Angst ist ein schlechter Ratgeber

Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit

Einleitung

Die Evangelisten erzählen die Erinnerungen an Jesus so, dass ihre Gemeinden sich oft in den Jüngern wiedererkennen können. Ganz unaufdringlich halten sie ihren Leuten einen Spiegel vor. Wer sehen will, kann sehen.
Mir scheint: Das gilt für die Ostererzählung, die wir heute hören, ganz besonders – auch für uns: Wer sehen will, kann etwas von unserer Kirche in dieser Erzählung erkennen.

Predigt

Eine eindringliche Szene. Da verrammeln die Jünger die Tür hinter sich. Sie haben Angst. Sie kappen den Kontakt nach außen, weil sie sich bedroht fühlen. Sie ziehen sich zurück, bleiben nur noch unter sich, wo sie sicher sind. Sie haben eben erst einen wichtigen Menschen verloren, und das auch noch durch eine Gewalttat. Und sie selbst waren feige. Die Angst und die Scham sitzen tief. In einer solchen Situation macht man keine großen Sprünge. Der Schock, die Trauer sitzen tief, keine Kraft, keine Lust auf irgendetwas Neues. Überall wittert man Feinde, Anfeindungen. Die Haut ist dünn. Am besten: Tür zu, verkriechen. Nur nicht auffallen. Wenigstens sich gegenseitig ein wenig Halt geben.
Für mich ist diese Schilderung ein Bild für die Situation unserer Kirche in der heutigen Zeit. Unsere Kirche hat die Vormachtsstellung verloren. Sie ist nicht mehr unangefochten. Sie wird in Frage gestellt, kritisiert, von vielen ins Abseits gestellt und belächelt. Manchmal auch angefeindet. Sie leidet unter einer tiefen Depression, ja sie hat vielleicht sogar Angst. Angst vor der Zukunft, auch Angst vor den Menschen unserer Zeit. Sie ist unsicher geworden. Sie weiß um den vielen Bockmist, den sie gebaut hat, um so vieles, was vertuscht worden ist, was ihr Glaubwürdigkeit gekostet hat. Die Gefahr besteht, dass man sich zusammenrottet, die Gefahr besteht: Gang ins fromme Ghetto fernab der Welt, sich zurückziehen in eine scheinbar sichere Welt.
Aber da setzt die heutige Ostergeschichte ein warnendes Ausrufezeichen. Der Auferstandene durchbricht das selbstgemachte Ghetto. Er kommt trotzdem rein, auch ungebeten durch den verrammelten Eingang. Und er macht gar nicht viele Worte. Er wünscht ihren aufgeregten Herzen Frieden, kommt also im Guten – und gleich darauf setzt er seine Jünger quasi vor die Türe: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!“ Und er trägt ihnen auf, nichts nachzutragen, zu verzeihen.
Und da ist noch einer, der ausschert: Thomas, der jetzt zu zweifeln, zu fragen, zu fordern beginnt. Einer der nicht glauben kann, was sie erzählen. Da ist einer der ihren, der auf der Suche ist und etwas erleben will. Und gerade dieser macht eine neue Glaubenserfahrung: „Mein Herr und mein Gott!“
Mir scheint: Eine höchst aktuelle Ostergeschichte auch für uns als Kirche heute.
Lösung der derzeitigen Krise ist nicht: Rückzug aus der Welt. Der Auferstandene fordert entschieden den Weg hinaus – und hin zur Welt.
Lösung ist nicht: sich zusammenrotten zu einer Art heiligem Rest, der über die böse Welt schimpft und sich an feste, vertraute Formeln hält, sondern die Bereitschaft, den Zweifler und Skeptiker in den eigenen Reihen zuzulassen, durch das Säurebad des Zweifels zu gehen – und so zu einem tieferen Glauben zu finden.


Pfarrer Stefan Mai

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