Nicht auf ein Bild festnageln!

Predigt zum 5. Sonntag in der Osterzeit (Apg 9,26-31)

Einleitung

So manches Mal geben Menschen mit einem grünen Daumen den Ratschlag: Du musst mit deinen Blumen gut reden. Sie danken es dir mit reichen Blüten.
Ehrlich gesagt, bei Blumen tu‘ ich mir mit diesem Ratschlag recht schwer, und bin da eher ein Skeptiker. Wenn ich dieses „gut reden“ auf Menschen übertrage, dann behaupte ich: Da ist was dran.

Predigt

In jenen Tagen, als Saulus nach Jerusalem kam, versuchte er, sich den Jüngern anzuschließen. Aber alle fürchteten sich vor ihm und konnten nicht glauben, dass er ein Jünger war.
Die Reaktion der Jünger wundert einen nicht. Sie hatten in ihren Köpfen noch das Bild des Christenverfolgers, von einem, der ihnen übel mitgespielt hat, der sie ausradieren wollte. Wie soll so einer mit einem Schlag eine 180° Kehrtwende machen?
Dieses Bild des Christenfeindes, das sie von Paulus in ihrem Kopf tragen, hindert sie, dem Saulus eine Chance zu geben. Negative Bilder im Kopf, lassen dem anderen keine Chance, sich zu entwickeln, sich zu verändern, sie nageln einfach fest.
Keiner würde heute von einem Paulus mehr reden, hätte es damals nicht diesen Barnabas gegeben, der in Saulus mehr sieht als die anderen, der in Saulus schon den Paulus sieht: einen ehrlich mit sich Ringenden, einen, der aus der Bahn geworfen wurde und sich neu ausrichten will. Einen, der seinen bisherigen Weg als Holzweg erkannt hat. Einen, der das junge Christentum nicht mehr bekämpfen, sondern mit all seinen Kräften unterstützen will. Er sieht Paulus nicht als Gefährdung, sondern als Bereicherung, als einen, der die Sache Jesu vorantreiben will.
Was mich dieser Barnabas lehrt: Wenn ich von einem Menschen positiv denke, kann er sich entwickeln. Wenn ich von einem Menschen groß denke, dann kann er seine Stärken zeigen. Wenn ich einen Menschen nicht dauernd auf die alten Erfahrungen mit ihm festlege, dann kann er mich überraschen und erstaunen lassen. Meine Sicht auf Menschen kann Entwicklungsförderer oder Wachstumsverhinderer sein. So bringt es ein Gedicht im Blick auf die Kindererziehung auf den Punkt:

Kinder lernen, was sie leben
Lebt ein Kind mit häufiger Kritik, lernt es verzweifeln.
Lebt ein Kind mit Feindseligkeit, lernt es zu kämpfen
Lebt ein Kind mit Angst, lernt es Furchtsamkeit
Lebt ein Kind mit Mitleid, lernt es Eigenmitleid
Lebt ein Kind mit Spott, lernt es Schüchternheit
Lebt ein Kind mit Eifersucht, lernt es Schuldgefühle

Aber:
Erlebt ein Kind Nachsicht, lernt es Geduld
Erlebt ein Kind Ermutigung, lernt es Zuversicht
Erlebt ein Kind Lob, lernt es Empfänglichkeit
Erlebt ein Kind Bejahung, lernt es lieben
Erlebt ein Kind Zustimmung, lernt es sich selbst zu mögen
Erlebt ein Kind Ehrlichkeit, lernt es, was Wahrheit ist.
Erlebt ein Kind Fairness, lernt es Gerechtigkeit
Erlebt ein Kind Freundlichkeit, lernt es die Welt als Platz kennen, in dem gut wohnen ist.

(Verfasser unbekannt)


Liebe Leser,
meinen Sie nicht auch: Was von Kindern gilt, das gilt auch für uns Erwachsene?

Fürbitten

Herr, unser Gott. In der Apostelgeschichte heißt es: Barnabas nahm sich jedoch des Saulus an und brachte ihn zu den Aposteln. Wir bitten dich:

Wir bitten dich für alle Menschen, die ihr Leben neu ausrichten und neu in den Griff bekommen möchten: Dass sie auch eine Chance erhalten

Wir bitten dich für alle Eltern, Erzieher und Erzieherinnen, Lehrer und Lehrerinnen, Ausbildungsleiter und Vorgesetzte: Dass sie fähig sind, gute Anlagen in Menschen zu entdecken und zu fördern

Wir bitten dich für alle Bewährungshelfer, die Strafentlassene auf den Weg zurück in die Gesellschaft begleiten: Dass sie trotz vieler Rückschläge den Glauben an das Gute im Menschen nicht verlieren

Wir bitten dich für uns selbst: Dass wir vorurteilslos und positiv auf Menschen zugehen können

Wir bitten dich für die Menschen in Nepal, die um ihre Toten trauern und auf Hilfe angewiesen sind. Dass sie auch Hilfe erfahren.

Wir bitten dich für die Verstorbenen aus unseren Familien und unserer Gemeinde. In diesem Gottesdienst nennen wir stellvertretend für alle die Namen von........
Dass sie ihre Lebenserfüllung bei dir finden.


Pfarrer Stefan Mai

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