Dic Cur Hic

Predigt zum 19. Sonntag im Jahreskreis (1 Kön 19, 9-15)

Einleitung
Wir hören heute die bekannte Elia-Geschichte vom Berg Horeb, die erzählt, wie Elia Gott begegnet. Meistens wird sie als Paradegeschichte für die Gotteserfahrung hergenommen. Aus den markanten Sätzen: Doch der Herr war nicht im Sturm. Doch der Herr war nicht im Erdbeben. Doch der Herr war nicht im Feuer – wird gefolgert: Du kannst Gott nicht im Lauten und Spektakulären finden.
Und aus dem Satz: „Da kam ein sanftes Säuseln und Elia verhüllte sein Angesicht“ wird geschlossen: Wenn du Gott erfahren willst, dann findest du ihn in der Stille.

Mich macht es stutzig, dass in der Geschichte fast immer etwas Entscheidendes weggelassen oder meist überhört wird, nämlich eine Frage. Und die hat es in sich.


Der Lesungstext: 1 Kön 19,1-15 (erweitert)

Ahab erzählte Isebel alles, was Elija getan, auch daß er alle Propheten mit dem Schwert getötet habe. 2 Sie schickte einen Boten zu Elija und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das antun, wenn ich morgen um diese Zeit dein Leben nicht dem Leben eines jeden von ihnen gleich mache. 3 Elija geriet in Angst, machte sich auf und ging weg, um sein Leben zu retten. Er kam nach Beerscheba in Juda und ließ dort seinen Diener zurück. 4 Er selbst ging eine Tagereise weit in die Wüste hinein. Dort setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. Er sagte: Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter. 5 Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein. Doch ein Engel rührte ihn an und sprach: Steh auf und iß! 6 Als er um sich blickte, sah er neben seinem Kopf Brot, das in glühender Asche gebacken war, und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank und legte sich wieder hin. 7 Doch der Engel des Herrn kam zum zweitenmal, rührte ihn an und sprach: Steh auf und iß! Sonst ist der Weg zu weit für dich. 8 Da stand er auf, aß und trank und wanderte, durch diese Speise gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb. 9 Dort ging er in eine Höhle, um darin zu übernachten. Doch das Wort des Herrn erging an ihn: Was willst du hier, Elija? 10 Er sagte: Mit leidenschaftlichem Eifer bin ich für den Herrn, den Gott der Heere, eingetreten, weil die Israeliten deinen Bund verlassen, deine Altäre zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet haben. Ich allein bin übriggeblieben, und nun trachten sie auch mir nach dem Leben. 11 Der Herr antwortete: Komm heraus, und stell dich auf den Berg vor den Herrn! Da zog der Herr vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriß und die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus. Doch der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der Herr war nicht im Erdbeben. 12 Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der Herr war nicht im Feuer. Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln. 13 Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle. 14 Da vernahm er eine Stimme, die ihm zurief: Was willst du hier, Elija? Er antwortete: Mit Leidenschaft bin ich für den Herrn, den Gott der Heere, eingetreten, weil die Israeliten deinen Bund verlassen, deine Altäre zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet haben. Ich allein bin übriggeblieben, und nun trachten sie auch mir nach dem Leben. 15 Der Herr antwortete ihm: Geh deinen Weg durch die Wüste zurück, und begib dich nach Damaskus!

Predigt
Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg fasste 1601 den Plan, eine Eliteschule für begabte Buben im Jagdschloss Joachimsthal zu gründen. Die Schule wurde bewusst mit einer christlich-humanistischen Zielsetzung geplant und geführt. Sie sollte die jungen Menschen auf das Studium hin ausbilden und sie zu fähigen Mitarbeitern im Staats- und Kirchendienst machen. In der Aula der Schule stand den Schülern ständig eine Frage mit drei lateinischen Worten vor Augen, die Frage: Dic cur hic? Sag, warum bist du hier?
Dic cur hic? Sag, warum bist du hier in dieser Schule? Sag, warum und wozu bist du hier auf Erden? Diese Frage sollte Menschen ein Leben lang bewusst begleiten und ihnen dabei helfen, verantwortungsbewusst mit der Bildungschance und überhaupt mit dem Leben umzugehen.

Gleich zwei Mal wird diese Frage in der heutigen Lesung an Elia gestellt.
Elia ist auf der Flucht – Er war davongerannt und in die Wüste geflohen, wollte und konnte nicht mehr. Ein Engel hat ihn in die Rippen gestoßen, etwas zum Essen und Trinken hingestellt und ihn zum weitergehen motiviert
Und jetzt zieht er sich wieder in ein Versteck, in eine Höhle zurück. Und da stellt ihm Gott die Frage: Was willst du hier, Elia? Sag, warum bist du hier?
Elia jammert – Ich hab mich so für dich eingesetzt, meine Kraft dafür verbraucht. Und was habe ich davon? Die Leute nehmen meine Worte nicht an, ja sie verfolgen mich!
Da lockt ihn Gott aus seinem Versteck heraus und zieht an ihm vorüber. Er ist nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer. Erst im leisen Säuseln spürt Elia etwas von der Nähe Gottes.

Aber Elia hat nichts daraus gelernt. Er hört wieder die Stimme Gottes: Was willst du hier, Elia? Gott bleibt hartnäckig: Sag warum bist du hier? Und wieder beginnt er darüber zu jammern, wie schlecht die Welt ist und wie schlecht es ihm jetzt geht. Und da hört er Gott im barschen Ton sagen: Geh deinen Weg durch die Wüste zurück und geh nach Damaskus!
Gott macht Elia klar: Du spielst da den großen Propheten und jammerst mir andauernd etwas vor. Mach dir doch klar: Ein Prophet fordert immer Menschen mit seiner Botschaft heraus. Und da muss er damit rechnen, dass Menschen zurückschlagen und er einiges einzustecken hat.

Diese Frage hat es in sich. Was willst du hier? Dic cur hic? Sag, warum bist du hier? Diese Frage will aufrühren und vor allem den Kreislauf des Jammerns aufbrechen und ein Stück Realität ins Leben bringen.

Dic cur hic! Sag, warum bist du hier im Gottesdienst? Wie oft wird gejammert: Immer das gleiche, langweilig, was bringt er mir? Was willst du hier? Eine Stunde zum Ausruhen? Worte des Trostes? Ein schönes Gefühl? Gemeinschaft von Gleichgesinnten erleben? Oder gehst du bewusst hellhörig auf die Suche, ob dir ein Wort aus der Schrift, ein Satz aus einem Gebet Stoff zum Nachdenken gibt oder in dir eine Melodie noch nachhallt?

Dic cur hic! Wenn du wieder einmal über deinen Beruf jammerst, frag dich: Warum bist du hier? Was willst du? Hast du nicht zu idealistische Vorstellungen? Arbeitskollegen und Kolleginnen müssen mir nicht automatisch freundschaftlich verbunden sein. Was jammerst du über Überforderung? Wenn du Karriere machen willst, musst du dir im Klaren sein, dann hast du mit Einbußen im privaten Leben zu rechnen.

Dic cur hic! Wenn du mit deinem Leben unzufrieden bist und in einem Jammerton verfällst, frag dich: Sind immer die anderen daran schuld? Dic cur hic! Frag dich vielmehr selbst: Was willst du eigentlich und was kannst du selbst tun, um wieder bewusster und zufriedener zu leben.

Die Frage Gottes an Elia: Was willst du hier? Die drei lateinischen Worte: Dic cur hic? Für mich einmal Sonntagsstoff zum Nachdenken?






Pfarrer Stefan Mai

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