Höflichkeit am Ostermorgen

Predigt zum Ostersonntag 2015

Einleitung

Vom Sport her kennen wir das: Interessant ist nur, wer auf dem Treppchen steht. Platz 1, Platz 2 und Platz 3. Alles andere läuft „unter ferner liefen“.
Nicht viel anders ist es in der Kirche, in den Gremien, in unseren Gemeinden.
Ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt, wer vorne dran steht. Auch im Osterevangelium gibt es heute einen Wettlauf um den ersten Platz.

Predigt

Es ist schon lustig, manchmal zu beobachten, wenn zwei höfliche Menschen durch die gleiche Tür gehen wollen: Der eine bleibt einen Schritt und zurück. Der andere stockt ebenso und sagt mit gesenktem Kopf: „Sie zuerst!“ - „Aber nein, nach ihnen!“, kommt es von der anderen Seite zurück. Sie gestikulieren mit den Händen und schieben sich fast gegenseitig durch die Türe – und am Ende stoßen sie dann fast mit den Köpfen zusammen, weil jeder stockt – und am liebsten doch zuerst durch die Türe gehen möchte.

Wir alle kennen die Höflichkeitsregeln: Alter vor Jugend, Dame zuerst. Und wie oft wird gejammert: Heutzutage hat die Jugend keinen Anstand mehr.
Da kann man sich ein Beispiel nehmen am Geliebten Jünger. Als er und Petrus hören, der Stein vor dem Grab ist weg, spurten sie los. Es mutet fast wie ein Wettlauf an. Der Jüngere von beiden ist zuerst am Grab. Er spitzt nur kurz, geht aber nicht hinein. Er wartet auf den Älteren, auf Petrus, die anerkannte Autorität im Zwölferkreis. Ihm lässt er den Vortritt.
Ist das nur Höflichkeit am Ostermorgen? Wer genau hinhört, wird schnell merken: Nein.
Denn: Die Autorität Petrus geht in die Grabkammer hinein, sieht sich alles wie in Inspekteur an, aber kapiert nichts.
Der höfliche Jüngere geht als Zweiter hinein. Und es heißt: „Er sah – und glaubte.“
Und das Johannesevangelium lässt keinen Zweifel daran: Das ist das Entscheidende: den tiefen Blick des Glaubens zu haben, zu spüren: Da war Gott am Werk. Und das ist nicht gebunden an Autorität oder an Alter oder an Intelligenz oder an Einsatzbereitschaft.
Merken Sie es: Das junge Christentum dreht die eingespielten Hierarchien um. Der höfliche junge Johannes ist zwar Zweiter im Grab, aber erster im Glauben. Er lässt Petrus den amtlichen Vorrang, aber geistlich ist er ihm weit voraus.
In aller Höflichkeit werden am Ostermorgen die Hierarchien der Welt verändert: Vorne dran stehen, auf dem Thron sitzen, das Sagen haben – mag wer will. Die eigentlich Ersten sind diejenigen, die einen Blick haben für Gottes Spuren in unserer Welt. Und das ist nicht an Rang und Namen gebunden. Und dafür gibt es keine Titel.

Fürbitten

Für die Träger der Autorität: für den Papst in Rom, für den Weltrat der Kirchen in Genf, für alle Bischöfe und Kirchenvorstände, für Priester und Pastoren …
V: Lasset zum Herrn uns beten A: Herr, erbarme dich

Für die Regierenden auf der Welt: für die Präsidenten der Länder, für die Mitglieder der UNO, die Abgeordneten des EU-Parlaments, für die Mitglieder des Bundestages und des Bundesrats ...

Für die Verantwortlichen in Stadt- und Gemeinderäten, für die Vorstände der Wirtschaftsgremien, für die Mitglieder in Pfarrgemeinderäten und Kirchenverwaltungen …

Für die Stillen im Land, die ohne großes Aufsehen zu erregen, einen Dienst im Hintergrund leisten und kaum wahrgenommen werden ...


Pfarrer Stefan Mai

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