Ein selbstbewusster Looser

Predigt zum 5. Fastensonntag 2015 (Joh 12,20-33)

Einleitung

Das Lied „Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt“, das wir eben gesungen haben, ist ein Lied, dem eine alte französiche Volksmelodie aus dem 15. Jh. zugrundeliegt und in England 1928 mit dem Text versehen wurde, den der evangelische Ostberliner Theologe Jürgen Henkys ins Deutsche übertragen hat.
Dieses Lied ist inspiriert vom heutigen Evangelium vom sterbenden Weizenkorn und versucht eine Überzeugung in unsere Herzen zu singen: „Liebe wächst wie Weizen und ihr Halm ist grün.“

Predigt

Da wollen Menschen einen sehen, der groß in aller Munde ist. Da wollen sie einen sehen, der inzwischen im Land großes Aufsehen erregt und Ansehen gewonnen hat. Griechen sind es – heißt es. Sie gehen mit ihrem Wunsch auf einen aus dem Jüngerkreis mit einem griechischen Namen zu, auf Philippus. Beziehungen können ja manchmal weiterhelfen.
Die griechischen Pilger tragen die Sehnsucht nach der Begegnung mit einem Strahlemann in sich, um dadurch vielleicht selbst ein paar Strahlen abzubekommen.

Ob ihr Wunsch „Herr, wir möchten Jesus sehen“ in Erfüllung gegangen ist, lässt das Evangelium offen. Stattdessen kommen von diesem Jesus ganz andere Worte an ihr Ohr, als sie erwartet haben. Es sind rätselhafte, ja provozierende Worte: Amen, Amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. Wer an seinem Leben hängt, verliert es; ...wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren.
Und damit noch nicht genug. Jesus setzt noch eins drauf: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. Dieser Verliererweg soll der Weg der Verherrlichung sein?

Was in den Augen derer, die einen Strahlemann sehen wollen, als Looser erscheint, interpretiert Jesus ganz anders:
Er fühlt sich als sterbendes Weizenkorn nicht als Ausgeschmierter und ist nicht vom Leben und Gott enttäuscht, sondern schaut mit Stolz auf diese Lebensart und ist überzeugt: Wenn ein Mensch es in seinem Leben ehrlich meint und dennoch keine große Anerkennung oder Prestigegewinn dadurch findet. Wenn er trotzdem versucht, Güte zu leben, nicht nur an sich allein zu denken, dann kann er stolz auf sein Leben blicken. Und er ist zutiefst überzeugt: Die Reife eines Menschen zeigt sich am deutlichsten an dem Dienst, den er in der Gemeinschaft leistet (Pedro Arrupe).
Ein Leben in diesem Stil wird in den Augen Gottes in einem ganz anderen Licht gesehen als in den Augen von Menschen, die sich nach einem Strahlemanndasein sehnen.
Welch ein selbstbewusster Looser!

Fürbitten

Im Evangelium haben wir gehört, dass Menschen Jesus sehen wollen.
Jesus zeigt ihnen ein Weizenkorn, eine Ähre und reiche Frucht.
Gott, wir bitten dich:

Für die Menschen, die mit Vertrauen und Hingabe Liebe aussäen, Erfolge aber nicht sehen.
Lass uns die Welt mit deinen Augen sehen

Für die Menschen, die verbittert und enttäuscht sind und an nichts mehr glauben können.
Lass uns die Welt mit deinen Augen sehen

Für die Menschen, die bereit sind, ihr Leben einzusetzen,
wenn sie für Recht, Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfen.
Lass uns die Welt mit deinen Augen sehen

Für die Menschen, die ums ihres Glaubens willen verfolgt und angefochten werden und heute am Misereor-Sonntag um unsere Solidarität bitten.
Lass uns die Welt mit deinen Augen sehen

Für die Menschen, die alt und krank sind, alleine sterben und vergessen sind: Lass sie in deiner Liebe geborgen sein.
Lass uns die Welt mit deinen Augen sehen

Für die Menschen, die in den Augen der Welt tot sind, die wir aber in deiner herrlichkeit geborgen wissen. In diesem Gottesdienst beten wir für...
Lass uns die Welt mit deinen Augen sehen

Herr, wir wollen dir dienen, wir wollen dir folgen.
Wir gehören zu dir. Schenke uns Augen, die die Welt in deinem Licht sehen. - Amen


Pfarrer Stefan Mai

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