Lasst euch nicht „abspeisen“!

Predigt zu Mt 14,11-23 (A/18)

Einleitung
Es war spät in der Nacht vor dem Ostersonntag, als die Reisegruppe ankam – mit hungrigen Mägen. Zur großen Enttäuschung aller war im Hotel die Küche schon geschlossen. Der Bus fuhr weiter – auf der Suche nach einem Restaurant. Vergeblich. Es war einfach zu spät. Die Stimmung fiel auf den Tiefpunkt. „Ich habe noch ein Wurstbrot in meiner Tasche“, rief da plötzlich jemand, „und auch noch eine Banane. Das können wir teilen.“ Und auf einmal fingen alle an, in ihren Reisetaschen zu kramen. „Ich habe noch einen Müsliriegel.“ „Und ich eine Tafel Schokolade.“ Im Hotel angekommen legten alle ihre restlichen Vorräte auf einen Tisch – und es wurde ein festliches Bankett. „Fast wie beim Brotwunder!“, sagte jemand.
Nein, liebe Gottesdienstbesucher, so ungewöhnlich ist die Geschichte nicht, die wir heute im Evangelium hören.

Predigt
Eine Speisung von 5000 Menschen war keine Seltenheit in der Antike. Von Crassus, dem steinreichen Römer, wird berichtet, er habe bei einem Opferfest 10.000 Menschen auf einmal verköstigt. Caesar, der große Feldherr, kann sich rühmen, das noch nie Dagewesene vollbracht zu haben: Anlässlich eines Triumphzugs hat er rund 200.000 römische Bürger festlichst bewirtet. Solche öffentlichen Speisungen geschahen nicht nur an großen Götterfesten oder bei triumphalen Siegesfeiern. In Rom war die kostenlose Getreideverteilung an eine Viertel Million Bürger an der Tagesordnung.
Was die Kaiser in Rom vorgemacht haben, haben die Reichen und Wohlhabenden in den Städten des Römischen Reiches nachgemacht: Bis heute sind die vielen Ehreninschriften erhalten, auf denen genau zu lesen steht, wie viele Leute welchen Standes mit welchen Speisen bewirtet wurden. Mancher ließ sogar auf sein Grabmal die von ihm veranstaltete Speisenverteilung als Bild darstellen: Auch nach seinem Tod sollten alle seine Freigebigkeit bewundern.
Was da mit den großen Speisungen im römischen Reich vor sich ging ist unter dem Stichwort panem et circenses in die Geschichte eingegangen. Es ging bei weitem nicht nur um die Stillung des Hungers. Es ging um Politik und Prestige. Die kleinen Leute sollten bei Laune – und stillgehalten werden. Aufkommende Unzufriedenheit wird durch Befriedigung der Schaulust und der Mägen gestopft.
Und: Kaiser wie führend Kopfe in den Städten des Reiches wollen als „die Großen“ dastehen. Wollen sich bejubeln lassen. Man soll ihnen blind Gefolgschaft leisten, ihnen Dankeshymnen singen und sie in Ehreninschriften hochleben lassen.
Wenn ich unter diesem Blickwinkel lese, was die Evangelien von Jesu Speisung erzählen, dann muss ich sagen: Jesus stellt eine Gesellschaftsordnung auf den Kopf.
Auch Jesus speist 5000 Männer, die Frauen und Kinder nicht eingerechnet. Aber er spielt nicht den großen Gönner. Lob und Dank gehen an Gott.
Und Jesus lässt auch die Jünger nicht als Sponsoren auftreten, sondern als Kellner.
Gewiss, sein Mahl ist bescheiden. Es gibt nur Brot und Fisch. Das Wichtigste ist: Alle werden satt – und es bleibt übrig.
Und: Jesus führt etwas vor Augen, was den berechnenden Politikern seiner Zeit einen Strich durch die Rechnung macht: Er lässt seinen eigenen Jüngern aus den Taschen holen, was sie selbst haben – und zeigt damit: Ihr selbst habt, was ihr braucht, in eurer eigenen Tasche. Nur raus damit! Lasst euch nicht von den Großen abspeisen und mundtot machen! Macht euch nicht abhängig von milden Gaben. Mobilisiert, was in euch selbst steckt. Fangt mit dem Wenigen an, was da ist – und ihr werdet sehen: Es ist mehr als genug.


Liebe Leser,
die Geschichte von der Speisung Jesu gibt mir sehr zu denken. Sie fragt mich: Wie steht es bei Dir:
- Lässt Du dich abspeisen und hast dann deine Ruhe – oder willst du dich engagieren?
- Schaust du ständig auf „die da oben“ und hoffst auf Gnadengeschenke – oder schaust du den Menschen in deinem Umfeld ins Gesicht und fängst mit dem, was du hast und kannst, dort an, wo Not am Mann ist?
- Duckst du dich lieber in der Masse – oder fängst du an herauszurücken, was du hast und kannst?

Fürbitten
Herr, unser Gott, die Brotvermehrungsgeschichte birgt viele Botschaften an uns in sich. Höre unsere Bitten:

L 1: Die Jünger sagen: „Schick doch die Menschen weg!“ Jesus sagt: „Gebt ihr ihnen zu essen!“
L 2: Gott, schenke uns den Mut, nicht einfach alles abschieben zu wollen, was uns über unsere Kraft zu gehen scheint …

L 1: Die Jünger sagten: „Nichts haben wir, außer fünf Brote und zwei Fische.“
L 2: Gott, bewahre uns vor dem dauernden Jammern auf hohem Niveau. Lass uns vielmehr bewusst werden, wie reich wir im Leben beschenkt sind …

L 1: Das Evangelium erzählt: Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel, dankte, brach die Brote und gab sie den Jüngern …
L 2: Gott, lass uns dir gegenüber dankbar sein, wenn wir anderen Menschen Gutes tun können und bewahre uns vor der Versuchung, dafür Anerkennung und Ansehen erheischen zu wollen …

L 1: Das Evangelium erzählt: Und alle aßen und wurden satt
L 2: Gott, schenke allen Bemühungen auf dieser Erde Erfolg, die dafür eintreten, die Güter der Erde gerecht zu verteilen …

L 1: Das Evangelium erzählt: Als die Jünger die übrig gebliebenen Brotstücke einsammelten, wurden zwölf Körbe voll.
L 2: Lass alle, die nie genug bekommen, spüren: Es reicht für alle…


Pfarrer Stefan Mai

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