„Wohnen“ heißt nicht nur „übernachten“

Predigt zum 2. Sonntag nach Weihnachten 2014 (Joh 1,1-18)

Einleitung
Immobilien sind heutzutage in. Eine schöne Wohnung ist der Traum vieler. Eine Wohnung, in der man sich wohlfühlt, man sich zurückziehen kann, in der man Platz hat, in der man die Seele baumeln lassen kann.
An der Sprache des Johannesevangeliums fällt auf, dass es oft von „Wohnungen“ erzählt. Von Wohnungen im Himmel und von Wohnungen auf Erden.

Predigt
„Du, ich bin gerade auf der Durchreise. Kann ich bei Dir heute mal übernachten?“ Und der Freund stellt ein Klappbett auf. Sie sitzen abends beieinander, verherrlichen die alten Zeiten. Am nächsten Tag trinken sie noch Kaffee miteinander – und dann geht die Reise weiter.
„Mama, gell am Samstag darf ich bei der Maria übernachten?“, fragt die Kleine ihre Mutter. „Aber macht mir ja keinen Blödsinn. Sonst schickt dich die Mama von der Maria gleich wieder heim!“
Übernachten heißt noch lange nicht: wohnen. Wer übernachtet, der ist nur Gast. Der bleibt höchstens für ein paar Tage. Es reicht für ein paar Unterhaltungen. Es reicht dafür, dass die Verbindung nicht abreißt. Aber dann geht jeder wieder seiner Wege.
Wohnen ist anders. Da kommt einer mit Sack und Pack. Da bleibt einer. Da müssen sich zwei in einer Wohnung aneinander gewöhnen. Da muss man miteinander den Alltag planen, die Launen aushalten, Streitigkeiten durchstehen, Kompromisse schließen – einfach Leben miteinander teilen. Übernachten ist noch lange nicht wohnen.
Im berühmten Johannesprolog heißt es: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14).
Was sonst so fromm klingt, ist eigentlich eine große Anfrage: Wohnt Gott bei mir – oder übernachtet er nur? Mache ich bloß kurz die Tür für ihn auf, wenn ich mal nicht weiterkomme im Leben, wenn ich Sorgen habe oder Hilfe brauche? Oder teile ich den Alltag mit ihm? Kommt Gott zu mir auf Stippvisite: an den Feiertagen, bei großen Familienfesten? Oder entdecke ich an mir, dass er mir täglich in den Sinn kommt, dass ich ganz unbewusst und natürlich mit ihm spreche, dass er einfach zu meinem Leben gehört?
Liebe Leser,
ich vermute, dass die meisten unter uns zu denen gehören, die Gott bei sich wohnen lassen. Von ihnen sagt das Johannesevangelium: „Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.“

Fürbitten
„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Herr, unser Gott, höre unsere Bitten:
- Wir beten für alle, die mit uns unter einem Dach wohnen …
- Wir beten für alle, die in unserer Nachbarschaft leben …
- Wir beten für alle, die unsere Wohnung betreten und unsere Gäste sind …
- Wir beten für alle in unserer Stadt, die wir mögen – und auch für die, die wir nicht mögen …
- Wir beten für die vielen Asyl-Suchenden in unserem Land, die darauf hoffen, bei uns eine Wohnung zu finden …
- Wir beten für unsere Toten, für die wir eine Wohnung bei dir erhoffen …


Pfarrer Stefan Mai

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