Planende oder improvisierende Eltern?

Predigt zum Familiensonntag 2014 (Lk 2,22-40)

Einleitung
Das Fest der heiligen Familie ist ein relativ junges Fest. Im 19. Jh. verbreitete sich die Ansicht, die heilige Familie könnte ein hilfreiches Vorbild für die gefährdeten christlichen Familien sein. Im Jahr 1920 wurde das Fest dann in der katholischen Kirche eingeführt.
Es ist offensichtlich, dass auch in heutiger Zeit Familien Zuspruch und Ermutigung brauchen. Viele Belastungen zehren an den Nerven von Kindern und Eltern. Doppelbelastung Familie und Beruf. Der Stress in Schule und Beruf geht auch an den Familien nicht spurlos vorüber. Langfristige Bindungen und Treue sind heute nicht mehr so selbstverständlich. Ob da der Blick auf die Familie helfen kann?

Predigt
Was muss man heutzutage, wenn ein Kind zur Welt kommt, nicht alles beachten!
Ja nicht vergessen, es beizeiten für die Kinderkrippe anzumelden. Und vielleicht noch als Wohnsitz den der Großeltern angeben, damit es in die gewünschte Grundschule kommt. Welchen Untersuchungswald muss man durchschreiten, bei dem die Kinder dann nach Größe und Gewicht, Grob- und Feinmotorik, Denk- und Sprachvermögen gemäß der Entwicklungsphase eingestuft werden.
Wehe, es entspricht nicht der Norm! Dann muss sofort korrigierend eingegriffen werden. Beherrscht das Kind altersgemäß noch nicht alle Konsonanten, dann muss mindestens einmal pro Woche eine Sitzung beim Logotherapeuten anberaumt werden. Ist die Grob- oder Feinmotorik nicht auf dem aktuellen Stand, dann ist ein Gang zum Ergotherapeuten unausweichlich. Kann das Kind im Vorschulalter immer noch nicht rechnen, wird die Kompetenz der Kindergärtnerin angezweifelt.
Vorausplanende Eltern überlassen nichts dem Zufall. Man muss schließlich alles tun, um der Karriere des Kindes die Wege zu ebnen.
Ich möchte diese Fürsorge für die Kinder nicht lächerlich machen. Aber ich frage mich: Ist das nicht ein wenig übertrieben? Wird eine solch genormte Fürsorge wirklich der Individualität eines Kindes gerecht?
Wenn solche vorausplanenden Eltern wirklich gute Eltern sind, dann war Gott kein guter Vater. Es hätte bessere Umgebungen gegeben, um sein Kind aufwachsen zu lassen als in der Familie eines Zimmermanns im hintersten Winkel der damaligen Welt.
Was wird diesem Kind alles zugemutet! Unklare Vaterschaftsverhältnisse! Kaum geboren, sofort auf der Flucht. Asyl in Ägypten. Unklar, wie es nach der Rückkehr weitergeht.
Aber am Ende ist doch noch etwas ganz Ordentliches aus ihm geworden, diesem Jesus von Nazaret.
Und ich glaube, es hängt auch bei ihm mit seinen irdischen Eltern zusammen. Die haben zwar nicht seine Karriere vorgeplant, aber die konnten improvisieren. Sie hörten auf ihre innere Stimme. Wie oft wird gerade von Josef erzählt, dass er im Traum um die richtige Entscheidung ringt. Jesu Eltern sind mit ihrem Sohn durch dick und dünn gegangen – und haben ihn nicht aufgehalten, als er sich vom Elternhaus verabschiedet hat, eigene Wege gegangen ist und Ideen vertreten hat, die ihnen sicher gegen den Strich gegangen sind.
Liebe Leser,
ich denke, die Kindheit Jesu macht uns darauf aufmerksam: Planende Eltern möchten ihrer Verantwortung gerecht werden, aber vielleicht sind improvisierende, auf die Situation angemessen reagierende und mitgehende Eltern für individuelle Entwicklung ihres Kindes viel notwendiger.

Fürbitten
Gott, Jesus ist als Kind in einer Familie geboren und aufgewachsen. Wir bitten dich:
- Für alle Familien, die sich überfordert fühlen. Gib ihnen die Kraft, dass sie zueinander stehen und gemeinsam ihre Herausforderungen bestehen.
- Für Kinder und junge Menschen, die keine Familie daheim erleben. Schenke ihnen Menschen, die ihnen ermutigend zur Seite stehen, damit sie ihren eigenen Weg finden können.
- Für Väter und Mütter, die zwischen Beruf und Familie aufgerieben werden. Lass sie einen Weg finden, der ihnen Freiräume für sich und den ihnen Anvertrauten verschafft.
- Für die Familien, die in den Elendsvierteln der großen Städte leben. Schenke ihnen die Kraft, den Alltag in Solidarität miteinander zu bestehen.


Pfarrer Stefan Mai

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