fleisch und Blut über, bestimmen sein Denken und Handeln im alltäglichen Leben und geben ihm Lebenskraft.
In dieser Auslegungstradition gaben die alten Wüstenväter den Menschen den Ratschlag, Worte aus der heiligen Schrift, die ich gelesen oder gehört habe, immer von neuem „wiederzukäuen“. Sie waren überzeugt, der tiefe Sinn dieser Worte geht einem nicht mit einem Mal auf. Sie wussten, dass verschiedene Lebenslagen, in denen ich gerade stehe, das gleiche Wort immer neu verstehen lassen. Sie wussten, der Verstand liebt das Neue, aber das Gefühl die Wiederholung. Sie kannten den Segen der Wiederholung: Wenn ich mir das gleiche Wort, das gleiche Gebet, das gleiche Lied immer wieder durch den Kopf gehen lasse, es vor mich hin spreche oder singe, dann setzt sich das tief in mir fest und wird zu einem wahren Schatz, der mich ein Leben lang begleitet.
Ich glaube diesen alten Mönchen. Wenn etwas nicht wiederholt wird, dann geht es nicht tief. Damit etwas in Fleisch und Blut übergeht, musst du es öfters und immer wieder machen. Das ist schon mit dem Fahrradfahren, dem Computerschreiben, dem Fußballspielen so. Wenn ich ein Gedicht oder Lied lerne, dann bleibt es mir nur auf Dauer im Kopf, wenn ich es von Zeit zu Zeit wiederhole. Und ich denke, noch mehr trifft das in religiösen Dingen zu. Wenn ich beten will, dann werde ich das auf Dauer nur lernen und auch Spaß daran haben, wenn ich es immer wieder tue. Gebete, die ich gern habe, öfters bete, die geben meinem Leben ein Stück Ruhe und sicheren Boden. Es steckt Erfahrung dahinter, wenn alle Religionen zum mehrmaligen Gebet am Tag – am Morgen, beim Essen, beim Schlafengehen – raten. Sie kennen den Menschen gut, seine Bequemlichkeit und Vergesslichkeit.
Wenn ich einen Gottesdienst nur ein paar Mal besuche, dann wird er für mich fremd und exotisch bleiben. Zu einem Ort des Nachdenkens über mich und mein Leben, zu einem Treffpunkt mit Menschen, die wie ich glauben und das sich auch gegenseitig zeigen möchten, zu einer Nahrung, die mir Kraft, Anregungen und Impulse gibt, kann er sich nur entwickeln, wenn ich in einer Regelmäßigkeit daran teilnehme. Sonst fühle ich mich irgendwie fremd oder das Ganze wirkt auf mich sogar komisch.

Vom berühmten französischen Maler Francois Milet wird erzählt, dass er nach langer Zeit wieder einmal in sein Heimatdorf zurückkehrte. Er besuchte den Gottesdienst. Der Pfarrer, der zu seiner Kinderzeit im Dorf war und bei dem er zur Kommunion gegangen ist, war noch immer dort. Obwohl er schon alt und gebrechlich war, erkannte er den inzwischen berühmt gewordenen Maler noch. Nach der Kirche ging er auf ihn zu und meinte: „Francois, liebst du die alten Psalmen noch so wie früher? Erinnerst du dich noch an ihre Worte, die wir so oft in dieser Kirche gebetet haben?“ Und der Maler gab zur Antwort: „Wie könnte ich sie jemals vergessen. Sie sind doch der Stoff, aus dem ich meine Bilder male!“

Fürbitten

Herr, unser Gott, die Worte Jesu sind Lebensbrot für alle, die an ihn glauben und nach Wegweisung suchen. Wir bitten dich.

Für alle, für die die sonntägliche Eucharistiefeier ein Rastplatz des Lebens ist
Für alle, die auf unseren Dörfern in den Wortgottesdiensten die Gemeinde versammeln
Für alle, die am Fernseher oder Radio mit Gottes Wort in Berührung kommen möchten

Für alle Menschen, die uns so wichtig sind wie das tägliche Brot
Für alle, um die wir uns Sorgen machen
Für alle, die auf ein gutes Wort von uns warten

Für alle, die in Büchern nach einem Wort suchen, das sie weiterführt
Für alle, die in ihrer Not und Lebenskrise Beratungsstellen aufsuchen
Für alle, die in unseren Gottesdiensten auf ein Wort warten, das sie durch die Woche trägt

Für alle, die in ihrem Beruf dauernd reden müssen
Für alle, die jeden Sonntag als Prediger mit dem Wort ringen
Für alle, die das Leben stumm gemacht hat

Für alle, die krank sind und durch die Krankenkommunion mit unseren Gemeinden verbunden bleiben
Für alle, die heute die Kommunion als letzte Wegzehrung empfangen
Für unsere Toten, an die wir heute denken



Pfarrer Stefan Mai

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