Wir sind noch lange nicht fertig!

Predigt zum Stefanustag 2014 (Apg 4,32-35)

Einleitung
Was hat sich Deutschland amüsiert über den früheren FC-Bayern-Trainer Giovanni Trapattoni, der nach einer Niederlage gegen den FC Schalke 04 die Leistung einiger Spieler kritisiert hat, grammatikalisch völlig unmöglich, aber äußerst emotional: „Strunz … ware' schwach wie eine Flasche leer“ - und schließlich als Pointe: „Ich habe fertig“. Dieser Ausspruch ist zum geflügelten Wort geworden.
„Ich habe fertig“ – das hätte man auch über die erste christliche Gemeinde sagen können. Aber es gab einen, der fing an.

Lesung aus der Apostelgeschichte
Die Gemeinde der Gläubigen
war ein Herz und eine Seele.
Keiner nannte etwas von dem, was er hatte,
sein Eigentum,
sondern sie hatten alles gemeinsam.
Mit großer Kraft legten die Apostel Zeugnis ab
von der Auferstehung Jesu, des Herrn,
und reiche Gnade ruhte auf ihnen allen.
Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt.
Denn alle, die Grundstücke oder Häuser besaßen,
verkauften ihren Besitz,
brachten den Erlös
und legten ihn den Aposteln zu Füßen.
Jedem wurde davon so viel zugeteilt,
wie er nötig hatte.

Predigt
Was war das für eine Vorzeigegemeinde: „Ein Herz und eine Seele.“ Sie teilten alles miteinander. Niemand litt Not. Keiner raffte aus Gier in seinen eigenen Säckel. Da kann man nur den Hut ziehen vor dieser jungen christlichen Gemeinde.
Aber wer ein wenig weiterliest in der Apostelgeschichte, merkt schnell: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Da ist ein reiches Ehepaar, das großzügig den Erlös für einen Acker der Gemeinde spendet, aber dann doch einen Teil davon für sich abzwackt – ohne etwas davon zu sagen. Und da ist die Not der Aussiedlerwitwen, die niemand sehen will. Und die Aussiedler beginnen zu murren. Sie werfen den Einheimischen vor, dass sie vernachlässigt werden.
So kommt es, dass ein neues Gremium in der Gemeinde eingerichtet wird: sieben Männer, die sich ab sofort um die Aussiedlerwitwen kümmern sollen. Und der führende Kopf von ihnen heißt Stefanus.
Stefanus ist nicht nur der erste Märtyrer in der Kirche. Er ist auch der erste große Kritiker in den eigenen Reihen. Sein Gedenktag weist darauf hin: Gebt euch nicht mit dem christlichen Schein zufrieden. Seid ehrlich und benennt die Miss-Stände in den Gemeinden, arbeitet daran und sucht nach Lösungswegen. Denn das ist der erste Schritt zum Fortschritt.

Liebe Leser,
kurz vor Weihnachten erhielt ich von unserem früheren Regens im Priesterseminar eine Spruchkarte, die an das 50-jährige Jubiläum des Zweiten Vatikanischen Konzils erinnert. Darauf ist ein stilisiertes offenes Fenster zu sehen. Der innerkirchliche Mief strömt nach außen, von draußen kommt frischer Wind herein. Groß ist als Überschrift zu lesen: „Fertig sind wir noch lange nicht!“ Und in der angedeuteten Frischluftzufuhr stehen die Worte: Öffnung zur Welt – Zeichen der Zeit erkennen – den Menschen in den Mittelpunkt stellen – Ökumenische Öffnung – Interreligiöser Dialog – Religionsfreiheit – aktive Mitfeier des Gottesdienstes – jede/r ist berufen – jede/r ist wichtig – Volk Gottes unterwegs.
Stefanus steht als Pate für dieses Programm: Fertig sind wir noch lange nicht!

Fürbitten
Herr, unser Gott, du bist mit deiner Kirche noch lange nicht fertig. Wir bitten dich:
- Lass sie offen sein für die Anliegen und Nöte der heutigen Menschen
- Lass sie die Zeichen der Zeit erkennen
- Mache sie zum Anwalt des Menschen
- Lass den ökumenischen und interreligiösen Dialog an der Basis wachsen
- Lass uns begreifen: Jede und jeder ist berufen; jede und jeder ist wichtig


Pfarrer Stefan Mai

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