Zu viel Herrlichkeit?

Predigt zum 15. Sonntag im Jahreskreis (Eph 1,3-14)

Predigt

Haben Sie einen Satz aus der heutigen Lesung aus dem Epheserbrief noch im Kopf? Könnten Sie einen Satz aus diesem Epheserhymnus wortwörtlich wiederholen?

Ich muss Ihnen gestehen, selbst wenn ich mich richtig konzentriere, fällt es mir schwer. Denn die Worte des Epheserbriefes kommen reichlich überschwänglich, in frommen Sphären schwebend, ja sie kommen mir fast unwirklich vor. So viel Herrlichkeit! Ist das noch unsere Glaubenswelt?
Fühlen wir uns wirklich mit allem Segen seines Geistes gesegnet,
erwählt vor der Erschaffung der Welt,
reich beschenkt durch die Erlösung,
als Erben vorherbestimmt zum Lob seiner Herrlichkeit?
Können wir in solchen hymnischen Worten unser Leben noch unterbringen und deuten?

Obwohl diese hymnischen Worte nicht meine Sprache sind, machen sie mich doch nachdenklich. Denn sie sprechen von einem großen Selbstvertrauen, das in dem gläubigen Vertrauen seinen Grund hat:
Ich komme von Gott her, er gibt mir in diesem Leben Weggeleit und am Ende meines Lebens ist mir ein Ziel verheißen: Gottes Herrlichkeit.

Was dies für einen Menschen bedeuten kann, das wird mir in der Lebensbiographie des bekannten amerikanischen Pastoraltheologen Henri Nouwen deutlich:
In einer schweren Lebens- und Glaubenskrise gab er seine Universitätsprofessur auf und zog sich sieben Monate in ein Trappistenkloster zurück. In der ersten Zeit seines Aufenthaltes suchte er nach einem geistlichen Leitwort, das ihn in den sieben Monaten des Mitlebens mit den Mönchen begleiten könnte. Der Abt des Klosters, den er um Rat fragte, gab ihm ein seltsames Meditationswort. Er sagte zu ihm: „Machen Sie zum Mittelpunkt Ihres Meditierens das Wort ´Ich bin die Herrlichkeit Gottes´.“ Und er fügte hinzu: „Sie sind der Ort, den Gott sich zur Wohnung erwählt hat, und das geistliche Leben besteht in nicht mehr und nicht weniger als in dem Versuch, ihm den Raum zu verschaffen, in welchem sich seine Herrlichkeit offenbaren kann.“
Ich bin die Herrlichkeit Gottes! Ich, der doch um die eigene Kleinheit, die eigene Schwäche und um die Selbstzweifel weiß? Der sich doch oft nichts Großes zutraut. Ist das nicht maßlose Überschätzung. Und hat nicht unsere Kirche die Menschen Jahrhunderte mit dem Virus geimpft: Ihr seid klein, Sünder, stets der Korrektur bedürftig?
Henri Nouwen ließ sich in einer Lebensphase größter Selbstzweifel auf diesen Satz ein: Ich bin die Herrlichkeit Gottes. Und einen Monat später schreibt er in sein Tagebuch:
„Ich habe die ungeheuer große Freude, ein Mensch zu sein, einer Gattung von Lebewesen anzugehören, in der Gott selbst Fleisch geworden ist. Zwar könnten mich die Schmerzen und Absurdidäten, denen wir Menschen ausgesetzt sind überwältigen, aber jetzt erkenne ich deutlich, was wir in Wirklichkeit alle sind. Könnte doch nur jeder das erkennen! Aber man kann es nicht erklären. Es gibt einfach keine Möglichkeit, den Menschen zu sagen, dass sie alle berufen sind, wie strahlende Sonnen durch die Welt zu laufen.“
Liebe Leser,
der Rat des Trappistenabtes, sich selber das Wort zu sagen: „Ich bin die Herrlichkeit Gottes“ die hymnischen Worte des Epheserbriefs „wir sind bestimmt zum Lob seiner Herrlichkeit“ sind sicherlich kein Patentrezept, um sich von allen Selbstzweifeln und Minderwertigkeitsgefühlen zu befreien. Aber ob sie mir in Momenten, wo ich mir ganz klein vorkomme, nicht doch helfen könnten, mich an meine Würde erinnern zu lassen.

Fürbitten

Herr, unser Gott, wir beten sehr oft: Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. Wir bitten dich:

Öffne uns Menschen die Augen, dass wir in der Schöpfung dein herrliches Wirken erkennen und bewundern

Lass uns dankbar sein für das Geschenk des Glaubens und mache uns fähig, dieses Geschenk an andere weiterzugeben

Lass uns in glücklichen Momenten des Lebens innehalten und etwas von deiner Herrlichkeit spüren

Lass allen, die durch Leid und Not niedergedrückt werden, die Hoffnung auf deine Herrlichkeit nie verloren gehen

Für unsere Toten. In diesem Gottesdienst denken wir an...
Lass sie deine Herrlichkeit schauen


Pfarrer Stefan Mai

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