Spuren im Schnee

Profanierungsgottesdienst für die Kapelle im Kloster „Maria Schnee“ in Lülsfeld

Predigt
Es ist immer wieder ein faszinierendes Ereignis. Wenn frischer Schnee fällt, wird die Landschaft verzaubert. Eine geheimnisvolle weiße Decke hüllt die Landschaft ein und verleiht ihr etwas Unschuldiges und einen neuen Eindruck.
Wer als erster durch den frischen Schnee geht, dessen Spuren sind deutlich zu sehen. Spuren im Schnee , das sind immer ausdrucksstarke Bilder.
Mir kommt es vor, als habe Pfarrer Augustin Bandorf hier in Maria Schnee in Lülsfeld erste Spuren gelegt: mit seiner Vision von einem warmen Haus für Knechte und Mägde, denen in der damaligen Zeit gewöhnlich ein eisiges Alter bevorstand. Aus Geldmangel konnte er jedoch seine Fußspuren nicht zum Ziel führen.
Seine Spuren wurden von anderen weitergeführt: Es war Ihr Orden, liebe Erlöserschwestern, der hier in Maria Schnee in Richtung dieser alten Spuren von Pfarrer Bandorf neue Spuren gelegt hat:
Eine Hauswirtschaftsschule für Mädchen. In einer Zeit, in der Mädchen kaum Chancen auf eine gediegene Berufsausbildung hatten, gaben ihnen Schwestern praktisches Rüstzeug mit auf den Weg, das sie in ihren späteren Familien gut brauchen konnten.
In einer Zeit, in der die medizinische Versorgung auf dem Land noch lange nicht den heutigen Standard hatte, wurden Schwestern in Lülsfeld und unzähligen Dörfern zur Anlaufstation für Kranke. Wie oft saßen die Krankenschwestern in den Familien an den Sterbebetten.
Unsere Dörfer waren froh, wenn sich Schwestern in damals sogenannten Bewahranstalten - später Kindergärten genannt - um die Kleinen kümmerten.
Die Ursprungsidee von Pfarrer Bandorf lebte weiter, wenn in Maria Schnee alte Menschen ihren Lebensabend verbringen konnten.
Und immer wieder in der Geschichte des Klosters wurde Maria Schnee zur Flüchtlingsherberge. Und gerade während des Kirchenasyls im letzten Jahr habe ich manchmal an das Gedicht von Reiner Kunze denken müssen, das er 1968 zur DDR-Zeit geschrieben hat, als er in einem Pfarrhaus Unterschlupf gefunden hat, und in dem er beschreibt, wie und was kirchliche Häuser eigentlich sein sollten. Sein kurzes Gedicht lautet: „Wer da bedrängt ist findet/ mauern, ein/ dach und // muss nicht beten“

Fast 130 Jahre haben die Schwestern hier in Lülsfed im Bewusstsein der Dorfbewohner tiefe Spuren hinterlassen. Und jetzt, im Jahr 2015, scheint es, dass wieder Schnee auf diese Spuren fällt – und die Spuren verwehen. In einer sich rasant verändernden Gesellschaft sind andere Institutionen wieder in die Spuren getreten und führen die Aufgaben, denen sich unsere Schwestern über fast 130 Jahre hinweg gewidmet haben, in neuen Formen weiter.
Wenn heute die Kapelle profaniert wird und die letzten Schwestern das Haus verlassen, steht die große Frage im Raum: War alles umsonst? Oder was bleibt?
Diese Frage hat sich auch die Dichterin Hilde Domin am Ende ihres Lebens gestellt – in ihrem Gedicht „Wie wenig nütze ich bin“. Es kommt ihr vor, dass ihr Leben – trotz großen Einsatzes - vorbeigegangen ist, ohne dass sie Spuren hinterlassen hat. Es kommt ihr vor, als würde sie bald vergessen sein – trotz der vielen Gedichte, die sie geschrieben hat. Aber in der letzten Strophe des Gedichtes taucht ein Hoffnungsschimmer auf. Sie lautet:

Und im Vorbeigehn,
ganz absichtslos,
zünde ich die ein oder andere
Laterne an
in den Herzen am Wegrand.


