Meinen Sie, es hat Sinn?

Predigt zum 3. Sonntag im Jahreskreis (Jona 3,1-10)

Einleitung
,Was tun Sie', wurde Herr K. gefragt, ,wenn Sie einen Menschen lieben?' ,Ich mache einen Entwurf von ihm', sagte Herr K., und sorge, dass er ihm ähnlich wird.' Wer? Der Entwurf?' ,Nein', sagte Herr K., der Mensch.'
Ich möchte diese Geschichte noch erweitern: Was tun Sie, wenn sie einen Menschen nicht mögen?

Predigt
Meinen Sie, es hat Sinn, einen, der mit Gott gar nichts am Hut hat, zu einem gläubigen Menschen bekehren zu wollen?
Meinen Sie, es hat Sinn, einen, der überhaupt nichts von Kirche hält, zu einem Gottesdienst einzuladen?
Meinen Sie, es hat Sinn, einen, den ich für einen faulen Stinker halte, mit einer wichtigen Aufgabe zu betrauen?
Ich vermute, wir denken da alle ähnlich: völlig umsonst, vergebliche Liebesmüh.
So dachte auch Jona, als er von Gott den Auftrag erhielt: „Los geh nach Ninive, in die heidnische Stadt, und ruf dort die Menschen zur Umkehr auf.“ Schon einmal war er vor diesen Auftrag ausgerissen. Statt sich nach Ninive, Richtung Osten, einzuschiffen, besteigt er ein Schiff, das in den äußersten Westen, nach Tarschisch, fährt: Er rennt Gott davon! Er führt sich auf wie ein Jagdhund, der nicht zur Jagd gehen will. Aber Gott lässt nicht locker und wirft ihn durch den Fisch direkt vor die Tore der Stadt Ninive. Zweiter Versuch Gottes. Erneuter Auftrag: „Geh in die Stadt hinein und richte meine Botschaft aus!“
Stinkig und missmutig stapft Jona in die Stadt hinein und erfüllt herzlos seinen Auftrag. Und siehe da: Ein Aufruf zur Umkehr reicht – und die ganze Stadt zieht Bußgewänder an und geht in Sack und Asche, Groß und Klein, angefangen vom König bis zum Vieh.

Liebe Zuhörer,
das Jonabüchlein ist eine listige Erzählung. Leicht übertrieben hält es all denen, die ach so genau wissen, wie es um den anderen steht, einen Spiegel vor Augen – und fragt mich: Ist das nicht alles deine Projektion? Es fragt mich: Meine auch ich – wie Jona – genau zu wissen, wie der andere ist, was er kann, wie er reagiert? Und steuert nicht dieses mein Bild vom anderen entscheidend mein eigenes Verhalten? Ich probier´s erst gar nicht, weil es sowieso keinen Sinn hat. Ich rede erst gar nicht mit ihm, weil er so ein sturer Hund ist. Ich trau ihr gar nichts zu, weil sie sowieso nichts fertig bringt.
Vom Jona-Büchlein kann man eines lernen: Wir blockieren uns im Umgang mit den anderen oft selbst. Denn: Was wir in einen anderen Menschen hineinprojizieren, prägt dann auch unser Verhalten – und verbaut anderen Menschen und sogar Gott beste Chancen. Eigentlich müssten wir, wie Jona, zuerst selbst umkehren, um erleben zu können, dass der andere ganz anders ist als wir denken.
Das Jona-Büchlein möchte uns dazu bewegen. Nur, wenn du wie Gott vom anderen groß denkst, kann er sich auch in eine Größe erheben. Nur wenn du wie Gott einem anderen viel zutraust, wird er zeigen können, was in ihm steckt.
Es ist erstaunlich: Eine Geschichte aus der chinesischen Weisheit kommt zu der gleichen Erkenntnis wie das Jonabüchlein. Sie lautet:
Der Bauer Dong suchte einen halben Tag lang nach seiner Axt. Er konnte sie nicht finden.
Da begann er seinen Nachbarn Luo zu beobachten. Ging Luo, der Nachbar, nicht ganz genau wie ein Axtdieb? Klangen die Worte des Nachbarn nicht wie die Worte eines Axtdiebs? Lachte er nicht wie ein Axtdieb? Waren seine Blicke und Bewegungen nicht ganz ähnlich wie die Blicke und Bewegungen des Axtdiebs?
Zufällig fand Dong die Axt unter seiner Treppe wieder.
Als er sich am nächsten Tag wieder mit seinem Nachbarn unterhielt, hatte sich der Nachbar ganz verändert. Luo ging nicht mehr wie ein Axtdieb, redete nicht mehr wie ein Axtdieb, lachte nicht mehr wie ein Axtdieb, in seinen Blicken und Bewegungen war nichts mehr von einem Axtdieb.

Fürbitten
Herr, unser Gott. Wir Menschen machen uns gerne Bilder von anderen und nageln sie darauf fest. Wir bitten dich:
- Wir beten für Pegidaanhänger und Pegidagegner, für konservative und progressive Gruppen in unseren Kirchen, für die verschiedenen Parteien im Parlament: Dass sie sich nicht mit Vorurteilen den Weg zueinander verbauen …
- Wir beten für alle Eltern, die genauestens die Zukunft ihrer Kinder planen möchten. Schenke ihnen Vertrauen in die Eigenkräfte ihrer Kinder
- Wir beten für alle Menschen, die im Leben tief enttäuscht wurden und diese Enttäuschung als dauernd schwärende Wunde in sich tragen. Lass sie offen werden für neue Erfahrungen …
- Wir beten für alle Menschen, die mit einem Argusauge nur auf die Negativseiten ihrer Mitmenschen starren und so den guten Willen vieler übersehen. Schenke ihnen einen neuen Blick für das Schöne und Gute …
- Wir beten für unsere Toten. Sei du selbst die große freudige Überraschung ihres Lebens …


Pfarrer Stefan Mai

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