Trauerverarbeitung zwischen zwei Extremen

Predigt in der Osternacht 2015

Liturgie der Osternacht

Einleitung


Das kennen wir von den olympischen Spielen: Schon Monate vor dem Beginn wird in Griechenland im alten Stadion von Olympia, dem Ursprungsort der Wettkämpfe, das olympische Feuer entzündet. Anschließend wird es wie in einem Staffellauf um die halbe Welt getragen, geflogen, gefahren: Alle sollen sich an der olympischen Idee entzünden.
Einen ganz ähnlichen Ritus gibt es in unserer Kirche an Ostern: In Jerusalem, dem Ursprungsort unseres Glaubens, wird in der Osternacht in der Grabeskirche im Grab Jesu das Osterfeuer entzündet – und dann unter großem Jubel und Geschrei aus dem Grab hinausgereicht: Alles stürzt sich dann wie wild auf die Osterfackel. Jeder versucht, so schnell wie möglich, die eigene Osterkerze daran zu entzünden.
Bei uns brennt in jeder Osternacht das Osterfeuer vor den Kirchen. Wir entzünden daran die große Osterkerze. Wir tragen sie in die dunkle Kirche und verkünden dreimal: Lumen Christi. Licht Christi. Und dann entzünden alle ihre Kerze am Christuslicht, feiern mit der brennenden Osterkerze den Gottesdienst und tragen das Licht mit nach Hause, und viele sogar noch in der Nacht auf ihre Gräber.
Was soll dieser Lichterritus anders sagen als: Wir möchten uns an der Hoffnungsbotschaft von Ostern entzünden – und sie im Leben weitertragen: in unsere Häuser und an unsere Gräber.

Der Zelebrant segnet nun das Osterfeuer.

Allmächtiger, ewiger Gott. Du hast durch Christus allen, die an dich glauben, das Licht deiner Herrlich¬keit geschenkt. Segne dieses neue Feuer, das die Nacht erhellt, und entflamme in uns die Sehnsucht nach dir, dem unvergänglichen Licht, damit wir mit reinem Herzen zum ewigen Osterfest gelangen. Darum bitten wir durch dich, Christus, unseren Herrn.

Nun werden die Symbole der Osterkerze ausgedeutet. Zunächst berührt der Zelebrant den Kreuzesbalken.

Christus, gestern und heute
Anfang und Ende
Alpha und Omega

Nun berührt der Zelebrant die Ziffern des Jahres 2015.

Sein ist die Zeit
Und die Ewigkeit
Sein ist die Macht und die Herrlichkeit
In alle Ewigkeit. Amen

Dann die roten Grannen.

Durch seine heiligen Wunden,
die leuchten in Herrlichkeit,
behüte uns
und bewahre uns
Christus, der Herr. Amen

Jetzt wird die Osterkerze am Osterfeuer entzündet und in die dunkle Kirche getragen.

Christus ist auferstanden vom Tod.
Sein Licht vertreibe das Dunkel des Herzens.
ortgottesdienst

Einführung in die 1. Lesung

Das Grab ist immer eine Provokation für den Glauben. Es rüttelt an den Grundfesten. Es lässt zweifeln. Erschüttert das Gottesbild. Bringt ins Schleudern. Scheint die Endstation zu sein.
Die Osternacht erzählt in vielen Beispielen, wie Menschen mit Gräbern konfrontiert werden, ins Strudeln kommen, aber verwandelt weggehen. So schon in der ersten Lesung, die wir heute hören. Sie steht im Buch Genesis.
Sie erzählt von einem, der meint, er schaufelt sich sein Grab. Und dabei ist es ein neuer Anfang. Er meint, er muss alles hergeben, und dabei gewinnt er eine neue Sicht. Er meint, er steht vor der Wand, dabei wird er in eine neue Zukunft geführt. Der Mann heißt Abraham.

1. Lesung: Gen 22, 1-18
Zwischengesang: GL 416/ 3+4 (Was Gott tut)


Gott, du Freund des Lebens, du willst nicht, dass die Menschen einander in deinem Namen töten. Lass uns mit allen Völkern, die Abraham ihren Vater nennen, in Eintracht und Frieden zusammenleben. Darum bitten wir durch Christus, unser Herrn.

Einführung in die 2. Lesung

Der sichere Tod stand ihnen vor Augen. Vor ihnen das Meer. Hinter ihnen das Heer der Ägypter. Und dann öffnet sich ein Weg, wo kein Ausweg zu sehen war.

2. Lesung: Ex 14,15 - 15,1
Zwischengesang: GL 402,6-10


Gebet

Gott, deine uralten Wunder leuchten auch in un¬seren Tagen.
Was einst dein mächtiger Arm an einem Volk getan hat,
das tust du an allen Völkern.
Einst hast du Israel aus der Knechtschaft des Pharao befreit.
Füh¬re auch heute Menschen aus der Bedrängnis
zu neuer Freiheit.
Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.

Einführung in die 3. Lesung

Alles scheint aus zu sein. Das Volk Israel steht vor dem Ende. Die Elite ist in Verbannung nach Babylon verschleppt worden. Das Heimatland steht unter fremder Besatzung. Der Prophet Ezechiel vergleicht diese Situation mit einem schaurigen Gräberfeld – und weckt mit seinem verrückten
Traum neue Hoffnung.

3. Lesung: Ez 37,1-14 (Lektionar: Pfingsten, Vorabend)
Zwischengesang: GL 395 (den Herren will ich loben)


Gebet

Gott, lass die Welt erfahren,
was du von Ewigkeit her bestimmt hast:
Was alt ist, wird neu,
was dunkel ist, wird licht,
was tot war, steht auf zum Leben,
und alles wird hell in dem, der der Ursprung von allem ist, in unserem Herrn Jesus Christus.

