Simeon und Hanna sind wieder gefragt

Predigt zu Mariä Lichtmess 2015 (Lk 2,22-40)

Einleitung
Wir wissen es vom Sport: Beim 4x100 m oder 4x400 m Staffellauf ist immer die Staffelübergabe ein besonders kritischer Punkt. Gelingt es den Läufern, das Staffelholz im vollen Lauf an den nächsten Läufer zu übergeben, dann besteht Aussicht auf eine gute Zeit. Gibt es bei der Übergabe Komplikationen oder fällt das Staffelholz einem Läufer gar aus der Hand, dann ist jede Chance auf eine gute Zeit oder auf den Sieg vergeben.
Ich meine, dieses Bild aus dem Sport kann man auch auf die Weitergabe des Glaubens übertragen: Die Staffelübergabe des Glaubens von der einen zur nächsten Generation ist immer ein kritischer und wichtiger Punkt.

Predigt
Da war die Welt noch in Ordnung: Junge Eltern tragen ihr Kind in den Tempel, um Gott für die Geburt zu danken. Sie stehen fest in ihrem Glauben. Und zwei alte Leute, die ihren langen Tage am Tempel verbringen, freuen sich darüber. Es ist wie eine Generationenkette, die sich fest im Glauben verankert fühlt und den Glauben Glied für Glied weitergibt. Dieses Bild malt Lukas im heutigen Evangelium. Und er legt dem alten Simeon ein Danklied in den Mund: Er kann zufrieden aus der Welt gehen, denn er sieht: Der Glaube geht weiter – und dringt bis in die Heidenwelt vor.
So ein Danklied können in unseren Tagen ältere Menschen, denen der Glaube am Herzen liegt, gewöhnlich nicht mehr singen. Die Kette der Glaubensweitergabe scheint zerrissen zu sein. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass Eltern ihren Kindern den Glauben als Proviant fürs Leben weitergeben. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass Eltern ihren Kindern das Beten lernen. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass Kinder dass an der Hand ihrer Eltern den Gottesdienstraum und die Liturgie als erhebendes Erlebnis und sonntägliche Verschnaufpause kennen und schätzen lernen.
Aber trotzdem muss die Glaubenskette nicht endgültig zerbrechen. Es scheint mir so, als wäre in unseren Tagen der Glaube der Großeltern entscheidend, der Glaube der älteren Generation.
Davon erzählt ein Kinderbuch, das 2004 Aufsehen erregt hat: „Moritz und der liebe Gott“. Es erzählt von einem 13-jährigen Jungen, der durch die Trennung seiner Eltern eine Lebenskrise gerät. Weil er nicht dabei sein will, während sein Vater die letzten persönlichen Gegenstände zusammenpackt, um anschließend aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen, fährt Moritz ziellos mit seinem Kickboard durch die Gegend und landet zufällig in einer Kirche. Dort trifft er auf Frau Schmidt. Sie scheint sich an diesem für Moritz reichlich fremden Ort heimisch zu fühlen. Ohne lange zu überlegen, hat Moritz für seine Eltern, seine Schwester und sich selbst vier Kerzen angezündet, die den düsteren Raum heller und freundlicher machen. Frau Schmidt weist ihn darauf hin, dass man die Kerzen auch bezahlen muss! Sie legt das Geld für ihn aus.
Um seine Schulden zu bezahlen, besucht Moritz die alte Frau im Altenheim – und beginnt ihr Fragen zu stellen: Wie es ihr geht. Warum der Glaube für sie so wichtig ist. Wie das geht: glauben. Und die alte Frau, die froh darüber ist, mit jemandem reden zu können, erzählt ihm aus ihrem Leben und von ihren Erfahrungen – und auch davon, wie sie selbst glauben gelernt hat. Sie erinnert sich an ihren Lehrer und erzählt Moritz: „Meinem Volksschullehrer ist es gelungen, uns Kindern den ganzen Glauben mit nur einer einzigen Handbewegung zu beschreiben. Er legte seine Hände aneinander, so als ob sie einen kostbaren Schatz halten und beschützen würden. Dann sagte er zu uns: ‚An Gott glauben, das heißt zu spüren, dass wir in seiner Hand geborgen sind.‘ Das war alles. Mehr hat er nicht gesagt. Aber ich habe es nicht vergessen. Und genau das ist noch heute für mich der ganze Glaube. Was seine Hände mir damals gezeigt haben, das fühle ich immer noch. [Mein alter Lehrer war ein besonderer Mensch. Bei ihm waren wir still, und zwar nicht, weil er so streng gewesen wäre. Wenn er vor uns stand, hatten wir das Gefühl, dass er jeden von uns einzeln anschaute und ansprach. Er stand vor uns, sah uns an und jedes von uns Kindern hatte das Gefühl: Es geht um mich. Vielleicht konnte er uns deshalb so gut den Glauben erklären.] Ich sehe ihn jetzt noch vor mir. Und das nach über achtzig Jahren. Merkwürdig, wie einige Lehrer einen prägen.“
Liebe Zuhörer,
dieses Kinderbuch scheint mir einen Nerv unserer Zeit zu treffen. Kinder warten darauf, dass Menschen Zeit für sie haben. Dass es jemanden gibt, der auf ihre Fragen Antworten geben kann, die durch eigene Erfahrung gedeckt sind. Kinder interessieren sich auch heute noch für diese Fragen: Wie sieht Gott aus? Warum gibt es so viel Böses in unserer Welt? Warum kann man Gott nicht sehen? Wie kann er auf alle aufpassen?
Junge Eltern sind oft viel zu viel mit sich selbst beschäftigt. Sie stehen unter Erfolgsdruck – und ihnen fehlen oft schon selbst die Glaubenserfahrungen.
Was die Weitergabe des Glaubens angeht, ist in unserer Zeit die Großelterngeneration gefragt, die Simeons und Hannas unserer Tage.

Fürbitten
Herr, unser Gott. Der Glaube ist ein Geschenk, das eine Generation an die andere weitergibt. Wir bitten dich:
V: Begleite sie mit deinem Segen
A: Begleite sie mit deinem Segen

Wir bitten dich für die Kinder, die noch offen und neugierig sind und viele Fragen stellen

Wir bitten dich für die Eltern, die Kinder erziehen und ihnen Geborgenheit und Vertrauen ins Leben vermitteln möchten

Wir bitten dich für alle Eltern, die selbst wenig Erfahrung mit Glauben und Kirche in ihrer Familie hatten und sich deshalb in Glaubensfragen schwer tun

Wir bitten dich für alle Menschen, denen bewusst geworden ist, wie oberflächlich ihr Leben geworden ist und deshalb wieder neu suchen

Wir bitten für alle alten Menschen, die sich ihr Leben ohne Glauben nicht vorstellen können

Wir bitten dich für alle, deren Lebenszeit sich dem Ende zuneigt

Wir bitten dich für alle Verstorbenen, die in ihrem Leben an dich geglaubt und auf dich gehofft haben






Pfarrer Stefan Mai

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