Drei Empfehlungen zwischen Himmelfahrt und Pfingsten

Predigt zum Sonntag nach Christi Himmelfahrt (B/07)

Einleitung

Der Ablauf des Kirchenjahres gliedert das Jahr – und ist zugleich Spiegel für das Leben: Es beginnt mit der Geburt, läuft durch Passion und Auferstehung – und endet mit dem Christkö-nigsfest dem Blick auf das große Ziel in der Ewigkeit. Auch die Tage zwischen Himmelfahrt und Pfingsten haben einen besonderen Charakter, über den es sich lohnt nachzudenken.

Predigt

Was für ein seltsamer Sonntag – der Sonntag zwischen Christi Himmelfahrt und dem Pfingstfest. Salopp gesagt: Jesus ist schon weg, aber der Heilige Geist noch nicht da. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Sonntag die Situation vieler einzelner Christen widerspiegelt: Der Jesus, der ihnen in ihrer Kindheit und Jugend vermittelt wurde; der ihnen einmal viel bedeutet hat – dieser Jesus ist ihnen verloren gegangen. Ihr Glaube ist kraft- und saftlos geworden – und eine neue Begeisterung für die Sache Jesu ist noch nicht in Sicht.
Und manchmal denke ich: Dieser Sonntag ist auch ein Bild für die momentane Situation in unserer Kirche. Was Jesus wollte, wie er gepredigt und gelebt hat, seine Nähe, seine Herzlichkeit, seine Menschlichkeit – das alles scheint verschwunden hinter Strukturen und Formeln, hinter einer mächtigen Organisation. Und vom Heiligen Geist, der die Fenster und Türen weit öffnet, der frischen Wind in die Kirche hineinwehen lässt – von ihm ist (jedenfalls hierzulande) noch weit und breit nichts zu sehen.
Was für ein seltsamer Sonntag – und was für eine seltsame Zeit zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten: Sie spiegelt eine Erfahrung wider, die niemand von uns erspart bleibt. Der Glaube gerät ins Wanken. Was bisher selbstverständlich war, wird fraglich, Enttäuschung und Ratlosigkeit machen sich breit. Die Suche nach neuen überzeugenden Antworten auf unsere Fragen beginnt.
Ich glaube: Es ist die kirchliche Tradition selbst, die uns für solche Zwischenzeiten Empfehlungen gibt; Hinweise, wie wir die Zeit zwischen dem Jesus, der uns entschwunden ist, und dem frischen Wind, auf den wir warten, bestehen können.
Zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten ist die Zeit der Prozessionen: der Flurprozessionen und Wallfahrten. Darin steckt viel Weisheit. Drei Empfehlungen meine ich daraus zu hören:

- Trau dich hinauszugehen!
- Trau dich zu experimentieren!
- Komm als anderer zurück!

Alle drei Empfehlungen lassen sich mit großen Namen der Kirche verbinden:

Trau dich hinauszugehen!

Das ist das Motto von Papst Franziskus. Er rät: Geht hinaus – an die Ränder der Gesellschaft. Setzt euren Glauben den Realitäten dieser Welt aus. Da werdet ihr angefragt. Da wird euch widersprochen. Und ihr werdet bald spüren, worauf es eigentlich ankommt. Da zählen keine frommen Floskeln, sondern nur Menschlichkeit, Verständnis und tätige Hilfe. Wer sich auf diese Herausforderung einlässt, dessen Glaube wird gereinigt, der erfährt die Freude des Evangeliums – und der wird am Ende selbst beschenkt.

Trau dich zu experimentieren!

In meiner Studienzeit hat der Exegeten Gerhard Lohfink mit einer Predigt ganz besonders begeistert.
Er hat uns geraten: Wagen Sie das Experiment! Leben Sie einen Monat ohne Gott, ohne Glauben, ohne Gebet, ohne Rücksicht auf andere.
Und dann leben Sie einen Monat mit Gott, mit Glauben, mit Gebet, mit Rücksicht auf andere.
Und dann testen Sie, wann Sie sich besser fühlen.
Wenn der Glaube diesen Test nicht besteht, ist er nicht wert gelebt zu werden.

Komm als anderer zurück!

Für den großen Theologen Karl Rahner war die höchste Stufe des Glaubens die sogenannte „zweite naive Gläubigkeit“. Damit meinte er den Glauben, der den Kinderglauben hinter sich gelassen hat, kritisch alles hinterfragt hat, alles bezweifelt hat – und am Ende wieder naiv glaubt, aber anders. Der zweite naive Glaube kommt sozusagen in die Kinderstube zurück, aber weiß: Alle meine Vorstellungen von Gott sind nur menschliche Bilder. Gott bleibt immer ganz anders. Unbegreiflich. Das große Geheimnis der Welt. Und doch kann ich – wie ein Kind – mich ihm anvertrauen.
Liebe Leser,
warum nicht einmal die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten nutzen: hinausgehen, experimentieren – um als anderer zurückzukommen?

Der Einstieg in die Predigt verdankt sich einer Idee von W. Raible, Anzeiger für die Seelsorge 5/2015, S. 26.

Fürbitten

Herr, unser Gott, höre Du unsere Bitten:

- Wir beten für alle, die in diesen Tagen auf Wallfahrt gegangen sind: dass sie auftanken an Leib und Seele …
- Wir beten für alle, die sich ihres Glaubens unsicher geworden sind: dass der Alltag ihnen zeigt, worauf es wirklich ankommt …
- Wir beten für alle, die der immer gleiche Trott müde und lustlos gemacht hat: dass sie einen Ausbruch wagen und sich ihnen neue Horizonte zeigen …
- Wir beten für alle, die ihren Kinderglauben verloren haben und auf der Suche sind: dass sie Gesprächspartner finden, denen sie sich anvertrauen können und die ihnen Halt geben …
- Wir beten für alle, die in diesen Tagen auf die letzte große Reise gehen: dass sie überrascht werden von der Güte unseres Gottes …


Pfarrer Stefan Mai

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