Chaotische Arbeitsplanung im Weinberg Gottes

Predigt zu Mt 20,1-6 (A/25)

Einleitung
Helfer gesucht! Wie oft hören oder lesen wir von solchen Appellen in unseren Pfarrbriefen und Gottesdienstordnungen. Wie viele Einladungen zu Fortbildungsveranstaltungen, Vorträgen und Seminaren werden vom Ordinariat oder kirchlichen Trägern und Vereinen per Post oder Mail verschickt. Der Erfolg solcher schriftlicher Hilferufe und Einladungen ist meistens gleich Null. Obwohl die Papierflut immer mehr zunimmt: Über das Paper läuft nichts mehr! Gibt es einen Ausweg aus dieser Misere? Das heutige Evangelium gibt einen Ratschlag.

Predigt
Eines muss man dem Gutsherrn unseres Gleichnisses attestieren: Er hat eine chaotische Arbeitsplanung. Alle drei Stunden rennt er auf den Marktplatz, um Nachschub anzuheuern: für die Ernte in seinem Weinberg. Sogar noch eine Stunde vor Sonnenuntergang schickt er Leute in seinen Weinberg. Bis die ankommen und zu arbeiten anfangen – können sie auch schon wieder aufhören!
Wer so wirtschaftet – und am Ende auch noch allen Arbeitern den gleichen guten Tageslohn auszahlt, der kommt nicht weit, höchstens ins Minus!
Dass sich die Zuhörer über diesen Gutsbesitzer wundern und mit Kopf schütteln – das ist die Absicht Jesu. Denn er will mit seiner Geschichte keine Lektion über die Optimierung von landwirtschaftlicher Betriebsführung erteilen. Nein, er erzählt einen Traum von Kirche. Eigentlich erzählt er – in eine Geschichte verpackt – nur das, was er selbst ständig macht: Menschen ansprechen. Von früh bis spät. Bei jeder Gelegenheit:
Die jungen Männer, die am See gerade ihre Netze ausbessern. Den Zöllner Levi vor seinem Amtssitz. Die Frau, die um die Mittagszeit verstohlen zum Brunnen läuft. Den Zöllner Zachäus, der sich im Baum versteckt hat.
Die Evangelien sind voll solcher Geschichten. In der Erzählung vom Gutsherrn und seinem Weinberg erklärt Jesus, warum er das macht: Menschen ansprechen, zu jeder Tageszeit und bei jeder Gelegenheit. Er möchte Menschen um sich, die mit ihm seinen Traum von einer menschlicheren Welt wirklich werden lassen. Er will Menschen an einen Ort führen, an dem sie gebraucht werden. Er will ihnen zeigen: Ich trau dir zu, dass du das kannst. Jesus will signalisieren: Ich spüre, dass etwas in dir steckt, das andere noch nicht entdeckt haben.
Und wenn sich Jesus leicht ironisch als geradezu chaotischen Arbeitsplaner vorstellt, dann sagt er damit ganz deutlich: Es geht mir zuerst um den Menschen. Auf keinen Fall um ein straff geführtes Unternehmen. Es geht zuerst darum, dass die Fähigkeiten eines Menschen entdeckt werden und zum Einsatz kommen. Der Weinberg Gottes ist für die Menschen da, nicht umgekehrt!
Liebe Leser,
was Jesus in seiner Weinbergesgeschichte erzählt, ist ein genialer und zugleich ganz einfacher Pastoralplan. Er lässt sich auf den Satz bringen: Menschen ansprechen. Ihnen sagen: Ich sehe: Du kannst was. Bring dich bei uns ein. Mit dem, was du kannst. Die Tür steht dir offen.
Ich habe den Verdacht: Dieser jesuanische Pastoralplan stellt unser normales kirchliches Handeln ziemlich auf den Kopf. Gewöhnlich stellen wir zuerst einen Arbeitsplan auf: Wir brauchen einen Seniorenkreis, Jugendgruppen, ein Kindergottesdienstteam, einen Besuchsdienst – und sprechen dann diejenigen an, die sowieso schon mitarbeiten, die Dauerarbeiter. Dass die immer mehr stöhnen – und am Ende frustriert sind, weil trotz ihres Einsatzes nichts läuft, ist doch klar.
Jesus rät uns: Macht’s genau umgekehrt. Geht auf die Straßen und Plätze. Schaut euch die Menschen an, die da rumstehen. Die scheinbar nicht gebraucht werden. Die aber vielleicht darauf warten, dass sie einer anspricht, dass einer ihnen etwas zutraut.
Ich frage mich manchmal:
Warum mache ich, warum machen wir das als Pfarrgemeinde zu wenig? Haben wir Angst davor, enttäuscht zu werden? Fürchten wir vielleicht, dass die Sache, um die es geht, zu wenig attraktiv ist? Trauen wir Menschen zu wenig zu?
Aber noch einmal: Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg sagt mir klipp und klar: Auf den Straßen und Plätzen unserer Pfarrgemeinde stehen viele ungenutzte Begabungen und Fähigkeiten zur Verfügung. Es bräuchte oft nur eines: den Mut, Menschen anzusprechen. Vielleicht würde manche, mancher sogar ähnlich reagieren wie der Wohnsitzlose, der mir aus meiner Aschaffenburger Kaplanszeit noch in Erinnerung ist. Von jedem, der ihn grüßte oder mit ihm redete, verabschiedete er sich mit den Worten: „Danke für die An-Sprache!“

Fürbitten
Herr unser Gott, uns Menschen wurden Begabungen und Fähigkeiten geschenkt. Wir bitten dich:

Dass jeder Mensch seine Fähigkeiten entfalten und einsetzen kann, dass er Freude daran hat zum Wohle aller …

Dass alle, die gerne arbeiten möchten, auch die Möglichkeit dazu haben …

Dass in unseren Pfarrgemeinden keine störenden Rivalitäten aufkommen, die das Zusammenleben blockieren …

Dass Erfolge anderer nicht zu Neid verführen, der jedes Miteinander vergiftet …

Dass wir einander ermutigen und fördern, dass wir Menschen etwas zutrauen, damit sich ablesen lässt, was ein gutes menschliches Klima bewirken kann …

Dass du für unsere Toten ein gutes Wort bereithältst. In diesem Gottesdienst denken wir an …

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.



Pfarrer Stefan Mai

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