Gloria-Lied

Einführung in die Allerheiligen-Litanei

Nach alter Tradition folgt nun in der Osternacht die Allerheiligenlitanei, in der heilige Frauen und Männer um ihre Fürsprache bei Gott angerufen werden. Es sind Menschen aus den verschiedensten Jahrhunderten, Männer und Frauen mit verschiedenen Biographien, Begabungen, Herkunft und Stand. Eines haben sie gemeinsam: Sie haben ihr Leben aus dem Osterglauben heraus gestaltet.

Predigt

Die schlimmste Zeit für Trauernde beginnt nach der Beerdigung. Wenn man in die leere Wohnung kommt – und plötzlich alleine ist. Keiner begrüßt einen. Niemand spricht ein Wort. Der Verstorbene lächelt einem noch von einem Bild entgegen. Aber der Platz darunter bleibt leer. Wie weiterleben ohne den geliebten Menschen? Die Welt draußen läuft ihren gewohnten Gang weiter. Die Anteilnahme lässt nach. Wie mit dem Tod fertig werden? Wie wieder in einen normalen Alltag zurückfinden?
Ich beobachte zwei Extreme: Den einen wird die stetige Erinnerung zu viel. Sie reißen davor aus. Zu sehr schmerzt der Verlust. Sie fangen an, die Schränke auszuräumen. Sie stellen die Wohnung um. Sie hängen Bilder ab. Sie tünchen neu. Kaufen sich neue Kleider. „Du brauchst Tapetenwechsel“, sagen die Freunde. „Fahr doch mal ein paar Wochen lang weg. Der Abstand tut dir gut.“ Trauerverarbeitung durch Ablenkung.
Das andere Extrem ist die museale Erinnerung. Alles muss bleiben wie es war. Das Kalenderblatt des Todestages wird nicht abgerissen. Die Zeit bleibt stehen. Die Tasse, aus der der Verstorbene zum letzten Mal getrunken hat, wird nicht mehr angerührt. Der letzte Roman, den er immer vor dem Einschlafen gelesen hat, bleibt am Nachttisch liegen. Das Passbild wird vergrößert. In einem Rahmen steht es auf dem Wohnzimmertisch. Stets Blumen und eine brennende Kerze davor. Das Bild ist Ansprechpartner. Trauerverarbeitung durch Festhalten.
Jeder, der um einen lieben Menschen trauert, muss zwischen diesen beiden Extremen seinen Weg finden. So auch die Frauen, die nach der Kreuzigung Jesu sein Grab aufsuchen. Wir merken schnell: Sie versuchen Trauerverarbeitung durch Festhalten. Sie kommen mit wohlriechenden Salben zum Grab. Höchst ungewöhnlich: Was soll das nach der Bestattung? Die Frauen wollen ihre Erinnerungen einbalsamieren. Den Toten pflegen. In Kontakt bleiben. Sie können ihn einfach nicht loslassen.
Und da kommt ihnen der junge Mann dazwischen. Er setzt sie auf die Fährte einer anderen Art von Trauerverarbeitung. Er weiß, was sie zum Grab treibt: „Ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten.“ Und er mutet ihnen zu: „Er ist nicht hier.“ Hier findet ihr ihn nicht. Und er rät ihnen: Schaut noch einmal auf die Stelle, wo er gelegen war. Und dann geht nach Galiläa! Geht zu seinen Freunden. Geht zusammen mit ihnen dorthin, wo ihr mit ihm angefangen habt. Sucht die Orte auf, an denen er euch mit seinen Ideen begeistert hat. Und handelt wie er. Und ihr werdet sehen: Er ist bei euch.
Ein dritter Weg der Trauerverarbeitung, den das Osterevangelium vorschlägt? Nicht den Toten festhalten wollen, sondern das festhalten, was dem Toten wichtig war. Nicht ein Mausoleum für den Toten bauen, sondern daran weiterbauen, wofür sich der Verstorbene eingesetzt hat; die Werte weiterpflegen, die dem Toten ein Anliegen waren; das hochhalten, was dem Verstorbenen heilig war.
Das Evangelium rät: Geht diesen dritten Weg – und ihr werdet sehen: Der Tote ist nicht tot, er bleibt bei euch.

Fürbitten

Du Gott, des Lebens, Dir trauen wir zu, dass du Menschen und Geschichte verwandeln kannst. Dich bitten wir

L1: Ostern, Aufstand des Lebens gegen den Tod
L2: Gott, wo das Räderwerk ungerechter Systeme und Regime Leid und Erschrecken über die Menschen bringt und scheinbar nicht zu stoppen ist - greife ein!

L1: Ostern, Aufstand der Freude gegen das Leid
L2: Gott, wo Menschen am Boden sind und nicht mehr weiter wissen. Schenke neuen Lebensmut, neue Lebensfreude.

L1: Ostern, das Fest der großen Überraschung
L2: Gott, wo Menschen keine Alternativen und Möglich¬keiten mehr sehen. Schenke überraschende Einsichten und den nötigen Atem für neue Wege.

L1: Ostern, das große Fest unseres Glaubens
L2: Gott, wo Menschen die Auferstehung deines Sohnes feiern und sie sich an ihre Taufe erinnern. Lass sie die Kraft und die Freude des Glaubens immer wieder neu erfahren.

L1: Ostern, das Fest unserer großen Hoffnung
L2: Gott, wo Menschen um Tote trauern. Lass sie glau¬ben dürfen, dass ihre Toten bei dir leben.

Darum beten wir im Glauben an unseren auf¬erstandenen Herrn, der mit dir lebt und herrscht in Ewigkeit.


Pfarrer Stefan Mai

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