Durch die Landschaft meiner Niederlagen

Predigt zu Mk 6,1-6 (B/14)

Einleitung

Es gibt Situationen im Leben, die fahren einem in die Magengrube. Oft kommt so etwas ganz unerwartet. Trifft uns völlig unvorbereitet. Großes Glück – genauso wie großes Un-glück. Der Weg scheint abgeschnitten, ein Traum zerplatzt.
In eine solche Situation führt uns das heutige Evangelium.
Predigt
Eines der letzten Gedichte von Robert Gernhardt, geschrieben kurz vor seinem Tod Ende Mai 2006, beginnt mit folgenden Worten:

Durch die Landschaft meiner Niederlagen
gehe ich in meinen alten Tagen …


Das ist eine Grunderfahrung: Neben besonders schönen Dingen bleiben einem auch die besonders schlimmen Momente fest im Gedächtnis hängen – und schieben sich im Kopf immer wieder nach vorne.

Durch die Landschaft meiner Niederlagen
gehe ich in meinen alten Tagen …


Da sitzt die Frau vor einem Familienbild aus glücklichen Familientagen. Bei ihrem 60. Ge-burtstag haben sich alle beim Gruppenfoto noch im Arm und lachen. Was hatte sie sich dar-um bemüht, dass alle zusammenhalten. Und jetzt dieser Zwist unter ihren Kindern. Nur des Geldes wegen. Und daran schuld soll auch noch sie selbst sein: „Du hast immer nur dem Jüngsten die Stange gehalten“ muss sie sich sagen lassen.
„Ach der!“, hat mein Lehrer immer nur gedacht. Ernst genommen hat er mich nie. Meine Art niemals verstanden. Und dabei hat er hat gar nicht gemerkt, wie er mich in meiner Entwick-lung lähmt, wie er mich mit seinen spöttischen Bemerkungen verletzt. Hätte er mich nicht dauernd in seine Denkschublade gesteckt, wäre aus mir vielleicht ein ganz anderer gewor-den.
„Ja, mit welchen Träumen, mit welcher Euphorie habe ich damals nach dem Konzil meinen Dienst begonnen“, resümiert der 70-jährige Pfarrer. Was habe ich alles in meiner Gemeinde versucht. Was habe ich alles an Kraft und Zeit in verschiedene Projekte investiert. Doch wenn ich zurückschaue: Aufgegangen ist nicht viel von dem. Und von wegen reiche Ernte! Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis.
Es will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen: wie ich damals zu Beginn meines Dienstes eiskalt überstimmt worden bin! Mit einem Riesen-Eifer und Mords-Elan hatte ich begonnen, aber auch total blau-äugig. Ohne zu bedenken, dass die wirklichen Entscheidungen vor ei-ner Sitzung im Telefonrundgespräch klar gemacht werden. Wie viel Mühe habe ich in den Antrag gesteckt, ihn mit Verve vorgetragen – und dann falle ich in der Abstimmung gnaden-los durch. Am liebsten wäre ich im Boden versunken.
Da steht ein alter Landwirt in seiner großen leeren Scheune und weint: Das alles habe ich mit meiner Frau unter größten Mühen und Opfern aufgebaut. Dafür haben wir uns ein Leben lang abgerackert. Wie stolz waren wir darauf. Doch dann hat uns die Entwicklung zu den Großagrariern überrollt. Und unsere Kinder sagen uns eiskalt: Wie dumm ward ihr doch da-mals.
Vermutlich kann jede und jeder von uns seine eigenen Geschichten hinzufügen. Die große Frage ist: Wie gehe ich damit um? Sind meine Gedanken darauf fixiert? Legen diese Nieder-lagen einen Schatten auf meine Seele? Werde ich verbittert? Sehe ich alles nur noch schwarz?

