Volkstrauertag

2014 - Gerolzhofen

Peter, ihr ältester Sohn, ist zu Beginn des ersten Weltkriegs im Jahr 1914 in Belgien gefallen. Peter, ihr ältester Enkel, ist 1943 während des zweiten Weltkriegs in Russland gefallen.
Kaum ein Künstlerleben haben die beiden Weltkriege so geprägt wie das der wenige Tage vor dem Ende des zweiten Weltkriegs verstorbenen Käthe Kollwitz. Ihre 1932 fertig gestellte Plastik „Das trauernde Elternpaar“ ziert den belgischen Friedhof Vladslo, auf dem auch die sterblichen Überreste ihres Sohnes beerdigt sind. Wie ein roter Faden zieht sich die Trauer der Mütter, die ihre Söhne im Krieg verloren haben, durch ihr Werk, wusste sie doch, dass „immer die Eltern, die Frauen, die Mütter“ die wirklichen Verlierer der Kriege sind.
„Nie wieder Krieg“ steht in schreienden Lettern auf einem der von ihr gestalteten Plakate. Eine junge Frau hat den Arm zum Protest erhoben und den Mund so weit geöffnet, dass ihr Schrei gegen den Krieg nicht zu überhören ist. Ihre „Pietà“ steht in der Neuen Wache in Berlin. An die trauernde Mutter Jesu erinnernd, birgt die Statue das Leid aller Mütter dieser Welt, die ihre Söhne durch menschliche Gewalt verloren haben.
Es ist kein heroisches Kriegerdenkmal, das Käthe Kollwitz für den Soldatenfriedhof von Vladslo in Belgien geschaffen hat: Das trauernde Elternpaar.
Die beiden Figuren knien. Sich aufrecht haltend, ganz in sich gekehrt, der Mann. Tief gebeugt, die Augen auf den Boden gerichtet, die Frau. Steingewordene Trauer um all die Toten, die hier ruhen, kein Krieger-Helden-Kult. Die Gesichtszüge sind die von Käthe und Karl Kollwitz. Zu ihren Füßen, ein paar Meter entfernt, liegt ihr Sohn Peter begraben.
18 Jahre lang hat hat Käthe Kollwitz an diesem Entwurf gearbeitet, den Tod ihres Sohne Peter immer vor Augen, der nur 18 Jahre alt geworden ist. Mehrmals war sie selbst in Belgien – in unmittelbarer Nähe des Schlachtfeldes, auf dem er gefallen ist. So wie heute die beiden Statuen aufgestellt sind, blicken die verwaisten Eltern auf die Gräber, die der Krieg hinterlassen hat.

Keine andere Künstlerin hat den Schrecken der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert so ein ehrliches und damit erschreckend trauriges Gesicht geben können. Die Plastiken und die Grafiken von Käthe Kollwitz sind auch nach über 60 Jahren nach ihrem Tod eine bleibende Mahnung und Erinnerung – wie auch der Volkstrauertag, an dem der Opfer der beiden Weltkriege und die Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird.
Das Leiden und die Trauer der Mutter und Großmutter Käthe Kollwitz, das Leiden und der Trauer der Mütter dieser Welt mahnt meiner Meinung nach die Lebenden am eindringlichsten, gegen alle Gewalt einzutreten und wird der Botschaft der Künstlerin Käthe Kollwitz gerecht. Diesem Leid der Mütter in der verzweifelten Trauer um ihre Kinder wollte Käthe Kollwitz mit ihrer Pieta und ihren trauernden Eltern in Vladslo ein Denkmal setzen und hatte die Hoffnung, dass in Ehrfurcht vor den Müttern, die nicht Leben schenken, damit es sinnlos ermordet wird, Menschen vor dem Morden im Krieg und Terror zurückschrecken.
Ewig ist mir auch ein Wort der großen Ordensfrau Ruth Pfau im Ohr, mit dem sie sich einmal an Terroristen wandte. Es lautete ungefähr so: „Schämt euch vor Eurer eigenen Mutter, die euch das Leben geschenkt hat. Und denkt daran, welches Leid ihr mit jedem Mord einer Mutter antut!

Ich frage mich: Die in den trauernden Eltern in Stein gehauene Botschaft der Käthe Kollwitz – die aufrüttelnde Worte einer Ruth Pfau – vielleicht wirklich die einzige Art, verhärtete Herzen zu erreichen, verblendete Hirne zu erleuchten?


Pfarrer Stefan Mai

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