Wo wohnst du?

Predigt zum 2. Sonntag im Jahreskreis (Joh 1,35-42)

Einleitung
Als Pfarrer empfinde ich es immer als besonderes Privileg, Menschen in ihrer Wohnung besuchen zu dürfen. Denn durch kaum etwas anderes als eine Wohnung kann man so schnell Einblicke in ein Leben gewinnen: Welcher gesellschaftlichen Schicht fühlt sich die Person zugehörig, was meist im Mobiliar auszudrücken versucht wird? Wovon erzählen die Bilder an der Wand? Die Spruchweisheiten, die einen Menschen im Leben begleiten. Die Fotos von Kindern, Enkeln und wichtigen Familienereignissen. Welche Indizien über ein Hobby und eine aktuelle Beschäftigung liegen herum? Es ist schon was dran: Zeig mir deine Wohnung, und ich weiß innerhalb weniger Sekunden ziemlich viel über dein Leben.

Predigt
Am Anfang war das Wort. So beginnt - wir haben es gleich zwei Mal in den Weihnachtstagen als Evangelium gehört - das Johannesevangelium.
Am Anfang war aber auch eine Frage oder noch besser gesagt zwei ganz einfache Fragen. Sie folgen auf den tief theologischen Eingangsprolog, wenn der Evangelist die Geschichte Jesu zu erzählen beginnt.

Bei einer fast zufällig wirkenden Begegnung zwischen Johannes dem Täufer, zwei seiner Jünger und Jesus, fragt Jesus die beiden Johannes-Jünger, die ihm da grade über den Weg laufen: „Was sucht ihr?“. Doch die fragen zurück: „Rabbi, wo wohnst du?“ Und schließlich die Einladung Jesu: „Kommt und seht!“
Vordergründig harmlos mutet an, was uns Johannes da berichtet. Ein eher unspektakuläres Zusammentreffen am Wegesrand. Und doch: voller Doppelsinn und Hintersinn.

„Wo wohnst du?“ Diese Frage heißt mehr als: Wie lautet deine Adresse, in welcher Straße lebst du? Diese Frage bedeutet vielmehr: Lass mich doch bitte sehen, wo du wirklich daheim bist, wo du dich wohlfühlst, wie du fühlst und denkst, was dir wichtig ist, welche Pläne du hast. Diese Frage bedeutet: Zeig mir doch bitte, wie du mit Menschen umgehst und dein Leben anpackst. Und was dir letzten Halt gibt.

Das Evangelium erzählt weiter: „Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde.“ D.h. diese Begegnung hat tiefsten Eindruck bei den Jüngern hinterlassen. Diese Stunde ist ihnen ewig im Gedächtnis geblieben und hat sie zeitlebens geprägt.

Vor einer Woche fiel mir ein Segensspruch in die Hände, der über dem Portal eines alten Hauses angebracht ist. Er lautet:

Freudig trete herein.
Und froh entferne dich wieder.
Ziehst du als Wandrer vorbei,
Segne die Pfade dir Gott.


Nicht nur vorbehaltlos und unbesorgt wird der Besucher zum Eintritt ermuntert, er wird auch eingeladen, Freude mit hereinzubringen. Aber auch beladenen, sorgenvollen Besuchern wird ein Segen zugesprochen: Und froh entferne dich wieder. Der Hausherr hofft mit diesen Zeilen, dass die Begegnung mit dem Besucher eine Bereicherung für ihn selbst ist und dass auch der Besucher nach dem Gespräch und der Begegnung im Haus wieder beschenkt und froh von dannen ziehen kann.
Und selbst, wer am Haus vorbeigeht und nicht eintritt wird unter den Segen gestellt: „Ziehst du als Wandrer vorbei, segne die Pfade dir Gott“. Was für ein Wohlwollen, was für eine Menschenfreundlichkeit schlägt einem mit diesem Spruch entgegen.

Dieses Evangelium mit der Frage „Wo wohnst du?“, dieser alte Haussegenspruch „Freudig trete herein. Und froh entferne dich wieder. Ziehst du als Wandrer vorbei, segne die Pfade dir Gott“ lassen mich wieder einmal fragen: Wie begegne ich Menschen? Welchen Eindruck hinterlasse ich? Dürfen Menschen in der Begegnung etwas davon spüren: Wo ich wirklich zuhause bin?

Fürbitten
Eine einfache Frage: Wo wohnst du? Und eine einfache Antwort: Kommt und seht! Und doch von so großer Tragweite.
Gott wir bitten dich:


Die Jünger des Johannes fragen: Meister, wo wohnst du?
Wir bitten dich, Gott: Lass auch uns suchen und fragen nach Jesus und seiner Botschaft, nach einem erfüllten Leben

Jesus antwortet: Kommt und seht!

Wir bitten dich, Gott: Lass auch uns Menschen sein, die offen für andere sind und in ihrer Ausstrahlung einladend auf unsere Mitmenschen wirken

Die Jünger des Johannes wagen es, Jesus zu folgen: Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte.
Wir bitten dich, Gott: Schenke auch uns den Mut, uns auf die Worte Jesu einzulassen

Die Jünger waren von der Begegnung mit Jesus beeindruckt und hat einen nachhaltigen Eindruck bei ihnen hinterlassen. Es heißt: Es war um die zehnte Stunde.
Wir bitten dich Gott: Lass uns dankbar sein für Erlebnisse und Begegnungen, die uns im Leben bereichern.

Jesus sagt: Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen.
Wir bitten dich Gott: Schenke unseren Verstorbenen Wohnung und Heimat bei dir




Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de