Der Mann, der dem „August“ seinen Namen gab

Katholische Morgenfeier (BR 1) am 10. August 2014

„In jener Zeit erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen. Dies geschah zu ersten Mal. Damals war Quirinius Statthalter von Syrien …“ (Lk 2,1)

Sprecherin:
He, habt ihr das falsche Band eingelegt? Ihr habt euch in der Jahreszeit geirrt! Das klingt doch nach Weihnachten! Aber wir haben doch erst August!

Nur keine Aufregung! Das Band ist völlig richtig. Ich habe den Beginn des Weihnachtsevangeliums mit Kaiser Augustus bewusst gewählt. Denn: Wir sind im Monat August. Und dieser Monat ist nach dem Kaiser Augustus benannt. Ursprünglich hieß der Sommermonat bei den Römern Sextilis. Aber zu Ehren des erfolgreichen ersten Kaisers der Römer wurde der Monat umbenannt – in „August“. Das geschah wenige Jahre vor dem Tod des Kaisers. In diesen Tagen jährt sich sein Todestag zum 2000. Mal. Kaiser Augustus starb am 19. August im Jahr 14 unserer Zeitrechnung.
Kurz vor seinem 76. Geburtstag hat er sich auf eine Reise gemacht, die seine letzte werden sollte. Unterwegs wurde er schwerkrank. Symbolträchtig wählte er für den Rückweg nach Rom die Route über die Stadt Nola. Dort war 72 Jahren zuvor sein eigener Vater verstorben. Und dort starb auch Augustus am 19. August im Jahr 14.
Ich nehme heute dieses Augustus-Jubiläum zum Anlass, anstelle eines Bibeltextes das Leben des Kaisers sprechen zu lassen. Biographien anderer Menschen geben immer Stoff, um über das eigene Leben nachzudenken. Vielleicht ist der Urlaubsmonat August dafür einmal eine gute Gelegenheit.

Die großen Taten
Wenige Monate vor seinem Tod hat Augustus einen Text hinterlegt, der berühmt geworden ist: die sogenannten Res Gestae, den Tatenbericht seines Lebens. Mit präzisen Zahlenangaben führt er seitenweise auf, wie viele Kriege er geführt hat, wie viele Schiffe er dabei gekapert hat, wie oft er welches Amt innehatte, wie viele Millionen er großzügig an seine Soldaten und das römische Volk verschenkt hat. Mit stolzer Brust nennt er die Ehrentitel, die ihm verliehen wurden. Er prahlt, wie oft er in Rom Gladiatorenspiele und Tierhetzen mit exotischen Raubkatzen veranstalten ließ. Er zählt die großen Bauwerke auf, die unter seinem Namen entstanden sind und stellt sich als der große Friedensbringer für das Imperium Romanum dar. Im Originalton klingt das so:
Kriege zu Wasser und Land, gegen innere und äußere Feinde habe ich auf dem ganzen Erdkreis oft geführt … Auswärtige Völker habe ich lieber erhalten als vernichten wollen … Schiffe habe ich sechshundert gekapert … Viermal habe ich dem Staatssschatz mit meinen eigenen Mitteln ausgeholfen, indem ich 150 Millionen den Verwaltern der Staatskasse übergeben habe …

Und er schließt seinen Tatenbericht mit den Worten:

Einhellig nannte mich das römische Volk „Vater des Vaterlandes“, und man beschloss eine Inschrift in meinem Haus anzubringen sowie im Rathaus und auf dem Augustusforum. Da ich dies niederschreibe befinde ich mich in meinem 76. Lebensjahr.

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Welch stolze Tatenbilanz! Lauter Erfolgszahlen. Da haut einer so richtig auf die Pauke! Niemand war besser. Da strotzt einer vor Selbstbewusstsein. Mir kann keiner was nachmachen!
Wer kann da schon mithalten? Solche Taten habe ich nicht vorzuweisen. In Geschichtsbüchern wird mein Name nicht stehen. Denkmäler werden mir nicht gesetzt werden. Und trotzdem: Auch in meinem Leben gibt es Dinge, auf die ich stolz bin. Ich bin sicher: Unter denjenigen, die jetzt zuhören, geht es vielen so. Der eine denkt an sein Haus, das er für seine Familie unter großen Entbehrungen, vielleicht sogar mit seinen eigenen Händen gebaut hat. Der andere denkt daran, wie er sich in seinem Beruf langsam hochgearbeitet hat und jetzt über ein großes Fachwissen verfügt, das von anderen sehr geschätzt wird. Oder da sagt jemand: „Ich weiß gar nicht, wie ich das geschafft habe: Familie, Haushalt, Beruf und Kinder unter einen Hut zubringen – und dabei noch die alten Eltern betreut!“