Liebe Schwestern, ich bin mir sicher: auch Sie haben in den Herzen vieler Menschen manchmal eine solche Laterne angezündet.
- Im Herzen einer Frau, die in der Haushaltungsschule war, die gespürt hat: Die Schwestern meinen es gut mit mir, sie wollen mir Rüstzeug für die Gründung einer Familie mitgeben. Auch wenn es mir nicht möglich ist, auf eine höhere Schule zu gehen, geben sie mir einen Grundstock an Bildung mit und lassen mich spüren: Ich habe Fähigkeit und Begabungen, die für meine Familie und andere einsetzen kann.
- Sie haben eine Laterne angezündet in einer Familie, wo über lange Jahre Schwerkranke gepflegt wurden. Wo Menschen dankbar waren dafür und spüren durften: Wir stehen nicht alleine. Wir werden sowohl im Gebet als auch durch praktische Unterstützung mitgetragen.
- Im Herzen der kleinen Aminat, die am Rockzipfel der Schwestern gehangen hat, und im Herzen von manch altem Menschen, der hier im Kloster Geborgenheit und Wärme im letzten Lebensabschnitt spüren durfte.
- Eine Laterne im Herzen mancher Gottesdienstbesucherin brennt weiter, die hier in dieser Kapelle einen Ort der Ruhe, der Stille und des Nachdenkens gefunden hat – und sich hier im Kreis der Schwestern auch aufgehoben gefühlt hat.
Liebe Schwestern, ich glaube diese Laternen in den Herzen der Menschen sind das Wesentliche, das Sie hinterlassen. Denn die Herzen der Menschen sind das innerste Heiligtum, wo Gott wohnt. Diese Laternen brennen weiter, auch wenn hier im Kloster das Licht ausgeht und Sie nicht mehr hier im Kloster Maria Schnee in Lülsfeld sind. Diese Laternen brennen weiter, auch wenn wir heute das „Ewige Licht“ in dieser Kapelle auslöschen.

Fürbitten
Herr unser Gott, in dieser letzten Eucharistiefeier in der Klosterkirche Maria Schnee schwingt Wehmut mit, aber auch Dank dafür, dass dieser Kirchenraum für so viele Menschen ein Ort der Begegnung mit dir war. Wir bitten dich:

L 1: In dieser Klosterkirche hat das Stundengebet den Alltagsrhythmus der Schwester geprägt. Unzählige Male haben sie hier Eucharistie gefeiert
L 2: Lass uns innerlich tief spüren: Gebet schenkt Kraft, Hoffnung und Zuversicht

L 1: In dieser Kirche haben Haushaltsschülerinnen ihre Freuden und Sorgen, ihre Hoffnungen und Wünsche, ihre Enttäuschungen und Träume vor Gott hingetragen
L 2: Lass uns für das Schöne, das wir erleben dürfen, dankbar sein und in allem Schweren des Lebens bei dir Trost und Hilfe finden

L 1: Auch wenn die Klosterkirche keine Pfarrkirche war, hatten manchmal Eltern den Wunsch, ihr Kind hier taufen zu lassen
L 2: Lass Kinder im Elternhaus Geborgenheit erleben und schenke auch Eltern den Mut, das Geschenk des Glaubens an ihre Kinder weiterzugeben

L 1: Immer wieder haben sich Ehepaare vor diesem Altar das Ja-Wort gegeben oder haben in Dankbarkeit ihre Silberne, Goldene oder Diamantene Hochzeit gefeiert
L 2: Lass die Eheleute die Verlässlichkeit des Wohlwollens ihres Partners spüren und lass Menschen, deren Ehe zerbrochen ist einen neuen Weg ins Leben finden.

L1: Klassengemeinschaften haben hier gerne bei Klassentreffen Erinnerungen an frühere Zeiten hochkommen lassen
L 2: Lass uns dankbar sein für alle Freundschaft, die uns aus unserer Schulzeit noch erhalten geblieben ist

L1: Alte Menschen machten hier oft Rast, haben auf ihr langes Leben zurückgeblickt und Halt im Glauben gespürt
L 2: Schenke auch heute alten Menschen noch die Gesinnung, Menschen im Gebet mittragen zu wollen

L 1: Frauen und Männer haben in Exerzitien und Besinnungstagen in diesem Raum um wichtige Entscheidungen in ihrem Leben gerungen
L 2: Lass für uns die Worte aus der hl. Schrift und das Lebensbeispiel Jesu Richtschnur und Orientierungshilfe im Leben sein


L 1: In jeder Eucharistiefeier wurde hier der Toten gedacht
L 2: Wir nennen heute bewusst noch einmal die Namen der verstorbenen Schwestern und Pfarrer, die in den letzten Jahrzehnten das Leben in Maria Schnee mitgeprägt haben: ….......................................................
Lass ihnen dein ewiges Licht leuchten

Herr, unser Gott, lass uns glauben, was wir so oft singen: Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag. Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn. Amen


Pfarrer Stefan Mai

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