Alles beginnt mit der Sehnsucht

Predigt zur Taufe Jesu 2015 (Jes 55, 1-11)

Predigt
Bis heute habe ich noch den Satz eines Originals aus dem Weinort Frickenhausen im Ohr: „Heut´ kummt der Moust wieder gar net hi, wo der Durscht is.“
Im ersten Moment musste ich schmunzeln, denn das Zitat stammt von einem Mann, von dem wir suffisant im Fränkischen sagen „da hat überhaupt kenn Durscht“. Und der meinte damit: Ich kann wieder einmal meinen „Brand“ gar nicht löschen. Aber dann gab mir das Wort zu denken, denn es bringt etwas Grundsätzliches von uns Menschen auf den Punkt.

Der Durst ist Sinnbild für den Lebensdurst - nichts kann so schnell den Durst nach Leben, nach einem sinnerfüllten Leben stillen. Die Sehnsucht ist immer größer als ihre Erfüllung.

Dieser Überzeugung ist die jüdische Dichterin Nelly Sachs. Eines ihrer Gedichte beginnt mit den Worten:

Alles beginnt mit der Sehnsucht,
immer ist im Herzen Raum für mehr,
für Schöneres, für Größeres.
Das ist des Menschen Größe und Not:
Sehnsucht nach Stille, nach Freundschaft und Liebe.
Und wo Sehnsucht sich erfüllt,
dort bricht sie noch stärker auf.


Es ist doch so:
Sehnsucht lässt Menschen Nähe suchen, Freunde, Partner, Ehepartner. Sehnsucht lässt die Frau den Mann, den Mann die Frau finden. Uns alle gäbe es nicht ohne diese Sehnsucht.

Leben entfaltet sich in der Kraft der Sehnsucht. Ein Kind ist gebündelte Sehnsucht nach Wachsen, nach Entfaltung. Der erwachsene Mensch sehnt sich danach, mit seinem Leben etwas zu bewirken. Der alte Mensch sehnt sich nach Geborgenheit bei seinen Kindern oder nach dem Wiedersehen mit dem verstorbenen Partner.

Ebenso unausrottbar ist die Sehnsucht nach Werten, nach Gerechtigkeit, nach Frieden, nach einer menschlicheren Welt. Sehnsucht hält uns Menschen in Bewegung.

Vielleicht ist diese Sehnsucht, diese gute Unruhe des Herzens manchmal verschüttet unter dem Vielerlei des Alltags, unter den vielen Möglichkeiten, mit kleinen Rationen des Glücks die Sehnsucht des Herzens vorläufig zu stillen. Aber da ist eine Stunde in der Nacht, in der Stille und dann kommt sie hoch die leise Anfrage, soll das jetzt alles gewesen sein?

Ob es nicht so ist: Wenn du diese Suche, diese Unruhe in dir spürst, dann bist du schon auf der Suche nach Gott. Ob das nicht heißt: Solange du Sehnsucht in dir spürst, ist der Weg bereitet, mit Gott in Berührung zu kommen? – Ob das nicht die Ermunterung des Propheten Jesaja in der heutigen Lesung ist: Nützt diese Stunden. Sucht den Herrn, solang er sich finden lässt, ruft ihn an, solange er nahe ist.
Und diese Sehnsucht, meint er, kannst du ohne Geld stillen, dieses Ahnen von Sinn, dieses Berührtsein von Gott, kannst du nicht mit Geld erkaufen und auch nicht erzwingen. „Auf ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser! Auch wer kein Geld hat, soll kommen. Kauft Getreide und esst, kommt und kauft ohne Geld, kauft Wein und Milch ohne Bezahlung! Warum bezahlt ihr mit Geld, was euch nicht nährt und mit dem Lohn eurer Mühen, was euch nicht satt macht?“

Und die Dichterin Nelly Sachs endet ihr Gedicht mit den Zeilen:

So lass nun unsere Sehnsucht damit anfangen,
Dich zu suchen,
und lass sie damit enden,
Dich gefunden zu haben.


Nach der Predigt das Lied singen: Würzburger Gl 814

Da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott, nach dir, dich zu sehn, dir nah zu sein. Es ist ein Sehnen, ist ein Durst nach Glück, nach Liebe, wie nur du sie gibst.

1. Um Frieden, um Freiheit, um Hoffnung bitten wir. In Sorge, im Schmerz –
sei da, sei uns nahe, Gott.

2. Um Einsicht, Beherztheit, um Beistand bitten wir. In Ohnmacht, in Furcht –
sei da, sei uns nahe, Gott.

3. Um Heilung, um Ganzsein, um Zukunft bitten wir. In Krankheit, im Tod –
sei da, sei uns nahe, Gott.

4. Dass du, Gott, das Sehnen, den Durst stillst, bitten wir. Wir hoffen auf dich –
sei da, sei uns nahe, Gott.

Text nach der Kommunion
Aus der Sehnsucht der Raupe,
als Schmetterling ihre Flügel ausbreiten zu dürfen,
aus der Sehnsucht des Vogels im Käfig,
im Urwald von Ast zu Ast zu hüpfen,
aus der Sehnsucht der Eisdecke,
als Welle tanzen zu dürfen,
aus der Sehnsucht der erloschenen Sterne,
noch einmal leuchten zu dürfen,
aus der Sehnsucht des Blinden, sehen zu können,
aus der Sehnsucht der Verfolgten, Frieden zu finden,
aus Sehnsucht,
nur aus Sehnsucht ist das Weltall aufgebaut.

Martin Gutl





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