- Musik -

Die Schlappen im Leben
Aber es gab auch Schlappen im Leben des großen Kaisers Augustus. Die erwähnt er in seinem Tatenbericht natürlich nicht. Ja, es stimmt, Kaiser Augustus hat das römische Reichsgebiet durch Kriege und politische Schachzüge beträchtlich erweitert. Aber es gab auch die große Niederlage: die Schlacht im Teutoburger Wald. Drei Legionen, knapp 20.000 Römer, wurden vom Cherusker Hermann und seinen Germanen vernichtend geschlagen. Als Augustus die Nachricht erhielt: Dein Feldherr Varus mit seinen drei Legionen wurde von den Germanen eingekesselt und aufgerieben, soll er geschrieben haben: „Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder!“
In jedem Leben gibt es diese Schlappen, über die keiner gern spricht. Es können große Geldgeschäfte sein, die danebengegangen sind. Ein nicht geschaffter Schul- oder Studienabschluss, der mir ewig nachhängt. Eine öffentliche Blamage. Ein begangener Fehler, der nicht mehr auszuradieren ist. Oder der Gedanke: Wenn ich noch einmal die Wahl hätte, würde ich mich heute anders entscheiden.

- Musik -

Freude und Unglück im persönlichen Leben
Es wird überliefert, dass Augustus ein glückliches Eheleben mit seiner Frau Livia führte. Über 50 Jahre war er mit ihr verheiratet. Für damalige Verhältnisse unglaublich. Noch auf dem Sterbebett soll er sie geküsst haben. Und seine letzten Worte galten ihr: „Livia, gedenke immer unserer Ehe und lebe wohl!“ (Suet 99,1).
Aber Pech hatte Augustus mit seiner eigenen Tochter Julia. Er war sicher auch viel selbst schuld daran. Mehrmals benutzte er sie als Spielball für seine Machtpolitik. Unglücklich in ihren erzwungenen Ehen und oft über Jahre allein, sehnte sich Julia nach echter Liebe und stürzte sich in amouröse Abenteuer. Das passte natürlich nicht zur strengen Sittenpolitik ihres Vaters. Und der hat sie gnadenlos fallen lassen und sie auf eine Insel verbannt, wo sie elend zugrundeging.
Die Familie ist bis heute ein Ort größter Sinnerfüllung, aber auch der Ort, wo die größten Enttäuschungen erlebt werden. Wenn ich Geburtstagsbesuche mache, fällt mir auf, wie alte Eltern oft stolz von ihren Kindern erzählen. Es ist zu spüren, dass ihre Kinder und ihre Enkel ihr größtes Glück im Alter sind. Und auch für junge Menschen ist Geborgenheit in Partnerschaft und Familie Sinninstitut Nummer eins. Umso größer ist die Enttäuschung, wenn Kinder ganz andere Wege gehen, als sich Eltern das gewünscht und vorgestellt haben. Umso größer ist die Enttäuschung, wenn eine Partnerschaft, die verheißungsvoll begonnen hat, allmählich zur Belastung wird oder gar zerbricht.

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Meine Pläne im Leben
Eines der wichtigsten Ziele, die der ehrgeizige Augustus verfolgte, war: rechtzeitig einen geeigneten Nachfolger zu installieren. Weil er selbst keinen Sohn hatte, adoptierte er zunächst zwei Neffen, auf die er alle Hoffnung setzte. Aber seine Planspiele wurden durchkreuzt. Beide starben frühzeitig. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den bereits betagten Tiberius zu seinem Nachfolger zu bestimmen, eine Art römischer Prinz Charles.
„Das schlimmste Wort im Leben ist das Wort ‚umsonst‘“, sagte mir einmal eine Frau im Krankenhaus. „Was hatte ich für Pläne, was wollte ich alles erreichen und gut machen – und was ist jetzt? Nichts davon ist übrig geblieben. Es war umsonst!“
Enttäuschungen nagen an einem Leben. Sie nehmen Lebenskraft und Lebensfreude. Sie sind wie schwärende Wunden, die immer wieder aufbrechen.

Der Tod – ein letztes Theaterstück
Auf seinem Sterbebett soll Augustus noch einmal alle Freunde zu sich gerufen und sie dann gefragt haben: „Habe ich die Komödie meines Lebens gut gespielt? Wenn ja, dann klatscht Beifall!“
Augustus nennt sein Leben im Rückblick eine Komödie. Wie würden Sie Ihr Leben einstufen: als Komödie, als Drama, als Tragödie, als Posse, als spannenden Roman oder eher als trockene Pflichtlektüre? Meinen Sie, dass in den Augen anderer Ihr Leben Beifall finden würde? Könnten Sie im Blick auf Ihr Leben zu sich selbst sagen: Bravo, das hast du gut gemacht? Vielleicht schmunzeln Sie heute noch über bestimmte Reaktionen oder Streiche, die Ihnen gelungen sind? Oder Sie sagen sich: Respekt! Da habe ich aber Mut gezeigt! So etwas hätte ich von mir gar nicht erwartet!

