Und er brachte kein Wort mehr heraus

Predigt zum 28. Sonntag im Jahreskreis (Mt 22,1-14)

Einleitung
Was uns als Menschen heraushebt aus allen Lebewesen, ist unsere Sprache. Durch die Sprache können wir kommunizieren und uns verständigen. Die Sprache ist auch mehr und mehr zu einem wichtigen Handwerkszeug geworden. In vielen Berufssparten der Garant für Erfolg. Deshalb werden überall Rhetorik-Kurse angeboten und Tipps gegeben, wie man überzeugend und erfolgreich auftreten kann.
Jesus hat nie Rhetorik-Kurse besucht. Aber wie er wichtige Dinge des Lebens in seinen Gleichnissen zur Sprache bringt, das verblüfft mich immer wieder aufs Neue.

Predigt
Heutzutage ist Schlagfertigkeit gefragt. Sich bei Diskussionen ja keine Blöße geben. Schnell reagieren, schnell kontern, auf alles gleich eine Antwort haben. Wer gut reden und argumentieren kann ist obenauf.
Bei Anschuldigungen ist der gut dran, der sofort Gegenargumente auffahren kann, die ihn wieder ins richtige oder wenigstens in ein anderes Licht stellen – oder galant vom eigentlichen Thema ablenken.
Im heutigen Evangelium wird uns eine andere Szene vor Augen geführt. Da wird ein Gast, der auf die Einladung des großzügigen Gastgebers in den Hochzeitssaal kam, aber nicht festlich gekleidet war, vom König angesprochen: „Mein Freund, wie konntest du hier ohne Hochzeitsgewand erscheinen?“ Und dann: kommt keine schlagfertige Antwort. Der Angesprochene ist perplex. Es heißt lapidar: „Der Mann aber brachte kein Wort heraus.“
Da wird einer auf einen entscheidenden Punkt seines Lebens angesprochen, und er weiß darauf nichts zu sagen.
Als Außenstehendem stockt einem bei dieser Frage der Atem. Man spürt: Die Frage sitzt. Sie trifft eine wunde Stelle im Leben dieses Menschen. Da meinte einer, er könne sich einfach so durchmogeln, alles mitnehmen, was für ihn Vorteile bringt, ohne selbst etwas zum Leben beizutragen. Und dann muss er sich stellen – und bringt kein Wort heraus. Diese Frage löst Betroffenheit aus.
Was dann passiert ist allerdings schockierend. In dem Augenblick, in dem der Mann sich selbst erkennt; als ihm klar wird, was in seinem Leben im Argen liegt, wird das nicht zum Beginn eines Umkehrprozesses, sondern zum Anlass eines vernichtenden Urteils: Hinaus mit dir!

Liebe Leser,
dieses harte Urteil über den Mann will nicht so recht zu unserer Vorstellung von diesem doch eigentlich so großzügigen und warmherzigen Gastgeber passen, von dem die Geschichte anfangs erzählt. Aber ob Jesus mit seinem Gleichnis nicht einfach diesen einen Punkt provozierend zum Ausdruck bringen wollte:
Auch in deinem Leben könnte es Momente geben, in denen dir die Sprache wegbleibt. Nimm diese Momente Ernst! Gerade diese Augenblicke, wo du kein Wort mehr herausbringst, wo du einfach sprachlos bist, weil dir über dich selbst etwas aufgeht, sind Schlüsselerfahrungen deines Lebens. Wenn das passiert, stehst du an einem entscheidenden Augenblick in deiner Lebensentwicklung. Das ist deine Chance, deinem Leben eine entscheidende Richtung zu geben. Lass sie nicht verstreichen!

Fürbitten
Herr, unser Gott: Im heutigen Evangelium wird uns ein Mensch vor Augen geführt, dem es die Sprache verschlägt. Wir bitten dich:

Wir beten für alle, die von Berufs wegen viel reden müssen: Dass sie auch etwas zu sagen haben …

Wir beten für alle, denen Wichtiges über ihr Leben aufgeht: dass sie es Ernst nehmen …

Wir beten für alle, die im Leben freizügig und großherzig sind: dass sie nicht ausgenützt werden …

Wir beten für alle, denen ein schwerer Schicksalsschlag die Sprache verschlagen habt: dass sie wieder Tritt im Leben fassen …

Wir beten für unsere Toten. In diesem Gottesdienst denken wir an .... Dass sie am Fest des Lebens teilnehmen dürfen


Pfarrer Stefan Mai

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