Bilder bilden

Predigt zum 10. Sonntag im Jahreskreis (Mk 3,20-35)

Wenn Sie ein Lieblingsbild von Jesus aussuchen müssten, wozu würden Sie greifen?
Zu Jesus als gutem Hirten, zu Jesus als Freund der Kinder, zu einem Herz Jesu Bild, zu einem Bild der Schwester Faustina, von deren Jesusbild blendende Strahlen ausgehen? Zu Jesus als Schmerzensmann, zu Jesus als Lehrendem?

Im heutigen Evangelium begegnen uns drei Jesusbilder, die gerne verdrängt werden, die in unserer Frömmigkeitsgeschichte völlig unterbelichtet sind.
Es ist einmal der verrückte Jesus.
Zum anderen der schlagfertige Jesus, der kräftig rausgibt.
Und schließlich der anstößige Jesus.

Wortwörtlich steht im heutigen Evangelium: „Er ist von Sinnen.“ „Er ist verrückt!“ Und das hören wir aus dem Mund der Angehörigen von Jesus. Als verrückten Kerl bezeichnen sie ihn: Wer sich gegen die Tradition stellt, wer sich mit Zöllnern und Dirnen einlässt und sich mit ihnen an einen Tisch setzt, frisst und säuft, der steht einfach quer zu dem, was sich ein anständiger Bürger und einfacher Mann wünscht.
Der verrückte Jesus! Schon Matthäus und Lukas wagen es nicht mehr, diese Szene zu überliefern. Sie ist ihnen zu anstößig, und deshalb lassen sie diese einfach unter den Tisch fallen, obwohl sie sonst fast alles vom ältesten Evangelisten Markus abschreiben.

Im zweiten Teil begegnet uns ein schlagfertiger Jesus.
Da halten ihn die Pharisäer für einen, der mit dem Teufel im Bund steht und verteufeln ihn deshalb. Doch Jesus verteidigt sich nicht groß, sondern greift die Argumentation der Gegner auf und entlarvt sie schlagfertig als totalen Blödsinn. Wenn der Anführer der Dämonen selbst die Teufel austreiben würde, dann würde er sich doch sein eigenes Grab schaufeln, argumentiert er. Und die Glaubenswächter haben diesem schlagfertigen Jesus nichts mehr entgegenzusetzen.

Und dann im dritten Teil der Höhepunkt: Ein anstößiger Jesus, der seine eigene Mutter und Familie provoziert und brüskiert. „Wer sind denn meine Mutter und meine Brüder?“ Nichts von einem braven Buben und treuem Familienmitglied bleibt hier übrig. Nichts von einem Jesus mit sanftem Herzen.

Dieser verrückte, schlagfertige und anstößige Jesus ist im Vergleich zum lieben, friedlichen und geduldigen Jesus immer zu kurz gekommen. Ja, viele meinen bis heute, ihn so zu sehen ist fast gotteslästerlich.

Aber vielleicht wäre unser Christentum heute im guten Sinn verrückter und mutiger und würde von machen bürgerlichen Mentalitäten abrücken und für überraschende Positionen in unserer Gesellschaft sorgen, würden wir den verrückten Jesus ernster nehmen.

Vielleicht wären wir als Christen schlagfertiger und mutiger, die nicht bei jeder Kritik den Kopf einziehen und stattdessen sich der Diskussion stellen und mit Argumenten manche oberflächliche Kritik an Glaube und Kirche entlarven, würden wir den schlagfertigen Jesus nicht verstecken.

Vielleicht hätten wir mehr anstößige Christen, die andere zum Nachdenken anstoßen, die auch bereit sind anzuecken und nicht den Weg des geringsten Widerstands gehen, wenn uns der anstößige Jesus nicht selbst suspekt wäre?

Der verrückte, der schlagfertige und der anstößige Jesus des heutigen Evangeliums könnte uns vor einem langweiligen, unmündigen und phantasielosen Christsein bewahren.

Die Anregung zu dieser Predigt verdanke ich Wolfgang Raible


Pfarrer Stefan Mai

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