Sehnsucht nach einem Zuhause

Predigt zum 4. Sonntag in der Osterzeit (Joh 10,11-18)

Einleitung

„Fremd im Tempel, daheim im Glauben“, sagt Lucius, ein antiker Romanheld. Ein fraglos frommer Mann. In der griechischen Stadt Korinth hat er sich in die Isismysterien einweihen lassen. Auf einer Reise kommt er in die Weltstadt Rom – und sucht dort sofort den Isistempel auf. Aber der sieht ganz anders aus als der Isistempel in Korinth, und die Menschen, die dort zur Verehrung kommen, sind ihm samt und sonders fremd. Aber auf einmal merkt er, worauf es ankommt: „Fremd im Tempel, aber daheim im Glauben.“
Ob der „gute Hirt“ Jesus, den wir heute feiern, nicht ein ähnliches Gefühl vermitteln möchte?

Predigt

Am vergangenen Donnerstag, den 23. April, wurde die Sendung „Dahoam is dahoam“ zum 1.500 Mal ausgestrahlt. Die erfolgreichste Sendung des Bayerischen Fernsehens. Sie läuft ununterbrochen seit dem Jahr 2007 und bringt viele Menschen Montag- bis Donnerstagsabend vor die Bildschirme. Die Serie spielt im fiktiven Ort Lansing und handelt von Familien- und Alltagsgeschichten der Dorfbewohner. Viele Zuschauer finden sich in diesen Geschichten wieder, freuen und leiden mit. Der Erfolg dieser Sendung wäre nicht zu denken, wenn in uns Menschen nicht diese Sehnsucht nach einem „Daheim“ ganz tief drin stecken würde.
Daneben kommen im Werbeblock des Bayerischen Fernsehens immer wieder Menschen zu Wort, die sich, ihren Beruf und ihren Wohnort vorstellen. Und ob es die Schülerin Franzi auf dem Sportplatz, der Bootsbauer Jakob vor dem Starnberger See, der Stani beim Verputzen oder Beni, der Bienenfreund vor seinem Bienenhaus ist – sie alle beenden ihre kurze Vorstellung stereotyp mit den Worten „und da bin ich daheim“. Deutlich wird dabei: Heimat bedeutet für jeden etwas anderes, aber für alle ist sie bedeutend.
Mir erscheint diese Sehnsucht, daheim zu sein, vertraut mit einem konkreten Ort und mit Menschen, als neue Gegenbewegung gegen das World-Wide-Netz-Gefühl, wo ich gerade nicht mehr an einen Ort gebunden bin, sondern mich über die neuen Medien mit Menschen rundum auf den Globus vernetzen kann, so dass Menschen über die weltweiten Kommunikationsmittel oft mehr Zeit im Chat verbringen als im Gespräch mit ihren Nachbarn oder Klassenkameraden vor Ort.
Wenn ich auf diesem Hintergrund das heutige Evangelium vom guten Hirten auf mich wirken lasse, fallen mir zwei Dinge auf:
Auf der einen Seite weckt das Bild des Hirten und den Schafen mit dem Stallgeruch in mir ein Heimatgefühl. Die Worte des guten Hirten „Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich“ tun gut. Jeder und jede von uns weiß, welch ein Geschenk es ist, sich bei Menschen daheim zu wissen, die mich kennen, vor denen ich mich nicht andauernd produzieren und beweisen muss. Die bereit sind, sich für mich einzusetzen. Die auch dann zu mir stehen, wenn´s nicht so läuft – und erst recht, wenn es einmal hart und schwer wird.
Auf der anderen Seite schlägt dieser gute Hirte einen Ton an, der über eine Lederhosen- und Alpenidylle und das viel beschworene bayerische Wir-Gefühl weit hinaus geht: „Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen und sie werden meine Stimme hören.“
Ist das nicht auch ein World-Wide-Konzept – aber uralt, lange bevor es Handys und Chats gab? Und das Besondere an diesem christlichen World-Wide-Konzept: der Zugehörigkeits- und Heimatbegriff wird gerade nicht auf eine bestimmte Kirchengemeinde oder einen bestimmten Ort eingeengt, auf Volkstümelei, einen Verband oder Spiritualitätsgruppe.
Wollen diese Worte des guten Hirten aus dem Johannesevangelium nicht sagen: Der Glaube an diesen Jesus stellt ein geistiges Konzept dar, in dem sich Menschen gleich welchen Alters, gleich welcher Rasse, gleich welcher Standeszugehörigkeit, gleich welcher Bildung, gleich welcher Leistungsfähigkeit wiederfinden können und sich miteinander verbunden wissen – auch mit denen aus dem „anderen Stall“, die man vielleicht gar nicht dabei haben möchte.
„Dahoam“ in diesem Glauben, in der Gedankenwelt Jesu, ist das nicht ein Heimatbegriff, der frei atmen lässt und doch Halt und Geborgenheit gibt – und sogar die Toleranz schult?

Kanon

Für alle, die in unserer Kirche als „Hirten“ installiert sind: für den Papst in Rom und die Bischöfe
Und wir beten für alle unter uns, die sich im Alltag als gute Hirten und Hirtinnen erweisen,
die ohne Worte spüren, was dem anderen fehlt …

Fürbitten

Heute am Gut-Hirten-Sonntag, bitten wir dich, Gott:

- Für alle, die anderen Heimat schenken, die auf Fremde zugehen, die Flüchtlingen unter die Arme greifen, die ihr Haus für Gäste öffnen …
- Für alle, die anderen geistige Heimat schenken, die Verständnis zeigen, die anderen aufmerksam zuhören können, die Menschen zusammenführen und für eine Idee begeistern können …
- Für alle, die selbst keine Heimat mehr haben, die vertrieben worden sind, die geflüchtet sind, die bewusst alle Verbindungen zu ihrer Herkunft abgebrochen haben …
- Für alle, die keine geistige Heimat finden können, die sich „unbehaust“ fühlen, die getrieben sind, die immer neu zu suchen beginnen, ohne um ein Ziel zu wissen …
- Für unsere Verstorbenen, dass sie Heimat bei Gott gefunden haben …


Pfarrer Stefan Mai

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