Durch die Landschaft meiner Niederlagen
gehe ich in meinen alten Tagen …


Mir scheint, im heutigen Evangelium wird uns ein Modell vor Augen geführt, an dem wir uns aufrichten könnten: Jesus in Nazaret, seiner Heimatstadt. Ausgerechnet dort erlebt er eine besonders empfindliche Niederlage seines Lebens. Überall wird er gefeiert und bejubelt. Überall hängen sich die Menschen an seinen Rockzipfel, um von seiner heilenden Kraft et-was zu spüren. Nicht so in Nazaret. Da lässt man ihn kalt abblitzen. Der gefeierte Heiler steht kraftlos da, belächelt, gedemütigt. „Und er konnte dort keine Wunder tun“, heißt es.
Und wie geht er damit um, mit dieser Heimspiel-Niederlage? Das Markusevangelium erzählt im nächsten Vers: „Und er ging herum in die umliegenden Dörfer und lehrte“. Kurz: Jesus macht einfach weiter. Lässt sich nicht beirren, in anderen Dörfern genau das gleiche zu pre-digen wie in Nazaret. Wird weder aggressiv, noch zweifelt er an sich selbst. Durch die Land-schaft seiner Heimat zieht er weiter wie zuvor. Vielleicht ist eine solche Reaktion wirklich das einzige Mittel, bei Niederlagen Groll und dunkle Flecken in der Seele zu vermeiden: einfach weitermachen und bei dem bleiben, von dem ich überzeugt bin, mögen die anderen reagie-ren, wie sie wollen.
Liebe Leser, keinem von uns bleiben Niederlagen im Leben erspart. Situationen, in denen wir kraftlos dastehen. Das wird sich nicht vermeiden lassen. Es kommt nur darauf an, wie wir damit umgehen. Es wäre ein großes Geschenk, wenn ich im Blick auf diesen Jesus so wie er reagieren könnte: weggehen und unbeirrt das weitermachen, wovon ich überzeugt bin.

Kyrierufe

Suchende sind wir, Herr.
Schenke uns Sinn für unser Leben.

Tastende sind wir, Herr.
Nimm uns an der Hand.

Wartende sind wir, Herr.
Lass uns hören in der Stille dein Wort.

Kanon

... für unseren Papst auf seiner Pastoralreise ...
Wir beten für alle, die uns zur Seite stehen; deren Rat wir trauen und mit deren Unterstüt-zung wir rechnen können.
Stärke du uns den Rücken, wenn andere uns beugen wollen. Hilf uns, an dich und an uns selbst zu glauben, wenn niemand mit uns zu gehen bereit ist. Treib uns an, wenn wir am liebsten stehen bleiben möchten. Führe du uns den Weg, der gut ist für uns – und recht vor dir.

Fürbitten

Herr, unser Gott, Widerstände und Niederlagen gehören zu einem jeden menschlichen Le-ben. Wir bitten dich:
Für alle, die in ihrer Familie nicht gefördert wurden. Für alle, deren Lebensweg anders ver-laufen ist, als sie es sich gewünscht haben. Für alle, die man nicht gefragt hat, was sie gerne geworden wären.
V/A: Christus höre uns

Für alle, die Streit haben in ihrer Verwandtschaft. Für alle, die mit ihrer Familie gebrochen haben. Für alle, die es in ihrer Heimat schwer haben.
V/A: Christus höre uns

Für alle, die erfolglos bleiben, obwohl sie sich anstrengen. Für alle, die keine Dankbarkeit für ihren großen Einsatz erfahren. Für alle, denen in ihrem Berufsleben Steine in den Weg gelegt werden
V/A: Christus höre uns

Für alle, die aus der Lebenserfahrung heraus mit den Jahren zynisch geworden sind. Für alle, die trotz Niederlagen im Leben heute darüber lächeln können. Für alle, die an der Ab-lehnung ihrer Person zerbrochen sind
V/A: Christus höre uns

Für unsere Verstorbenen, die mit ihrer Größe und Schwäche, mit ihren Erfolgen und Nieder-lagen, mit der Ernte ihres Lebens und mit leeren Händen vor Gott stehen.
V/A: Christus höre uns


Pfarrer Stefan Mai

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