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Das Nachleben
Ganz bewusst hat Augustus schon zu Lebzeiten die Erinnerung an sich selbst stilisiert. Bereits im Jahr 29 v. Chr., also 40 Jahre vor seinem Tod, ließ er ein riesiges Mausoleum für sich bauen: Eine monumentale Grabstätte, oben mit Bäumen bepflanzt – und auf der Spitze eine Bronzestatue von sich selbst. Vor dem Eingang des Mausoleums sollten später Bronzetafeln aufgestellt werden, auf denen sein Tatenbericht zu lesen ist. Die Nachwelt sollte sich an den großen Kaiser erinnern – und schon zu Lebzeiten wollte Kaiser Augustus ein Denkmal sein.
Heute herrscht in unserer Gesellschaft ein anderer Trend. Möglichst unauffällig abtreten. Wie oft lese ich in Todesanzeigen: „Die Beisetzung fand in aller Stille statt“ – oder „im engsten Familienkreis“. Die anonymen oder halbanonymen Beerdigungsformen sind im Vormarsch: ein Grab unter einem Baum ohne jeglichen Namen – oder höchstens mit einem kleinen Namenstäfelchen. Grabsteine, auf denen der Beruf oder eine bestimmte Charaktereigenschaft eingemeißelt ist, sind selten geworden. Ich finde, Grabsteine sollten ein Bild vom Verstorbenen entstehen lassen – und mich zum Nachdenken anregen.

- Musik -

Ich hoffe, die biographischen Notizen zu Kaiser Augustus, dessen Todestag sich in wenigen Tagen zum 2000. Mal jährt, waren für Sie interessant und vielleicht hat auf diesem Hintergrund das Weihnachtsevangelium in diesem Jahr für Sie einen anderen Klang, wenn Sie wieder die berühmten Worte hören: „In jener Zeit erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen...“
Vielleicht haben diese biographischen Notizen Sie auch ein wenig zum Nachdenken über die eigene Biographie gebracht. Über das, worauf Sie stolz sein können, über Menschen, die Ihr größter Reichtum und Halt im Leben sind, aber auch über zerplatzte Lebensträume und schwierige oder zerbrochene Beziehungen. Vielleicht sogar über letzte Verfügungen.
Ans Ende dieser Morgenfeier möchte ich ein Gebet von Dom Helder Camara stellen, das mir aus dem Herzen spricht. Es trägt den Titel „Ohne den Ruhm des Siegers“.

Dom Helder Camara betet:
Welch großer Trost, Herr, zu wissen,
dass du keine Erfolge forderst,
keine Erträge eintreibst.
Aber du verlangst,
dass wir uns nicht schonen,
dass wir unser Bestes geben,
ohne Überheblichkeit,
ohne Eitelkeit, ohne Stolz,
die alles zunichte machen.
Vielleicht zählt für dich
in unserem Leben
vor allem der Wunsch,
froh, gelassen, glücklich
zu dir zu gelangen
ohne den Ruhm des Siegers.


Aus: In deine Hände, Herr! Gedanken und Gebete. München-Zürich-Wien: Verlag Neue Stadt 1987

- Musik -

Segenswunsch (nach Paul Weismantel)

Der Monat August, die Zeit der Ferien,
möge dir viel Zeit für all das schenken,
wozu sie dir während des Jahres so oft fehlt

Der Monat August, die Zeit des Urlaubs,
möge dir helfen, auszuruhen
und neue Kräfte zu sammeln

Der Monat August, die Zeit des Verreisens,
möge dich einladen, die Schönheit der Welt
mit neuen Augen zu sehen und dir Muße zu gönnen

Der Monat August, die Zeit der Sommerpause,
möge dich erinnern, dass das Leben mehr ist
als Arbeit und Ärger, als Last und Pflicht

Der Monat August, die Zeit vieler Feste,
möge dir zeigen, wie wichtig es ist,
ein aufmerksames Herz für die Freude zu haben

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen einen schönen Monat August


In der Morgenfeier gespielte Musik:
Aus der CD „Zusammen wachsen“. Aschauer Stimmkreis, Kathi Stimmer-Salzeder:
Nr. 4 „dass du, Gott...“ und Nr. 23 „Gottes Ufer“

Aus der CD „Die Silbertrompeten von Lissabon, Trompetenensemble Edward Tarr (LC 6768): Nr.1 (Sonate Nr. 15); Nr. 5 (Sonate Nr. 6); Nr. 6 (Sonate Nr. 5)

Aus der CD Franz Schubert, Praga Da Camera (PRD 350024):
Nr. 10 „Eine kleine Trauermusik“


Pfarrer Stefan Mai

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