Lebende Tabernakel

Predigt am Allerheiligentag 2014

Predigt
Der französische Dichter Viktor Hugo (1802-1885) spricht einmal von einer alten Frau, die über die Straße geht. Sie hat Kinder erzogen und Undank geerntet, viel gearbeitet und lebt im Elend. Sie hat geliebt und ist allein geblieben. Aber sie ist frei von allem Hass und hilft, wo sie kann. Jemand sieht sie ihren Weg gehen und sagt:„Ça doit avoir un lendemain – Das muss ein Morgen haben!“

Das muss einen Morgen haben! Dieses unscheinbare Leben eines Menschen, der es gut gemeint und aufrichtig gelebt hat, aber nie groß herausgekommen ist, das darf doch nicht in der Vergessenheit verschwinden. Das muss doch eine Zukunft haben.

Ähnliches hat wohl jeder von uns schon erfahren. Man begegnet Menschen, und es sind keineswegs berühmte Leute, aber sie hinterlassen in uns einen bleibenden Eindruck. Frauen und Männer, die wie selbstverständlich die Botschaft der Bergpredigt und der Seligpreisungen leben, ohne dabei viele Worte zu machen. Menschen, die nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellen, vielmehr das Leben anderer hell machen - durch die Zeit, die sie ihnen schenken, durch die Geduld, die sie mit ihnen haben, durch das Verzeihen und Verstehen, worum sie sich bemühen, durch das Aushalten einer leidvollen Situation.

Der französische Dichter François Mauriac (1885-1970) bringt diese Erfahrung auf den Punkt: „Sie können sagen, was sie wollen: es fällt in die Augen, dass es lebende Tabernakel gibt und dass wir manchmal mitten in einem Gespräch, und ohne die Lippen zu bewegen, gezwungen sind, die sichtbare Gegenwart Gottes in einem Menschen anzubeten“.

Liebe Leser,
dieser Menschen, die über das Maß des zu erwartenden Anständigen hinausgehen, in ihrer Güte, in ihrer Selbstlosigkeit, in ihrer Hingabe, in ihrer Hilfsbereitschaft, dieser gedenkt der Allerheiligentag. Dieser einfachen Heiligen des Alltags.

Fürbitten
Jesus preist diejenigen selig, die auf den ersten Blick nicht viel Glück im Leben hatten. Er macht Mut und bestärkt sie. Darum beten wir:

Für alle Menschen, die keine Hoffnung und keine Kraft mehr haben, verzweifelt und mutlos sind

Für die Frauen und Männer in der Kirche, die wegen vieler Widerstände das Gefühl haben, dass ihre Bemühungen nicht fruchten

Für alle Menschen, die sich alleine und von der Gesellschaft im Stich gelassen fühlen

Für alle, die sich bemühen, ein gelingendes Leben zu führen und dabei an ihre Grenzen stoßen

Für die Verstorbenen, die in den Gedanken ihrer Angehörigen immer präsent bleiben. Wir denken heute an..........
Wir beten aber auch für jene, an die sich niemand mehr erinnert

Wir bitten dich: Erhören unsre Anliegen. Durch Christus, unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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